Am nächsten Tag verlasse ich schneller als sonst, ohne mich von irgendjemanden zu verabschieden das Schulgelände. Heute ist als ich in die S-Bahn steige nicht mein Zuhause mein Ziel, sondern die Innenstadt und das Gebäude der FAO (Family Analytics Organisation). Als Logan sich gestern Abend, nach einem gemeinsamem Abendessen mit meinen Eltern, bei dem er das Thema schule wie ein Seefahrer eine Klippe umschifft hat, sich auf den Weg nach Hause gemacht hat, habe ich mich sofort an mein Tablet gesetzt um mit Tipps von Clay zu recherchieren, wo ich Informationen über meine Familie bekomme. Ziemlich schnell bin ich auf die Seite der FAO gestoßen, die sich mit der Familien Geschichte aller Bewohner von York beschäftigt und durch DNA Analysen Stammbäume und Familienverhältnisse erstellt. In diesen Stammbäumen, die dort nur Vorort abzurufen sind, ist nicht nur meine Vollständige Familie aufgelistet, sondern auch deren Berufe und das C.B. Programm an denen sie teilgenommen haben. Was soweit alle sind, seit die Cyborg Technologie so großflächig auf die Bevölkerung angewandt wird. Meine Familie gilt laut Gerüchten, die mir Kira und Clay erzählt haben, als eine DER Cyborg Familien, weil sich keiner dazu entschlossen hat sich den Aussätzigen anzuschließen. Ich vergleiche das immer mit den Reinblütigen Familien aus den Harry Potter Büchern. Was meine Eltern zwar überhaupt nicht lustig finden, da diese Familien meist Halbblüter und Muggelstämmige diskriminiert haben und Hauselfen, also Sklaven, gehalten haben, was meine Eltern natürlich nie tun würden. Letztendlich machen sie sich aber eh nur sorgen um ihren Ruf und haben Angst, dass ich solche Gedanken mit der Öffentlichkeit teilen würde. Aber ehrlich. Das würde ich niemals tun. Allgemein glaube ich, dass ich nichts tun würde, was meiner Familie schadet, dazu sind sie mir viel zu wichtig.
Als die S-Bahn in das Regierungsviertel fährt, öffnen sich bei der ersten Haltestelle alle Türen und leicht bewaffnete (??) Kontrolleure eilen in den Waggon, die jeden einzelnen Fahrgast kontrollieren. Ich bin es schon gewohnt, weil ich schon öfters mit meinem Vater und der Schule hier war, doch manche Fahrgäste, die noch nie auf diese Weise kontrolliert wurden, schauen etwas verstört drein. Die Kontrolle dauert nicht lange. Nach 4 oder 5 Minuten ruckt es und die Bahn setzt ihren Weg fort. Bei meiner ersten Fahrt ins Regierungsviertel hatten mir die großen, schwarz angezogenen Männer, mit ihren Pistolen am Gürtel Angst gemacht, so dass ich mich hinter meinen Vater versteckt habe. Ich hatte das Gefühl er würde mich vor den bösen Männern beschützten. Später erklärte er mir, dass die Männer gar nicht böse seien und uns nur kontrollieren würden damit uns und den anderen Fahrgästen nichts passiert. Jahre später bin ich schlauer und weiß aus der Schule das einmal Aussätzige versuchten die Cyborg Labore in die Luft zu sprengen, was zwar schief ging, dennoch wird seit dem jeder Besucher des Regierungsviertels strengstens kontrolliert, damit auch der Versuch eines Anschlags verhindert werden kann.
Das Regierungsviertel ist prunkvoller als der Stadtteil in dem ich lebe. Natürliche dominieren weiße Blockbauten, doch hin und wieder sticht ein am Barocken Stil orientiertes Gebäude zwischen den anderen heraus. Diese besonderen Gebäude sind meistens Museen, zu den ich schon mit der Schule den ein oder anderen Ausflug gemacht habe, oder Häuser von politischen Vertretern. Immer weiter dringt die Bahn zum Kern unserer Stadt vor, dessen Mittelpunkt das Regierungsgebäude darstellt. Zwei Haltestellen vor der Endstation steige ich aus und gelange mit Hilfe einer App auf meinem Handy innerhalb einer Viertelstunde zum Gebäude der FAO. Als ich das hohe, aus Glas und weißen Stein bestehende Haus durch eine Glastür betrete, kommt mir sofort eine Mitarbeiterin entgegen und fragt mich nach meinem Wünschen.
„Ich würde gerne den Stammbaum meiner Familie ansehen."
„Folgen Sie mir bitte" sie lächelt mir professionell zu, nimmt mir meine Jacke ab und führt mich in einen kleinen Raum.
„Dann würde Sie Bitten, mir eine Speichelprobe zu geben", sie hält mir ein Wattestäbchen unter die Nase, „um Ihre genaue Familie zu bestimmen."
Die Wissenschaft und die Technologie zur DNA Analyse ist mittlerweile so ausgereift, dass es nur noch ein paar Minuten dauert die DNA zu bestimmen und umso die genauen Familienverhältnisse zu allen Menschen in unserer Stadt. Sobald der Stammbaum anhand von DNA nicht mehr zurückverfolgt werden kann, verlassen sich die Stellen auf Altmodische Methoden wie Kirchenbücher.
Da ich die Prozedur kenne, nehme ich das Wattestäbchen entgegen und fahre mir damit durch den Mund. Die Mitarbeiterin nimmt mir das Stäbchen ab, steckt es in eine Dose und verschwindet durch eine Tür, nachdem sie mich gebeten hat auf einem der Plastikstühle, die in dem Raum stehen, Platz zu nehmen.
Nach ein paar Minuten kehrt sie zurück.
„Bitte gehen Sie durch die Tür dort. Mein Kollege wird sich um Sie kümmern"
„Dankeschön", ich folge ihrem ausgestreckten Arm durch die Tür, auf deren anderer Seite ich direkt von ihrem schon erwähnten Kollegen in Empfang genommen werde, der mir den Weg einen bestimmt fünf Meter hohen Raum zeigt. In diesem Raum stehen in gleichmäßigen Abstand Tische mit Computern, von denen fast alle besetzt sind. Ich werde zu einem noch freien Platz geleitet und dann, nach einer kurzen Einführung in das Programm, alleine gelassen. Ich scrolle von oben nach unten durch den Stammbaum. Angefangen im 17. Jahrhundert. Hier steht noch nichts von der Cyborg Technik. Nur Geburts- und Sterbedaten. Trotzdem folge ich interessiert den Verzweigungen die sich vor mir auftun. Als ich im 20. Jahrhundert ankomme habe ich keine Geduld mehr und ich scrolle weiter nach oben bis zum Beginn des C.B. Programms. Ich notiere mir ein paar Programme meiner Vorfahren. Merke aber, dass mich das nicht wirklich weiter bringt. Viel mehr werde ich noch unüberlegter. So viel Auswahl. Und ich muss mir da bis in zwei Monaten etwas heraus suchen. Schließlich komme ich nach ganz unten. Zu heute. Zu meinem Namen. Wie erwartet steht bei der Wahl des C.B Programms noch nichts. Auch bei meinen Eltern ist alles normal. Erst als ich meinen Blick schweifen lasse, keuche ich erschrocken auf. Halte mir schnell eine Hand vor den Mund, da der Mann neben mir seinen Kopf gehoben und mich genervt angeschaut hat. Das kann nicht sein. Meine Gedanken in meinem Kopf fangen an sich zu drehen. Das kann nicht sein. Das muss falsch sein. Hier muss irgendein Fehler passiert sein.
Wie in Trance schließe ich das Programm und mache mich ohne ein Wort des Abschieds auf den Weg nach Hause. Wie ein Mantra wiederhole ich immer wieder die gleichen Worte in meinem Kopf. Ich habe eine Tante. Sie ist eine Aussätzige.
YOU ARE READING
Nirnay
Science FictionWenn du eine Entscheidung treffen musst, die über deine gesamte Zukunft entscheiden wird.