Das alte Sofa, das allmählich in seine Einzelteile zerfiel, bog sich unter dem Gewicht der drei Studierenden, die es sich in ihrem Bier-beseelten Zustand drauf bequem gemacht hatten.
Die beiden Männer hatten jeweils einen Arm um das Mädchen zwischen sich gelegt. Sie bemerkte gar nicht die Blicke, die über ihren Körper wanderten, sondern war ganz damit beschäftigt, besoffen und besonnen an die Decke zu starren.
„Wusstet ihr, dass Alkohol die Intelligenz steigern kann? Aber nur bis zu einem gewissen Pegel.", durchschnitt sie die Stille, die der vorige Witz hinterlassen hatte.
„Nein, aber jetzt schon.", brummte der junge Mann zu ihrer Rechten.
Der Linke lachte. „Manchmal hab ich das Gefühl, dass du sogar noch mehr unnützes Wissen hast als ich."
„Nein.", warf der Rechte heftig mit dem betrunkenen Kopf schüttelnd ein. „Das geht gar nicht."
„Du hast zwei Jahre Vorsprung, da hab ich keine Chance.", nuschelte das Mädchen. Dann lachte sie und streckte ihren kribbelnden Körper. „Aber das ist ja auch egal. Ich glaube mit noch mehr Wissen gegen meinen Willen wäre ich überfordert."
„Hm, glaubst du das?" Der Mann zu ihrer Linken beugte sich ihr entgegen.
„Ich glaube dir kein Wort. Du bist viel zu intelligent, um mit Wissen überfordert zu sein.", behauptete der Rechtssitzende so überzeugt, wie es nur ein Betrunkener sein konnte.
„Ihr habt ja keine Ahnung. Gibt es noch Bier?", wechselte sie das Thema.
Die Männer lachten. Der Rechte stand auf. „Ich hätte nie gedacht, dass du dich einfach mit uns zum Bier trinken treffen würdest."
„Ich stecke eben voller Wunder.", war ihre stolz grinsende Antwort.
Ihr linker Sitznachbar brummte bestätigend. „Allerdings."
Sie wandte sich ihm zu. „Was denn?"
Seine Augen klebten förmlich an ihr. Sein betrunkener Wille hatte keinerlei Kontrolle mehr über sie.
„Nichts."
Das Mädchen lehnte sich wieder zurück und sah an die Decke. Dann begann sie zu grinsen. Ihre schwindligen Gedanken hatten einen lustigen Looping gemacht.
„Denkst du auch manchmal darüber nach, was wäre, wenn?"
Er schnaubte. „Ständig."
„Über welches was-wäre-wenn hast du zuletzt nachgedacht?", fragte sie halb neugierig, halb abwesend.
„Willst du das wirklich wissen?"
Jetzt war sie mehr als nur halb neugierig. „Ja, ich denke schon."
„Du hast Glück, dass ich besoffen genug bin, dir das zu erzählen."
„Ach was, so schlimm kann es doch gar nicht sein.", wiegelte sie ab.
Er fuhr sich durch die Haare und ließ seinen Blick schweifen, um nicht noch mehr zu starren. Sie bemerkte immer noch nichts.
„Ich hab zuletzt drüber nachgedacht, was wäre, wenn du keinen Freund hättest.", gestand er in die Stille.
„Echt? Warum das denn?"
„Weil ich dich wahnsinnig gern küssen würde."
Sie runzelte die Stirn. „Aber ich hab doch einen Freund."
„Na und? Das ist ein Grund, kein Hindernis.", sagte ihr rechter Sitznachbar beim Betreten des Raumes. Er stellte drei Dosen Bier ab und ließ sich mit zwei in der Hand wieder neben sie fallen.
„Doch, weil ich nicht so bin und weil ich ihn liebe.", widersprach sie beim Entgegennehmen des Alkohols.
„Woher willst du überhaupt wissen, dass du ihn wirklich liebst?", fragte ihr linker Sitznachbar, während er nach einer der abgestellten Dosen angelte.
„Ich weiß es eben. Wart ihr noch nie verliebt?"
„Doch, klar, aber das hat immer irgendwann aufgehört.", nickte der Mann zu ihrer Rechten.
„Ich würde Verliebtheit auch nicht wirklich als Liebe bezeichnen. Ich meine, das sind nur verrückt spielende Hormone, das geht schnell wieder vorüber.", behauptete der Linke.
„Ja, aber manchmal steckt auch mehr dahinter.", beharrte sie.
Beide Männer seufzten, als wüssten sie etwas, von dem das Mädchen keine Ahnung hatte. Der Rechtssitzende kommentierte ihr Statement: „Woher willst du wissen, dass mehr dahinter steckt? Glaubst du wirklich an die wahre Liebe?"
Sie lächelte selig. „Ja, ich glaube daran, auch wenn ich deswegen vielleicht naiv bin."
Der Mann zu ihrer Linken schnaubte abfällig. „Und du meinst, dass dein Freund deine wahre Liebe ist? Woher willst du das wissen?"
„Ich weiß es eben."
Ihr rechter Sitznachbar gab sich nicht damit zufrieden. „Aber woran merkst du, dass es Liebe ist? Und dann auch noch die richtige, echte, wahre Liebe?"
Sie lehnte sich zurück und schaute wieder an die Decke.
„Man weiß es, wenn es so ist. Es ist... das Erkennen, wenn es soweit ist. Damit fängt es an. Das ist wie ein Blitz, der alles auseinanderreißt und irgendwie wach rüttelt. Das tut schon fast weh. Aber nur fast. Weil dann das Gefühl kommt, dass man komplett ist. Vorher hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass etwas fehlt, und dann war es auf einmal weg."
Der Mann zu ihrer Linken zweifelte kopfschüttelnd: „Das klingt so, als hättest du das aus einer Schnulze geklaut. Das kann nie im Leben so sein."
Ein leises Lächeln kroch über das Gesicht des Mädchens.
„Es ist aber wirklich so. Liebe ist... komplett zu sein mit dem anderen. Ein Zuhause zu haben, einen Fels in der Brandung und einen Anker im Sturm. Liebe ist, wenn das Wohl des Anderen plötzlich wichtiger ist als das eigene. Wenn man sein Leben geben würde, damit er seines leben kann. Wenn das oberste Ziel ab sofort das Glück des anderen ist, koste es, was es wolle. Liebe ist so krass, dass es manchmal fast wehtut, aber sie kann alle Wunden heilen. Liebe ist sich in einem anderen Menschen zu finden. Dem anderen in die Augen sehen und... weinen zu wollen vor Glück."
Ihre beiden Trinkkumpanen schwiegen und gönnten sich nach der Ansprache erst einmal ein paar ordentliche Schlucke Bier.
Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, durchbrach ihr rechter Sitznachbar die Stille, in der der betrunkene Geist des Mädchens seine eigenen Erkenntnisse zu verarbeiten versuchte.
„Ich glaube Betrunkene sagen die wahrsten Dinge. Nüchterne Menschen sehen alles viel zu... nüchtern."
Die Frau lachte. „Ja, die Welt ist schön und scheiße. Wahrer geht's nicht."
„Ich finde, wir sollten darauf anstoßen.", hob ihr linker Sitznachbar feierlich an. „Und wenn das Bier leer ist, werde ich nach Hause gehen und ein bisschen weinen, weil du deine wahre Liebe gefunden hast und ich nicht."
Alle lachten, weil sie dank des Alkohols nicht anders konnten, auch, wenn sie es lieber gelassen hätten.
„Prost ihr Säcke!"
„Prost du Sack! Es leben die Bier-beseelten Weisheiten!"
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Bier-beseelte Weisheiten
Cerita Pendek"Denkst du auch manchmal darüber nach, was wäre, wenn?" "Ständig."