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Carla.

Nachdem wir unser Dessert dann auch gegessen haben, begebe ich mich auf die Toilette. Dort erledige ich kurz mein Geschäft und wasche mir dann meine Hände, ehe ich noch meine Lippen mit dem roten Lippenstift nachziehe. Denn Dardan hat mir gesagt, dass wir danach noch etwas durch die Stadt gehen werden. Keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, mit diesen Schuhen und in dieser Kälte mit dem Kleid herum zu laufen. Aber wenn ich mit Dardan dafür mehr Zeit verbringe, nehme ich es gerne in Kauf.

Als ich wieder zurück komme, legt Dardan gerade etwas in einen dieser Umschläge, welche aus schwarzem Leder besteht. Anscheint hat er schon nach der Rechnung verlangt.

Er nimmt mich dann auch erst wahr, als ich mich wieder an den Tisch gesetzt habe. „Schon bezahlt?", frage ich ihn lächelnd.

„Ja, wir können los, wenn du willst", erwidert er mein lächeln, worauf ich nur nicke und wir dann zusammen aufstehen.

Gerade will ich nach meiner Jacke greifen, als Dardan mir zuvor kommt und mir hilft diese anzuziehen. Dankend lächle ich ihn an und ziehe es Ärmel für Ärmel an. Ich liebe es, wie er so oft es nur geht, versucht, ein Gentleman zu sein.

Nachdem er dann auch seinen Mantel übergezogen hat, verlassen wir das Gebäude und befinden uns wieder in der Stadtmitte. Sofort holt er sich seine Zigaretten Schachtel heraus und bietet mir ebenfalls eine an.

Ich sollte eigentlich damit aufhören, denke ich mir und nehme mir trotzdem eine. Sterben würde ich so oder so.

Während wir rauchen, sprechen wir über seinen vielleicht Trip nach Amerika, wo er einen Teil der Familie hat. Nahe Bekannte. Er hat sie seit Ewigkeiten nicht gesehen und will sie daher auch besuchen.

Sein Plan über Silvester nach Amerika zu fliegen, macht mich etwas traurig. Nicht nur deshalb, weil er nicht hier wäre, sondern auch, weil meine Pläne jedes Jahr die selben sind. Genau so wie an Weihnachten.

„Du hattest nur einen Freund, richtig?", fragt er mich, was mich kurz aus der Fassung bringt. Wieso fragt er mich das?

„Ja, wieso?", hake ich nach und nehme seine Hand an, welche er zu mir hält. Wir laufen zusammen los und ich blicke mich immer wieder in der Gegend um. Ich bin nicht selten in Stuttgart. Immerhin ist meine Uni sowie meine Arbeit hier. Aber ich komme selten in die Stadt.

„Das heißt, du hast noch nie mit deinem Freund Silvester gefeiert, oder?", fragt er weiter nach und zieht mich näher an sich. Er lässt kurz von meiner Hand ab, um sie mir über die Schulter zu legen. Ich schaue zu ihm hoch und lächle leicht. Dabei greife ich mit der linken Hand nach seiner, welche über meine Schulter hängt.

„Wieso machst du dir darüber Gedanken?", lächle ich ihn immer noch an und blicke dann nach vorne.

Da heute Freitag ist, sind viele Jugendliche auf den Straßen zu sehen. Viele Mädchen, die fast so wie ich aufgepeppt durch die Straßen laufen um Feiern zu gehen. Aber auch sehr viele Jungs sind zu sehen, welche irgendwelche Dummheiten machen und das nicht gerade leise.

„Ich weiß nicht", zuckt er mit den Schultern. „Wenn es um dich geht, mache ich mir halt viele Gedanken." Ich spüre seine Blicke auf mir ruhen, weshalb ich zu ihm hoch schaue. Trotz meinen Schuhen, sind wir nur minimal auf Augenhöhe. Ohne diese Schuhe komme ich ihm gerade mal bis zu den Schultern. Wenn nicht sogar kleiner. Aber er ist halt auch ein Riese. „Ich finde, dass es für alles ein erstes Mal gibt. Und bei dir möchte ich so viele erste Male erreichen, wie nur möglich, Valentina."

„Was wären denn so diese ersten Male, die du erreichen möchtest?", frage ich ihn und lehne meinen Kopf an seinem Oberarm.

„Das mit Silvester würde ich gerne ändern, zum Beispiel", fängt er an, doch stoppt wieder. „Bist du außer mit Micah überhaupt mit einem anderen Kerl gereist?" Ich schüttle den Kopf. Damals war ich zu jung dafür. Heute würden es mir meine Eltern sogar erlauben. „Dann auch das. Aber nicht in Länder, wo jeder hinfliegen würde. Eher so Orte, die anders sind."

Ich bleibe stehen, und bringe ihn auch dazu. Der Albaner schaut mich verwirrt an. Mir geht ein komischer aber auch positiver Gedanke durch den Kopf, und das muss ich ihm jetzt einfach sagen.

„Ich weiß, dass passt jetzt überhaupt nicht zum Kontext, aber ich muss das jetzt loswerden", lächle ich ihn an. „Ich erinnere mich noch daran, dass du mir mal gesagt hattest, dass du dir lieber beim Kennenlernen Zeit lassen willst und in dieser Zeit mehr von mir wissen willst."

„Und?", fragt er mich ungeduldig und beißt sich leicht auf die Lippen.

„Ich bin froh, dass du das gesagt hast", kurz blicke ich auf den Boden und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht, ehe ich ihn wieder anschaue. „Auch wenn es mittlerweile drei Monate her ist, dass wir uns kennengelernt haben, würde ich sogar noch weitere drei Monate so weiter machen. Hauptsache ich bin ein Teil deiner Gedanken. Das macht mich einfach glücklich zu wissen, dass du an mich denkst und dir sogar Zeit dafür nimmst, obwohl du sie sicher nicht hast." Dardan lächelt mich an und will ansetzen zu sprechen, doch ich rede einfach weiter. „Ich möchte zwar nicht an ihn denken, aber damals habe ich mich wirklich zu schnell auf Riccardo eingelassen und es hat in einem Desaster geendet. Ich kannte ihn kaum und war bestimmt nach drei, vier Wochen mit ihm zusammen. Aber bei dir, bei uns ist das einfach anders."

Ich zittere leicht. Keine Ahnung, ob es an meinen Worten liegt und ich nicht weiß, was Dardan nun antworten würde oder ob es an der frischen, wirklich kalten Luft liegt. Auch ihm ist es schon aufgefallen, weshalb er sich sofort seine Jacke auszieht und sie mir über meine Schultern legt.

„Ich bin froh, dass du damals deinen Bus verpasst hast und ich dir somit einen Kommentar geben konnte", lacht er leise auf und hält seine Jacke noch am Kragen fest. „Mein Leben wäre zwar immer noch geil, aber mit dir ist es anders. Und dafür bin ich Gott dankbar."

Nachdem er das gesagt hat, erwidere ich nichts als ein Lächeln und zusammen laufen wir weiter. Je tiefer wir in die Stadt gehen, desto lauter wird die Musik. An vielen Ecken sind Kneipen zu sehen, aber auch Dönerbuden, die immer noch geöffnet haben.

„Sag mal, was hast du eigentlich gedacht, als ich im Bus saß und dir meinen Mittelfinger gezeigt habe?" frage ich ihn grinsend und schaue zu ihm hoch.

Er kräuselt kurz die Nase und zieht dabei seine Augenbrauen zusammen, ehe er ebenfalls zu mir runter blickt. „Ich war voll abgefuckt, weil ich keine Ahnung hatte, was das sollte. Aber dann ist mir auch klar geworden, warum du es gemacht hast. Meine letzte Aussage zu dir war wirklich nicht cool."

Ich lache nur kurz auf und lege meinen Kopf erneut an seinen Arm. „Und was hättest du gemacht, wenn ich dir von Anfang an gesagt hätte, das ich keinen Freund habe?"

„Ich hätte mir sofort deine Nummer geklärt", lacht er ebenfalls. „Du warst recht cool und selbstbewusst an dem Abend und solche Menschen findet man nicht mehr. Vor allem Menschen, die ehrlich mit einem umgehen können."

„Ja. Mir liegt viel daran", nuschle ich.

„Das weiß ich mittlerweile auch", seufzt er. „Aber es kommt nicht mehr vor, dass ich dir was verheimlichen werde. Ich möchte dich nämlich nicht ein zweites Mal verlieren."

Ich lehne mich etwas von ihm weg und sehe ihn grinsend an. „Gib's zu, du willst mich einfach nicht wieder anbetteln, dass ich bleiben soll", grinse ich ihn an und schlage ihn dabei leicht gegen seine Schulter.

„Kennst du den Song von Russ, begging you?", fragt er mich einfach und bleibt dann wieder stehen. Doch ich bemerke etwas weiter entfernt einen Wagen. Sieht aus wie die Limousine, mit welcher wir gekommen sind.

„Ja wieso?", schaue ich ihn verwirrt an.

„Manche Lines erinnern an mich und der Refrain eher an dich. Also als würde ich es dir sagen oder du mir", erklärt er mir dann.

Begging you. Natürlich. Jemanden anflehen. Er hat mich an jenem Tag mehrmals angefleht zu bleiben.

Mittlerweile bereue ich es, dass ich nicht geblieben bin, um es zu klären. Aber wahrscheinlich wäre es dann niemals so weit gekommen, wo wir jetzt stehen.

„Wenn ich jemals wieder den Gedanke haben sollte, zu gehen, dann erinnere mich an den Song. Flehe mich an. Egal was es kostet, Dardan", sage ich mit einer zitternden Stimme. „Egal wie unmännlich das für dich oder außenstehende erscheint, lass mich einfach nicht los."

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt