Ein Theater zum Sterben

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Palliativstation steht in großenBuchstaben auf einem Schild. Das Gebäude, zu dem dieses Schildgehört, sieht nicht aus wie ein Ort, an dem Menschen sterben. Es istgroß, alt und wunderschön. Wenn mir jemand sagen würde, das seiein Theater oder etwas in der Art, ich würde es ihm sofort glauben.Man betritt das Haus durch eine große, schwungvolle Holztür mitKlinken aus kunstvoll geformten Messing. Auch von innen sieht allessehr einladend aus. Die großen Fenster, lassen die Räume hell undfreundlich wirken. Sogar die Treppe die nach oben führt ist schön.Ich betrachte alles ganz genau und sauge jede Einzelheit in mich auf.Keine Ahnung wieso, aber es kommt mir vor als wäre die Welt hierdrinnen langsamer und man hätte Zeit für so etwas. Wie gesagt, eswirkt nicht wie ein Ort zum Sterben, doch er ist es. Menschen kommenhier her, bevor es zu Ende geht. Es ist so etwas wie ein letzter Haltauf der Reise, der letzte Akt in einem Stück . Mein Opa liegt in einem der vielen Zimmer und wartetdarauf, dass seine Reise vorbei ist,  er spielt seine letzten Szenen. Er hat schreckliche Schmerzenund ist müde, doch er kämpft und will einfach nicht loslassen. Ich gehe hinter Papa die geschwungeneTreppe nach oben. Wir fragen eine der Schwester in welches Zimmer wirmüssen und sie zeigt uns den Weg.


Opa. Nur noch ein Schatten von demMann, der er einmal war. Abgemagert und blass liegt er in weißeLaken gehüllt da. Er atmet rasselnd. Ich kann diesen Anblick kaumertragen. Die Tränen brennen schmerzhaft in meinen Augen. Als er unssieht, leuchten seine Augen kurz auf. Scheinbar erkennt er uns, aberdas Leuchten verschwindet so schnell, wie es gekommen ist. Zurückbleibt nur Leere und Tod. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bisseine Augen nie mehr leuchten. Langsam bahnt sich eine Träne den Wegmeine Wange hinab, über mein Kinn, bis sie mir auf den Pulli tropft.Nein, Nein, Nein. Ich will das nicht! Er darf einfach noch nichtsterben, aber es ist unvermeidlich.


Ich kann nicht einschlafen. Es istMittwoch. Die ganze Woche sind wir zwischen Krankenhaus und Daheimhin und her gefahren. Ich habe Opa noch nicht gesagt, dass ich ihnlieb habe. Eine unglaubliche Panik steigt in mir auf. Was ist wennich die Gelegenheit dazu verpasst habe? Ich atme schwer. Etwasschnürt mir die Brust ab. Ich muss es ihm sagen. Sofort, aber es istmitten in der Nacht. Unruhig wälze ich mich hin und her. Irgendwannüberfällt die Erschöpfung der letzten Tage dann doch meinen Körperund ich schlafe ein.


Müde Augen, die von dunklen Ringenumgeben sind, blicken mir aus dem Spiegel entgegen. Meine Nase istrot vom Weinen. Die Haut an meinen Armen wund und blutig gekratzt.Rote Flecken zieren meinen Hals. Der Stress macht sich bemerkbar.Auch die Haare hängen mir nur matt und ungewaschen ins Gesicht. Icherkenne mich selbst kaum wieder. Wie ein Roboter ziehe ich mich an,putze die Zähne und steige dann mit Mama und Papa ins Auto, umwieder zu Opa zu fahren.


Wir sitzen in dem dunklen Zimmer anOpas Bett. Keiner von uns sagt ein Wort. Das einzige Geräusch istdas Rasseln, bei jedem von Opas Atemzügen. Ob ich dieses Geräuschwohl je wieder vergessen werde? Seine Augen sind halb geschlossen. Erschläft, wird aber alle paar Minuten wach und gibt schrecklicheLaute von sich. Er muss heftige Schmerzen haben. Nicht einmal die Medikamente helfen ihm. Papa hat wohl auch genug von diesemherzzerreißenden Schauspiel. Er steht auf und legt eine CD ein. Derkleine Raum wird von Blasmusik erfüllt, die ich nur zu gut kenne.Die Band hat an Mama und Papas Hochzeit gespielt und am Stammtisch.Während leise die Melodie von „I can't help falling in love withyou" erklingt, versinke ich in Erinnerungen. Die Tränen kommen wievon selbst. Ich habe schon lange keine Kraft mehr, siezurückzuhalten.

Das Lied ist zu Ende und die Musikverstummt. Draußen ist es bereits dunkel. War es überhaupt hellheute? Ich kann mich nicht mehr erinnern „Zeit nach Hause zufahren", sagt Papa. Ich stehe auf und gehe um das Bett herum. Ichnehme Opas Hand. Er öffnet die Augen. Schafft es kaum sie offen zuhalten. „Ich hab dich lieb!", meine Stimme klingt stärker alsgedacht. Da ist es wieder das kurze Aufleuchten in seinen Augen. „Ichdich auch", sagt er. Schon wieder laufen die Tränen über meineWangen.


Ich bin mit Caro einen Kaffee trinken.Das erste Mal in dieser Woche bin ich nicht mit ins Krankenhausgefahren. Ich habe eine Pause gebraucht. Auf dem Heimweg rufe ichPapa an, um ihn zu fragen, ob er mich nachher abholt, damit ich Opaheute auch noch sehen kann. „Ja, wir kommen dann zu Caro", sagtPapa. Er ist tot, schießt es mir durch den Kopf. Papa klang komisch.Ich sitze auf Caros Bett, als es klingelt. Mama und Papa kommenherein und Knien sich vor mich. Ich höre kaum was Papa sagt.Eigentlich sollte ich jetzt weinen und traurig sein, denke ich, aberich fühle nichts. Caro umarmt mich. Immer noch nichts. Nur Leere.


Papa und ich sitzen im Auto. Wir fahrenins Krankenhaus. Ich wollte Opa noch ein letztes Mal sehen, sonstglaube ich es nicht. Mein Körper will nicht realisieren was passiertist. Wir betreten das Haus in dem die Paliativstation liegt. Es wirktimmer noch mehr wie ein Theater, als ein Haus in dem Menschen imSterben liegen.

Opa liegt im Bett. Um ihn herum habendie Pfleger Blumen gestreut und in den Händen hält er dasKuscheltier, das Alica ihm geschenkt hat. Sein Mund ist weitgeöffnet. Unter seinem Kinn klemmt ein Handtuch. Vermutlich, umseinen Kiffer zu stützen. Kurz bilde ich mir ein, er würde atmen.Ja, ich bin mir ganz sicher, er schläft nur. Ich ziehe einen Stuhlans Bett und setzte mich. Lange betrachte ich ihn, doch es kommt keinAtemzug. Dann endlich, fühle ich den Schmerz. Heftige Schluchzerlassen meinen zierlichen Körper erzittern.

Der Vorhang schließt sich. Das Stück ist zu Ende. Doch das Publikum applaudiert nicht. Es kämpft mit den Tränen, schockiert, von dem was es gesehen hat.


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⏰ Last updated: May 14, 2019 ⏰

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