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An noch demselben Abend führte ich ein ernstes Gespräch mit Rita. Sie hatte sich einen der Stühle neben mein Bett geschoben und ihr Kinn auf den Handrücken gestützt.

„Ich denke nicht, dass Doktor Fletch das zulassen würde. Du hast nicht einmal genügend Kraft, selbst aufzustehen und es könnte jederzeit wieder dazu kommen, dass du dich übergibst“

„Gib mir nur eine Woche. Ich will nur zum Geburtstag meiner Schwester zuhause sein, danach komme ich wieder hierher“

Langsam schüttelte sie ihren Kopf. Ich wusste genau, dass sie einen Ausweg suchte, mich für ein paar Tage heraus zu lassen, doch es gab keinen. „Es ist zu gefährlich in deinem Zustand“

„Rita“, seufzte ich. „Du weißt genau, dass es mir schon besser geht. Und es wird mir noch besser gehen, wenn ich Abstand zu diesen so vertrauten Wänden bekomme. Mir fehlt einfach nur die Freiheit, die da draußen auf mich wartet. Wenn ich sie erleben kann, dann kann ich wieder springen wie eine Gazelle. Ich verspreche es dir“

Wieder sagte sie nichts, schüttelte nur ihren Kopf und sah auf das Unwetter, das sich außerhalb dieser vier Wände abspielte. Ich wartete auf irgendein Zeichen, ein Mucks oder Muh ihrerseits, doch minutenlang blieb es so still, dass man nur die leisen Regentropfen gegen das Fenster platschen hören konnte.

„Ich werde mit Fletsch reden“, meinte sie dann und schob den Sessel zurück auf seinen Platz. Sofort erhellte sich mein Gesicht und Rita wurde in eine feste Umarmung gezogen, danach mit tausenden „Dankeschöns“ beworfen.

Fünf Minuten nachdem Rita mein Zimmer verlassen hatte, öffnete sich die Türe wieder und ein vollkommen durchnässter Damien trat ein. Das erste, was ich tat, war lachen. Das zweite, was ich tat, war ebenfalls lachen. Und zu drittens kam ich gar nicht, da sich das klatschnasse Ding auf mich drauf legte. Angewidert schob ich ihn wieder weg, er hingegen klammerte sich noch mehr an mich. Als auch er endlich die nassen Kleidungsstücke, sprich Schuhe, Jacke, Jeans, ausgezogen hatte und sich in Pullover und Boxershorts hinter mich unter die Decke kuschelte, entfuhr mir ein zufriedenes Seufzen.

Er war hier, er wärmte mich mit seinem kalten Arm und ich durfte vielleicht nach Hause.

Ich war mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass ich am nächsten Morgen im Halbschlaf Rita bemerkt hatte, wie sie die Infusion abschloss und kichernd aus dem Raum ging. Und ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass Damiens Arm um meine Hüfte geschlungen war und dies der Auslöser für Ritas Lachen gewesen war.

Es war nett von ihr, ihn ohne Erlaubnis und ohne Petzen in meinem Bett schlafen ließ. Möglicherweise dachte sie, er wäre mein Freund gewesen und hatte ihn deswegen nicht rausgehaut.

Im Laufe des Tages erhielt ich von Dr. Fletch persönlich die Erlaubnis, drei Tage nach Hause zu gehen. Ich konnte mir aussuchen welche es waren, solange meine gesundheitliche Lage so stabil blieb, wie sie war. Ich entschied mich für die Tage um den Geburtstag meiner Schwester herum, die keine zwei Wochen mehr entfernt waren.

Als Alice und meine Mom mich nachmittags besuchten, erzählte ich ihnen die gute Nachricht und bekam im Gegenzug meinen iPod, meinen Laptop und mein Handy, die sie mir von zuhause mitgebracht hatten.

Es war Freitag, was soviel hieß wie; Ritas freier Tag und nur noch eine Woche bis zu meiner kurzzeitigen Entlassung. Ich fragte mich, was ich Alice zum Geburtstag schenken sollte und woher ich dieses Etwas bekam. Soviel sie mir auch von sich selbst erzählte, ich hatte keinen Schimmer, auf was sie zurzeit stand. Musik? Tiere? Alkohol? Ich war mir sicher, dass Alkohol eine gute Lösung war. Eine Flasche Wodka also. Und weiter?

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