Sexuelle Desorientierung

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Ich hab keinen Bock mehr auf langweilige Liebestragödien, die nur darauf aus sind einem zu verdeutlichen, welch ein armseliges und bedeutungsloses Leben man doch führt. Und überhaupt: Ich gebe mir nicht mehr diese immergleichen Filme, in denen Adam seiner Layla aufgeregt hinterherrennt und sich ihr hingebungsvoll unterwirft, mit den Worten, man habe ja schon sein ganzes Leben auf diese eine Frau gewartet. Und dann geht es zwischenzeitlich doch wieder auseinander bis schließlich beide, kurz vor Ende des Filmes, wieder zusammenfinden! Bullshit! Kein Mann rennt einer Frau jahrelang hinterher, in der Hoffnung, dass dieser eine, unwahrscheinliche, Moment eintrat in welchem IHR klar wird, was sie doch für ihn empfindet. Seit wann sind denn Männer so emotional? Es müssen wohl Frauen sein, die solch abnormal unrealistische Werke einsam, und bittere Tränen vor sich hin schluchzend, in einem alten, sehr alten, aber bequemen, mit Schafswolle überdeckten, Sessel auf und abschaukelnd, verfassen und sich anschließend fragen, warum sie, mit Mitte 40 immer noch Single sind. Ja, mein Gott, wach auf Frau! Die Welt ist längst nicht so romantisch wie deine AdamliebtLaylaromanze. Da kommt kein Mann von seiner Himalaya-Erkundungstour wieder und küsst zu aller erst seine Frau, nein! In der wahren Welt geht der Mann erstmal, verschwitzt wie er ist, duschen und gönnt sich ein volles Glas Bier! Und dann kommen seine Kumpels von nebenan und feiern ihn dafür, dass er coole Bilder geschossen und vielleicht eine Ziege gefickt hat. Niemand würde zuerst sagen: Hey Baby, dich habe ich all die Monate lang am meisten vermisst! Nein! Sei doch froh, dass da niemand ist der kuschelbedürftig und anhänglich ist, wie....ich....

Mir wurde irgendwann in meinem Leben klar, dass mich von meiner Vorstellung, die Welt sei schlecht und kalt, allmählich doch verabschieden müsse, so wie damals von meine Großmutter, als sie langsam aber in elegant in ihr Grab niedergelassen wurde. Und auch wie auf der Beerdigung, wurde mir in jenem Moment klar, dass ich es war, die die Dinge noch verändern konnte. Ich musste mir einfach selbst beweisen, dass es emotionale Menschen gab, die mir genau das geben konnten, was Filmemacher in ihren Romanzen vorgaukelten. Und der Moment in meinem Leben, als mir bewusst wurde, dass die Welt auch herzergreifend schön sein konnte, spielte sich ab, als ich bei meiner Freundin Laura wieder mal übernachtete und wir einen Filmabend starteten. Wie immer hatte sie dafür gesorgt, dass wir am nächsten Morgen mindestens 4 Kilogramm schwerer waren, was sich an der Menge Chips, Pizza und Popcorn unschwer erkennen ließ. Wir flenzten uns auf das Familiensofa (ihre Geschwister hatten wir in die Hölle verbannt und ihre Eltern waren ausgegangen, so wie die letzte Kerze die wir auspusteten, damit eine wirkliche Kinoatmosphäre aufkommen konnte) und tappten ein wenig auf illegalen Movie-internetseiten rum, auf der Suche nach einer Inspiration. Genervt von der Hin- und Hergerissenheit Lauras, schlenderte ich in die Küche, um den Kühlschrank zu plündern. Es traf mich wie ein schlag, als Laura plötzlich begeistert rief: „Ich habs! Den Film hier wollte ich schon immer mal mit dir gucken!" Geschockt spähte ich zu ihr rüber. Meine starren Augen sagten in etwa so viel aus, wie: „Was läuft denn jetzt auf einmal bei dir falsch, dass du hier so rumschreist? Und „Bist du denn des Wahnsinns mich bei meiner Essenssuche so dreist zu unterbrechen?" Mit einem Glas Kakao kam ich wenige Minuten später zurück und ließ mich neben Laura nieder die mich breit angrinste. Irgendwas hatte sie doch! Nicht umsonst hatte sie sich so positioniert wie ein Therapeut der interessiert neben seinem Patienten saß und einen auf Kumpel machen wollte....so stellte ich mir das zumindest vor! Misstrauisch blickte ich zu ihr rüber und frage, mit einem leicht ironischem und doch unsicherem Tonfall: „Was ist mit dir?" Laura zeigte mir ihre Kussschnute (was sie immer tat wenn sie etwas wieder bei mir gut machen wollte) und schaltete dann kommentarlos den Film an. Und so guckten wir den Film der mich zum ersten Mal glauben ließ, dass auch auf mich da draußen eine Person wartete, die mich zu einem glücklichen Menschen machen konnte. Der Name des Filmes ist mir leider entfallen, aber die Geschichte erzählte von zwei Mädchen, die auf einer Ferienfreizeit Gefühle füreinander entwickelten und sich letztendlich auch ihre Liebe zueinander gestanden. Die damit verbundene Dramatik wurde natürlich nicht dargestellt, und doch faszinierte es mich, wie ein Mensch nur solch eine ergreifende Storyline verfassen konnte. Nie hatte mich zuvor ein Film so gepackt. Nein, was bis heute nur unsinnige Liebesklauberei war, war heute innige Leidenschaft. Ich konnte meine Augen kaum von dem Bildschirm lösen als der Film vorbei war und befand mich immer noch tief versunken in meinem Gedanken an die beiden weiblichen Protagonistinnen.

„Und? Wie fandest du den Film?" Zugegebenerweise hatte sie mich das noch nie zuvor gefragt. Ihr war meine Meinung eigentlich immer ziemlich unbedeutend gewesen. Ich grübelte noch vor mich hin, als sie mich vorsichtig fragte: „Mari, kann es sein, dass du auch auf Frauen stehst?"

Mir wurde am ganzen Körper kalt und heiß und wieder kalt. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. So wirklich hatte ich nie darüber nachgedacht. Und auch, wenn mir bewusst war, dass ich anders fühlte als andere und bisher null Interesse an Männern empfand, war mir noch nie die Idee aufgekommen lesbisch oder bisexuell zu sein. Mir war das immer gleichgültig. Vielleicht war ich ja auch asexuell und fühlte gar nichts sexuelles oder war doch ganz normal heterosexuell, wie ca. 80% der Bevölkerung. Was war ich? Und warum hatte Laura den Verdacht, dass ich lesbisch sein könnte? Was war an mir so offensichtlich anders, dass sie den Verdacht schöpfte? Und warum machte sie sich mehr Gedanken über meine Sexualität als ich es je zuvor getan hatte? Und warum sprach sie mich darauf an? Und warum schossen mir auf einmal so viele Fragen in meinen Kopf auf die ich keine Antwort fand? Hilfe! Ich stutzte und sprach dann mit zittriger Stimme: „Ich...em...ich weiß es nicht..." „Wirklich nicht, oder magst du einfach nicht darüber reden? Das muss dir nicht peinlich oder unangenehm sein, wirklich nicht! Du weißt ja, du kannst mir vertrauen und mein Onkel ist auch schwul!" Ich schüttelte verlegen den Kopf und fühlte mich wie eine pralle Tomate, die kurz vor dem Platzen stand. „Nein, ich weiß es wirklich nicht! Ich...habe darüber noch nie gedacht!" „Aber fandest du denn Frauen schonmal anziehend? Oder hattest das Gefühl Frauen toll oder interessanter zu finden als Männer?" Ich schüttelte erneut ratlos den Kopf. Ich war absolut ehrlich in dem was ich sagte. Ich kam mir an jenem Abend wie ein sexuell-desorientiertes Wesen vor, das kurz vor seiner Fortpflanzung stand und nicht wusste mit wem oder was es verkehren sollte. „Gut", sprach Laura und sprang entschlossen und euphorisch auf. „Dann pack deine Sachen, wir gehen auf eine Party und schauen mal wofür dein Herz so brennt!" Die Tatsache, dass sie das Todernst meinte, schockte mich so wie die Erkenntnis, dass ich mich gerade auf der Suche nach mir selbst befand und ich absolut nichts dagegen tun konnte.

Maren loves RubyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt