Shawns Nacht

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Shawn

Sauer starrte ich die Decke an, bis ich bemerkte, dass mein Handy klingelte. Auf dem Display leuchtete Sydneys Nummer. Er rief tatsächlich zurück. Aber warum? Um mir weitere Lügen aufzutischen? Ich beschloss nicht ran zu gehen. Nicht jetzt. Das würde nur in einem Streit enden und das konnten wir gerade nicht wirklich gebrauchen. Nein. Vielleicht wäre es besser, wenn wir morgen weiter redeten oder in ein paar Stunden. Stellte sich nur die Frage, ob er dann noch wach war. Aber ich konnte ihn ja auch einfach wach klingeln, schließlich war es mir wichtig, sich vernünftig auszusprechen.
So erhob ich mich nach einer gefühlten Ewigkeit von der Couch und schob mir eine Pizza in den Ofen, da ich seit heute Mittag nichts mehr in den Magen bekommen hatte. Derweil wollte ich eigentlich an meinem neusten Bild weitermalen, doch gerade fehlte mir jegliche Motivation dafür. Stattdessen hielt ich nur den Stift reglos in der Hand und starrte die bemalte Leinwand an. Heute würde das nichts werden. Sydney hatte es wirklich geschafft, mir meine gute Laune zu verderben. Ich verstand gar nicht, warum mich das so aufbrachte. Ich war es doch gewohnt, dass dieser Typ ab und zu gerne mal auf Distanz ging. Warum brachte es mich jetzt also aus der Fassung? Ich verstand mich nicht so ganz. Und ihn erst recht nicht. Während ich die Pizza vertilgte, versuchte ich mich mit dem Fernseher etwas abzulenken, was mir jedoch nicht richtig gelingen wollte.
Letztendlich stellte ich ihn also aus und griff wieder nach meinem Handy, um meinen Freund nochmal anzurufen, um mich für meinen Ausbruch zu entschuldigen und mir seine Erklärung anzuhören. Vielleicht hätte er noch einen anderen Termin vorgeschlagen oder mir wenigstens den Grund genannt, warum er mich nicht sehen wollte. Doch der Idiot ging einfach nicht an sein Telefon. Ob ich bis morgen warten sollte? Ich wusste jetzt schon, dass ich dann die ganze Nacht grübeln würde, anstatt zu schlafen. Dann konnte ich den morgigen Arbeitstag direkt in die Tonne treten. So versuchte ich es immer wieder, bis ich es frustriert aufgab und mich schlafen legte, auch wenn ich erst nach längerer Zeit in einen unruhigen Schlaf fiel.

Nach nicht mal zwei Stunden schreckte ich wieder hoch. Das war doch zum Haare Raufen. Warum ließ ich diesen Mist nur so nah an mich heran? Ich wollte verdammt nochmal meine Ruhe haben und schlafen. Doch anscheinend meinte es der liebe Gott nicht gut mit mir. Stöhnend griff ich nach dem Handy und wählte im Halbschlaf Sydneys Nummer, doch er ging wieder nicht ran. Was für ein Wunder! Verflixt, was sollte ich denn jetzt machen? Es kam mir so vor, als würde ich nicht eher zur Ruhe kommen, bis ich nicht mit ihm gesprochen habe. Dieses Mal würde ich unsere Freundschaft jedenfalls nicht einfach schleifen lassen, bis sie komplett im Sand versunken ist.

Auf der Uhr auf meinem Nachttisch war es gerade kurz vor zwei. Wenn ich mich beeilte, könnte ich bei ihm sein, bevor er seine Wohnung verließ. Dann konnte er sich jedenfalls nicht mehr gegen eine Unterhaltung mit mir wehren und würde mir vielleicht endlich die Wahrheit verraten, sodass ich wieder ruhig schlafen konnte. Ohne noch länger über diesen idiotischen Plan nachzudenken, stand ich auf und zog mich wieder an. Kurz rief ich noch in der Firma an und sagte Bescheid, dass ich morgen nicht kommen würde, bevor ich mir meine Autoschlüssel und mein Handy griff und im Flur verschwand, wo ich mir Jacke und Schuhe anzog. Dann war ich auch schon auf dem Weg zu meinem silbernen Sportwagen, der im Parkhaus auf mich wartete. Kaum hatte ich das Navi eingestellt, da sagte mir eine Frauenstimme auch schon, wo ich längs fahren sollte. ,,Siri, schick eine Nachricht an Sydney. 'Ich komme dich jetzt besuchen, hoffe du bist da. Shawn.'", diktierte ich Siri, die die Nachricht an meinen Freund - wenn ich ihn denn noch so nennen durfte - absendete.
Da die Fahrt ein paar Stunden in Anspruch nahm, stellte ich das Radio an, damit es nicht ganz so leise war. Hoffentlich würde alles gut ausgehen... Derweil dachte ich darüber nach, was ich ihm sagen konnte, kam jedoch zu dem Entschluss, dass ich ihn am besten erst mal reden lassen sollte, bevor ich mir da zu viele Gedanken machte.
Endlich kam ich dann auch an. Auch wenn es dunkel war, kam mir die Gegend bekannt vor. Ich parkte den Wagen und stieg aus, um an seiner Tür zu klingeln. Es öffnete jedoch niemand. Ob ich ihn geweckt hatte oder schlief er so tief und fest, dass er die Klingel nicht hörte? Oder war er gar nicht zuhause? Hoffentlich habe ich jetzt beim Richtigen geklingelt, denn der Nachname am Klingelbrett war nicht der von Sydney. Vielleicht hatte er aber auch einen Mitbewohner. Ich würde wohl warten müssen. So setzte ich mich auf die Treppe vor dem Haus und wartete. Meine Hände vergrub ich in den Taschen, da es zu dieser späten - oder frühen - Stunde ziemlich kalt draußen war.

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