In den darauffolgenden Wochen statte ich den beiden immer wieder einen Besuch ab. Manchmal, wenn Marie nicht da ist, verbringe ich einen ganzen Nachmittag nur mit Josh, bei denen wir nicht selten auch einfach stundenlang nebeneinander auf der Veranda sitzen und lesen oder über unsere Lieblingsromane diskutieren. Und an manchen Tagen mache ich mit Marie stundenlange Spaziergänge. Sowohl die Nachmittage mit Josh, als auch die mit Marie gehören zu den schönsten in meiner Woche. Ich habe das Gefühl als würde ich die beiden schon mein Leben lang kennen. Die kleinen Diskussionen mit Josh stellen eine wunderbare Ablenkung von den langweiligen Nachmittagen da, die ich mit Logan verbringe. Nicht selten überlege ich, während ich gerade mit Logan zusammensitze, mir neue Argumente und Kommentare mit denen ich Josh ärgern kann. Unser Verhältnis ist leicht und freundschaftlich. Ich habe nie das Gefühl ihm etwas verschweigen zu müssen oder etwas nicht sagen zu dürfen. Sowohl mit Josh, als auch mit Marie kann ich über meine Unsicherheit wegen der Wahl reden. Josh lässt zwar immer wieder die Meinung, ich solle gar nicht an einem C.B. Programm teilnehmen, raus hängen, doch letztendlich wird er sich mit meiner Entscheidung abfinden und sie akzeptieren, dass weiß ich. Auch er erzählt mir immer mehr von seinem alten Leben. Von seinen Freunden und seinen Eltern.
Seit meinem ersten richtigen Gespräch mit Josh habe ich gemerkt, dass ich anfange alles kritischer zu sehen. Ich fange an das System in dem ich lebe zu hinterfragen, was mir von meinen Eltern beim Abendbrottisch schon den ein oder anderen seltsamen Blick eingebracht hat. Über Marie haben meine Eltern immer noch kein Wort verloren, stattdessen reden sie die ganze Zeit auf mich ein und versuchen mich für eines der Cyborg Programme zu begeistern. Es gibt schon ein paar die mich ansprechen würden, ein Auge zum Beispiel, aber immer dann habe ich Josh vor Augen, dessen Körper von der Technologie kaputt gemacht wurde. Wenn mein Vater dann stolz von einer erfolgreichen Operation berichtet, frage ich mich immer, wie es den Patienten wohl in ein paar Monaten geht und ob die Prothese immer noch ein Teil seines Körpers sein wird. So fängt meine anfängliche Sicherheit, dass ich auf jeden Fall mich an einem Cyborg Programm anmelden werde, immer mehr an zu schwinden. Manchmal liege ich abends stundenlang wach und male mir aus, wie meine Eltern wohl reagieren würden, wenn ich ihnen verkünden würde, dass ich nicht an einem Cyborg Programm teilnehmen werde. Wahrscheinlich würde es mir wie Marie gehen. Ausgeschlossen und verbannt aus der Familie.
Mittlerweile habe ich auch Kira von meiner Tante erzählt. Ihre anfängliche Skepsis ist verschwunden und auch sie interessiert sich wie Clay, der viel Zeit mir Leonard verbringt, für das Leben der Aussätzigen. Immer wieder will sie, dass ich sie mitnehme und meiner Tante vorstelle. Doch ehrlich gesagt, ist mir bei der Sache nicht ganz Wohl, so dass ich sie immer wieder abgewimmelt habe.
Es ist ein sonniger Spät Mai Nachmittag als ich Tante Marie und Josh nach einer langen anstrengenden Schulwoche endlich wieder besuchen kann. Diesmal habe ich meine Eltern mit der Ausrede, ich würde zu einer Lesung mit anschließender Diskussionsrunde gehen, abgespeist. Sie finden es toll, wenn ich mich kulturell weiterbilde.
Josh erwartet mich schon an der Tür und zieht mich in das nach Kuchenduftende Haus. Ich reiche ihm meinen Beutel mit Büchern, die ich für ihn mitgebracht habe.
„Danke. Ich hoffe, da ist mal was gutes dabei. Nicht so etwas wie Percy Jackson." Er grinst mich an.
„Hey", ich strecke ihm die Zunge raus, „ Nichts gegen Percy Jackson. Damit verletzt du nicht nur das Buch, sondern auch mich."
„Es tut mir leid", gespielt reumütig schaut er mich von unten an, „ ich wusste nicht, dass dein Bücherherz so leicht zu brechen ist."
Mit der Hand auf dem Herz lehne ich mich gegen seinen Rollstuhl, „wenn du so weitermachst wirst du es irgendwann töten. Dann hast du niemanden mehr, der dir absolut tolle Bücher mitbringt, ohne die du an Langeweile sterben würdest."
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Nirnay
Science FictionWenn du eine Entscheidung treffen musst, die über deine gesamte Zukunft entscheiden wird.