Tod

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Ein dumpfes Geräusch holt mich aus meinem Traum, überrascht öffne ich die Augen. 

Ich spüre sofort, dass Ben nicht mehr neben mir liegt, doch es braucht eine Weile, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Vorsichtig taste ich mich zu der Lampe auf dem Nachttisch vor, schalte sie ein und kneife die Augen zu, so hell wie es plötzlich ist. 

Niemand ist zu sehen, niemand sonst scheint im Apartment zu sein, doch auf dem Flur höre ich Stimmen. 

Mein Handy verrät mir, dass es halb 3 in der Nacht ist, irgendwas stimmt hier also nicht. Rasch ziehe ich mir meine Jogginghose und ein T-Shirt über und begebe mich in den Flur. 

Ich folge den Stimmen in den ersten Stock. 

David diskutiert wie wild mit Cem, Michael hält ihn fest und Cleo und zwei andere Frauen stehen daneben. Cleo schüttelt den Kopf, hält sich den Bauch. Die andere Frau weint. Auch David hat Tränen in den Augen und Michael ist leichenblass. 

"Was ist hier los?", frage ich in die Menge hinein. Niemand scheint mich zuvor bemerkt zu haben, denn sie drehen erschrocken ihre Köpfe in meine Richtung. 

David schaut mich nur kurz an, dann nutzt er den Moment und löst sich von Michael. Cem und Michael springen in seine Richtung und versuchen ihn zu packen, doch es gelingt ihnen nicht. Wie wild diskutieren alle und reden auf David ein. 

Nun kommen Sascha und Hunter dazu und erst jetzt schaffen sie es, David zu fixieren. Er schreit und weint und bricht zusammen. Mir steigen Tränen in die Augen, ohne dass ich weiß, was hier eigentlich los ist. 

Unfähig mich zu bewegen, stehe ich einfach im Weg.

Michael nimmt mich zur Seite, schaut mich mit einem wilden, wütenden Blick an.

"Wo ist Ben?", fragt er mich. 

"Ich weiß es nicht, er ist nicht in der Wohnung", sage ich, mein Blick weiter auf David gerichtet. 

"Michael, was ist hier los?" Er seufzt und zündet sich eine Zigarette an. 

"David und Lara hatten einen Streit - mal wieder. Dieses Mal ist sie wutentbrannt aus der Wohnung gelaufen und auf die Straße. Sie wollte sich ein Taxi zu ihrer Schwester nehmen, als ein schwarzer Van kam" 

Er zieht an seiner Zigarette und ich würde sie ihm am liebsten aus der Hand schlagen, weil ich mich nicht gedulden kann. 

"Die Typen haben auf sie geschossen" Sein Gesicht verzieht sich zu einer verbitterten, kalten Miene. Er presst die Lippen fest aufeinander und wendet seinen Blick von mir ab. 

"Sie haben auf eine schwangere Frau geschossen? Und wer sind diese Typen?" 

Ich greife mir eine Zigarette aus Michaels Schachtel, der mich irritiert ansieht. Er sagt nichts, zündet sie mir an und ich lehne mich gegen die Wand, um nicht umzukippen. Der Rauch, der mir in die Lunge steigt, hat etwas seltsam beruhigendes an sich. 

"Das wissen wir nicht genau, deswegen wundert es mich, dass Ben verschwunden ist" Er ist besorgt, dass Ben etwas dummes tun könnte - und ich auch. 

"Was... was ist mit Lara?", frage ich schließlich. 

"Sie ist im Krankenhaus. Es sieht schlecht aus" 

Ich fahre mir über den Nasenrücken und versuche die letzten 20 Minuten zu verarbeiten. Immer wieder schließe ich die Augen, schüttle den Kopf und frage mich, ob das hier ein schlechter Traum ist. 

Hunter kommt auf uns zu. 

"Ich habe Cleo in die Wohnung zurückgebracht. Sie sah nicht gut aus. Kommst du klar, Maria?" 

Automatisch nicke ich. 

"Ihr müsst Ben finden, ich mache mir Sorgen." 

An Hunters Blick erkenne ich, dass auch er sich Sorgen macht. 

"Das werden wir. Wir brechen gleich auf, wenn die anderen hier sind, um auf euch aufzupassen" 

15 Minuten später machen sie sich auf den Weg und wir gehen zurück in unsere Wohnungen. 

Als ich an Davids Wohnung vorbeikomme, höre ich ein leises Weinen. Ich klopfe sanft an die Tür und es verstummt. Da keine Reaktion kommt, prüfe ich, ob ich die Tür öffnen kann. Ich drehe den Knauf und als ich eintrete, sitzt David im Schneidersitz vor seinem Bett.

Ich war noch nie in seiner Wohnung, aber sie ist so ähnlich aufgebaut wie Bens. 

Ich entdecke das Kinderbett vor dem Fenster und meine Brust zieht sich zusammen. 

"Hey", flüstere ich und mir läuft unbemerkt eine Träne über die Wange. Er sieht mich nur an und starrt wieder auf den Boden.

"Es tut mir so Leid.", sage ich und setze mich neben ihn. 

Keine Reaktion. 

"Was ist passiert?", frage ich schließlich. 

Es vergehen ein paar Sekunden, bis er tief einatmet und antwortet. 

"Wir haben uns gestritten, so wie fast jeden Tag. Lara wollte nicht, dass ich morgen einen Job erledige, weil das Baby ab jetzt jeden Tag kommen könnte. Sie ist ausgerastet und wollte zu ihrer Schwester. Ich bin ihr nicht hinterher gelaufen. Wäre ich ihr doch nur hinterher gelaufen und hätte sie gestoppt", seine Stimme bricht und er fängt wieder an zu weinen. 

"Ich habe sie nie gut behandelt. Ich wollte sie eigentlich nicht, aber ich wollte das Kind. Nun verliere ich beide", gesteht er und der Schmerz in seiner Stimme ist unerträglich. 

Ich lege meinen Arm um ihn. "Sag das nicht. Sie ist im Krankenhaus und wird dort bestens versorgt. Alles wird wieder gut" 

Er schmiegt seinen Kopf an meine Schulter. 

"Dieses Leben ist das pure Gift", knurrt er und in Gedanken stimme ich ihm zu. 

Eine Weile sitzen wir so da. David findet ab und zu die Kraft, mir weitere Dinge zu erzählen, bis wir uns dann wieder anschweigen. 

Er darf nicht ins Krankenhaus, weil ihn sonst die Polizei festnehmen und befragen würde. Sie würden es auf Lio projizieren und alles würde noch schlimmer werden. 

Gegen 5 Uhr morgens habe ich ihm sein Bett auf dem Boden aufgebaut, denn er wollte nicht in seinem richtigen Bett schlafen. Dem Bett, in dem er zuvor mit Lara gelegen hat. 

Als es wieder hell draußen wurde, ist er eingeschlafen und ich habe mich vorsichtig aus seiner Wohnung geschlichen. 

Ich werde wach, als die Tür zufällt. 

Ben steht im Raum, bewegt sich nicht und schaut mich nicht an. 

Er trägt einen schwarzen Pullover, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, eine schwarze Jeans und schwarze Schuhe. 

Mit leisen Schritten bleibt er vor dem Couchtisch stehen, legt ausdruckslos die Waffe darauf ab und verschwindet im Badezimmer. 

Er duscht lange und ich warte auf ihn, auch wenn mir immer wieder die Augen zufallen. 

Als er wiederkommt, legt er sich zu mir und küsst mich ohne ein Wort auf die Stirn. 

"Wo warst du?", frage ich. 

Er antwortet nicht, sondern dreht sich von mir weg und schläft ein. 

Ich beobachte ihn noch eine Weile. Sein Handy, das auf dem Nachtisch liegt, leuchtet auf. 

Nachricht von Zippo. Lara ist tot. 


Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt