Kapitel Zehn

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»Vraldes!«, rief Satumar und ich hörte die Besorgnis aus seiner Stimme heraus. »Vraldes!«, rief er erneut, doch beide Male erhielt er keine Antwort. Laut fluchend lief er schneller und ignorierte meine Proteste, dass ich mit dem Kleid nicht laufen konnte. Ich sah es schon kommen, dass ich stolperte und dann das Kleid versaute. Ohne Vorfälle kamen wir dann doch um die nächste Häuserecke und waren auch schon auf dem Marktplatz. Dort fanden wir auch direkt Vraldes, die auf Zehenspitzen nach ihren Eltern suchte.

»Vraldes!«, fauchte Satumar.

Diese zuckte erschrocken und schuldbewusst zusammen, sah feuerrot im Gesicht nach unten auf den Boden und scharrte mit den Füßen im festgetretenen Sand.

»Lauf nicht noch mal weg oder ich sehe mich gezwungen dich wieder nach Hause zu bringen«, drohte Satumar mit leicht erhobenem Zeigefinger.

»Nein!«, begehrte Vraldes auf. »Das kannst du nicht machen!«

»Oh doch. Ich kann und ich werde, wenn du dich nicht ordentlich benimmst«, knurrte er.

Kurz sah es so aus, als wollte sie weiter protestieren, aber etwas in Satumars Blick ließ sie schweigen. Ergeben nickte sie dann, bevor sie sich wieder umdrehte und weiter nach ihren Eltern suchte. Ich entdeckte sie als erstes. Die Beiden standen ein paar Meter von uns entfernt und unterhielten sich angeregt. Limbara zeigte auf etwas, was ich nicht sehen konnte und sprach etwas lauter. Amandiel schien damit nicht einverstanden zu sein, denn er schüttelte den Kopf und redete auf sie ein. Doch Limbara ließ sich nicht beirren und fuhr ihm über den Mund.

»Da sind sie«, meinte ich zu Satumar und Vraldes.

Beide drehten sich um und blickten in die Richtung, in die ich deutete. Sofort lief Vraldes los und sprang ihrem Vater in die Arme, als dieser sie bemerkte. Auch ihre Mutter umarmte das Mädchen, als ihr Vater sie losließ. Satumar und ich schlenderten zu den Dreien und begrüßten Limbara und Amandiel.

»Wolltet ihr nicht Vraldes heute morgen mitnehmen?«, fragte Satumar nach der Begrüßung.

»Sie wirkte so erschöpft, dass ich sie schlafen ließ«, erklärte Limbara.

Bestätigend nickte Satumar.

»Komm Ramura«, rief mich da Amandiel. »Der Bürgermeister erwartet dich.«

Genervt stöhnte ich auf, als ich Satumars Hand wieder in meiner spürte. »Ich bin bei dir«, flüsterte er, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ohne ihn würde ich hier verloren gehen. Ich mochte noch nie Menschenmassen, was wahrscheinlich daran lag, dass ich nie viele Menschen um mich herum hatte. Nur unsere Bediensteten und meine Eltern. Auch wenn in diesem Dorf nur etwa ein Viertel so viele Menschen lebten, wie in Kamares, waren es für mich schon sehr viele Menschen. Kaum einen kannte ich. Wenn dann nur vom sehen her. Mit Namen kannte ich hier niemanden. Zwar hatten mir einige ihre Namen gesagt, nur hatte ich diese meist direkt darauf vergessen. Ich war noch nie gut darin mir Namen zu merken.

Amandiel ging vor und Satumar und ich liefen ihm hinterher. Beide liefen ruhig durch Trauben von Menschen, während ich versuchte mich so klein wie möglich zu machen.

Wie eine Mantra wiederholte ich in meinem Kopf das, was meine Mutter zu mir gesagt hatte, als ich das erste Mal in Kamares war. Kopf hoch, Augen geradeaus und Schultern zurück. So gut es ging versuchte ich dies in die Tat umzusetzen, doch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich mich kleiner machen wollte.

Zielsicher führte uns Amandiel mal nach links, dann nach rechts, immer auf der Suche nach dem Bürgermeister.

Nach ein paar Minuten hatte ich schon aufgegeben, dass wir ihn finden, als Amandiel uns bedeutete hier stehen zu bleiben und meinte, dass er kurz dem Bürgermeister Bescheid geben würde, dass ich da sei. Nach diesen Worten ging er noch zehn Schritte, bis er bei einem hochgewachsenen Mann ankam. Dieser war dünn, dafür aber sehr stark, jedenfalls seinen Armmuskeln nach zu urteilen. Seine Haare waren braun und er trug sie kurz geschnitten. Seine stechend blauen Augen starrten zu mir, als Amandiel auf mich zeigte.

Kurz wand ich mich unter seinem durchdringendem Blick, bevor ich mich selbst einen Feigling schalt und den Blick des Bürgermeisters stur erwiderte. Etwas überrascht blinzelte dieser, bevor er sich anwandte und wieder zu Amandiel sah. Dieser sah mich kurz entschuldigend an, bevor er sich auch seinem Gesprächspartner zuwandte. Eine Zeit lang unterhielten sich die Beiden noch, bevor Amandiel zu uns kam, sich entschuldigte, dass es so lange gedauert hat und uns dann zum Bürgermeister brachte.

Satumar bemerkte wohl meine Unsicherheit und meinen Unwillen, denn er drückte erneut meine Hand und flüsterte mir ins Ohr: »Alles ist gut Ramura. Ich bin bei dir. Wenn du nicht mit ihm reden willst, dann gehen wir sofort.«

»Danke«, murmelte ich daraufhin.

Dann waren wir auch schon beim Bürgermeister angelangt. »Ramura«, begrüßte dieser mich. »Darf ich mich vorstellen? Ich bin Uriel, Bürgermeister dieses wunderschönem Dorfes.«

»Freut mich deine Bekanntschaft zu machen«, murmelte ich leise, was mir einen fragenden Blick einbrachte. Er hatte wohl meine Unsicherheit bemerkt.

»Keine Angst, ich beiße nicht«, versuchte er die Stimmung zu lockern, versagte aber kläglich. Selbst Amandiel blickte überlegend zwischen uns hin und her. Seinem Blick nach zu urteilen überlegte er gerade, ob es eine gute Idee war uns vorzustellen. Zu welchem Schluss er kam weiß ich nicht, denn ich sah wieder zum Bürgermeister, der erneut angefangen hatte zu reden.

»Gefällt es dir hier?«, fragte er gerade.

»Ja«, antwortete ich mit etwas kräftigerer Stimme. »Es ist schön hier und alle sind sehr nett.«

»Das ist schön zu hören«, grinste Uriel, was ihn mir noch unsympathischer machte.

Langsam nickte ich, darauf bedacht ihn nicht aus den Augen zu lassen. Ich konnte nicht sagen wieso, aber ich hatte Angst vor Uriel. Irgendetwas hatte er an sich, dass sich bei mir alle Nackenhaare aufstellten. An meinen Armen und Beinen bekam ich eine Gänsehaut und es fröstelte mir.

»Wie lange willst du denn noch in unserem Dorf verweilen?«, fragte er, ungeachtet dessen, dass er einen scharfen Seitenblick von Amandiel bekam.

»So lange es nötig ist«, knurrte ich.

Etwas überrascht sah mich Satumar an, doch ich ignorierte seinen fragenden Blick und sah stattdessen weiter zu Uriel. Auch dieser war etwas verwundert über meinen Ausbruch, doch steckte er dies mit einem Lächeln weg.

»Natürlich«, schnurrte er. »Ich wollte dich nicht vergraulen«, versuchte er die Wogen zu glätten.

Einen Moment starrte ich ihn noch an, bevor ich mich abwandte.

»Ich habe Durst«, meinte ich zu Satumar. »Kann ich hier etwas trinken?«

Satumar nickte und zog mich sanft von Uriel und Amandiel weg, die uns beide hinterher sahen. Geschickt führte er mich durch Trauben von Menschen, bis zu einem Stand, der in Holzbechern Wasser anbot. Gierig nahm ich mir einen Becher und trank ihn in einem Zug aus. Kühl spürte ich das klare Getränk meinen Hals hinab laufen, bis es sich in meinem Magen verteilte. Dankend sah ich danach Satumar an, der mich dabei still beobachtet hatte.

»Besser?«, fragte er dann, als ich den Becher zurückgab.

Als Antwort nickte ich nur.

»Du kannst Uriel nicht leiden oder vertue ich mich da?«, wollte er danach lachend wissen.

Mit zusammengepressten Lippen lächelte ich ihn an. »Nein«, flüsterte ich.

»Kann ich verstehen. Keiner mag ihn«, lächelte er gequält.

Der rote MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt