To the depths of the sea

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Grinsend stützte sich die Kapitänin auf das hölzerne Steuerrad, ihr wachsamer Blick wanderte über das Deck. Das Licht der untergehenden Sonne tauchte das alternde Holz in einen angenehmen Goldton. Ihre Mannschaft lief übers Deck, arbeiteten an ihren Aufgaben und riefen sich gegenseitig Anweisungen zu.

Die Stimmung war angespannt- sie ruderten direkt auf das Tränenplateau zu, der Ort, an dem Mannschaften verschwanden, sie dem Gesang der Sirenen verfielen und Unterwasser gezogen wurden. Viele Schiffe waren verschwunden oder menschenleer an den Strand gespült worden, nur noch gekennzeichnet von Kratzspuren auf den verwesenden Brettern. Die Meeresnixen waren Legenden, sie zeigten einem das schöne, betörten jeden Seemann mit ihren Gesängen, bis das Monströse aus ihneb herausbrach und nur noch Blut und das Schiff auf die Mannschaft hinwiesen.
Die Schöne und das Biest, gefangen im Körper einer Meerjungfrau, mit einem spiegelnden Gesicht, das abwechselnd beide zeigt. Ein Monster, dass nicht zu zähmen ist.

Und trotzdem grinste die Freibeuterin, die Karte studierend und sich umschauend. Sie hatten den Ort fast erreicht- das Plateau, das mitten im Meer aus dem Wasser ragte, ähnlich Eiszacken. Die Sirenen saßen darauf, die glänzenden 
Fischflossen aufgefächert, ein liebliches Lächeln auf den Lippen, die Augen freundlich, die langen, lockigen Haare lagen glatt auf ihren Schultern.
Doch hinter den Fasaden lagen Krallen, lagen Reißzähne und die pure Lust, die Männer und Frauen unter Wasser zu ziehen, bis sie ertranken und die Leichen an die Oberfläche trieben, um gefressen zu werden. Die dunkle Natur in ihnen war stark, und doch fielen immer wieder törichte Kapitäne auf sie herein, bildeten sich ein sie können all dem widerstehen.
Nein, so misslich handelte sie nicht.
Und doch war sie hier.

Sie mussten nicht lange warten. Schon bald räkelte sich die erste Sirene und öffnete den Mund. Ein hoher, sanfter Ton erklang, eine wunderschöne Melodie, wie nur ein solches Meerwesen sie komponieren kann. Die kalte, schneidende Stimme klang plötzlich sanft, vertraut, erinnerten an das Zuhause das sie alle einmal hatten bevor sie es verloren haben. Verletzt, verjagt, rausgeworfen.
Auch die anderen Sirenen sangen, von Menschen die sie geliebt haben, Zuhause die sie gehabt haben, Leben die sie gelebt haben, bevor sie sich zur Jagd der Verlorenen zusammengeschlossen haben.

Seufzend strich die Frau nochmal über das raue Steuerrad, ehe sie sich auf den Weg zum Bug des Schiffes. Sie wurde beobachtet.
Eine Sirene hatte ihren Fokus auf sie gelegt. Ihr Gesang war weiterhin engelsgleich, ihre Augen jedoch zu Schlitzen verzogen, ihr schneeweißer Fischschwanz peitschte hin und her, sie grub ihre Krallen in das dunkle Gestein unter ihr.
Ihre hellen Augen waren gefüllt mit Hass, und sie glitt von dem Felsen in das eiskalte Wasser, hinüber zu dem Schiff und auf das Deck. Diese Frau gehörte ihr, ihr allein und niemand anderem.

"Komm her."
Die Stimme, die während des Singes so warm war, fühlte sich nun so kalt an. Und doch waren ihre Augen voller Liebe und Schmerz, die sie nicht ertragen konnte, gefüllt mit Rachsucht für das Unverzeihliche, was der Mensch ihr und ihrer Familie angetan hat.

Der Wind heulte und rüttelte an jeder Tür, an jedem Fenster, an jedem Wetterhahn und riss alles mit sich, was er in seine Krallen bekam.
Eine Außnahme war die Jugendliche, die an dem kleinen Steinstrand des Dorfes saß und sich zusammengekauert hatte. Die dünne Decke, die sie um sich geschlungen hatte, flatterte und ihr Körper zitterte.
Ihr war kalt. Sie war allein. Es fühlte sich leer an in ihrer Brust an, die Trauer nagte an ihr. Ihr Herz schlug nur noch dumpf, ihre Brust fühlte sich an wie zugeschnürt. Ihre Gliedmaßen fühlten sich taub und müde an, und sie starrte weiter auf das tobende Wasser. All das erdrückte sie nur noch, machte jeden Atemzug zur Qual, zu etwas auf das sie keine Lust mehr hatte und es nur noch aus Gewohnheit hat.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis der Sturm abflaute und sich ein Kopf aus dem Wasser hob. Die Sirene schwamm an den Strand und hob sich aus dem Wasser. Ihre nasse Haut glitzerte im Mondschein, und summend plätscherte sie mit ihrer Flosse im Wasser herum. Sie bemerkte die Andere nicht. Zu ihrem Pech.
Wer sie aber bemerkte, war die Nixe, die die Jugendliche dabei beobachtete, wie sie ihre Mutter ermordete.

"Soso."schnaubte die Fischfrau und verzog ihre Augen zu Schlitzen, als die Piratin vor sie trat.
"Lang ist es her."summte sie und strich dem Wasserwesen durch die nassen Strähnen. In ihrem Blick lag so viel Zutrauen, so viel Liebe zu der Nixe, der erwidert wurde.
Jedoch mussten sie es tun, und beide wussten es.
Die Sirenen hatten den Vater der Kapitänin verschleppt, jedoch war es verboten, sie zu töten.
Also galt ein Leben für ein Leben, und sie war bereit, es zu geben.

Mit einem Aufschrei seitens der Mannschaft zog das Meerwesen die Frau ins Wasser.
Und selbst hier, in dem Wissen zu sterben, liebte sie die Sirene immer noch und konnte es nicht lassen, ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Eben sie lächelte traurig und stimmte wieder ihre Melodie an, diesmal jedoch tiefer, trauriger und langsamer, gut hörbar selbst unter Wasser, als sie die Frau weiter nach unten zog, weiter zum Grund des Tränenplateaus. Wissend, dass die Frau die sie liebte ihretwegen ertrank oder von dem Druck zerquetscht wurde. Tränen rannen über ihre Wangen, die sich zu den Nixentränen kristallisierten, für die sie am Leben gelassen wurden- Rubine, Opale, Diamanten begleiteten ihren Weg auf den Meeresgrund.

Und so bettete sie die Leiche ihrer Liebe auf den Kristallen unterhalb des Plateaus, gesammelt über Jahrhunderte und Jahrtausende, beschwerte sie und strich ihr ein letztes Mal über die Wange, in dem Wissen, das die Piratin von den Wesen umgeben war, die sie lieben gelernt hat, und das sie in weiteren Jahrhunderten in den Tränen vergraben sein wird, beschützt vor der Grausamkeit der Welt.

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