Kapitel 9 - Degen und Latein

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Einige Tage später hatten wir uns erneut verabredet. Diesmal bei ihm zu Hause. Wie letztes Mal behauptete ich, mich mit Audrey zu treffen, die ich nun jedoch eingeweiht hatte.

 Nun ja, die Vampire hatte ich weggelassen, weshalb es für sie so geklungen haben musste, als träfe ich mich mit einem Liebhaber, aber das störte mich nicht. Sie würde es sich für sich behalten und das war was zählte. Heute war es nicht Archibalt der mich fuhr, sondern Lord Salvertons Kutscher.

 Pünktlich nach dem Mittagessen stand er vor der Tür und erwartete mich. Die Fahrt dauerte nicht lange, was vermutlich daran lag, dass Mr. Baldwin fuhr wie ein Verrückter. Er raste durch den Londoner Verkehr, als sei der Teufel persönlich hinter uns her und ich war mir sicher, dass wir mindestens eine andere Kutsche gerammt und mehrere Spaziergänger nur knapp verfehlt hatten. 

Als wir schließlich angekommen waren, musste ich ein paar Mal tief Luft holen, um mich nicht auf die Pflastersteine zu übergeben. »Geht es ihnen gut, Madam?« fragte Mr. Baldwin nüchtern, ohne mich dabei anzusehen. Ich nickte nur kläglich und hob den Kopf, um das Haus vor mir genauer zu betrachten. Es sah sehr vornehm aus, ähnelte aber kaum unserem eigenen Stadthaus. 

Wenn ich mich nicht sehr täuschte, war dieses hier ein kleines Stück größer und mit Sicherheit prunkvoller. In die Fassade waren Szenen aus der griechischen Mythologie eingemeißelt, die so detailreich gearbeitet waren, dass sie beinahe real wirkten. Breite Säulen aus Marmor zierten die Eingangstür, über deren Rahmen Ikarus mit seinen wächsernen Flügeln zur Sonne flog. Auch von Innen war das Haus ein Kunstwerk und ich staunte nicht schlecht, als ein Diener mich eine Treppe hinauf führte, deren Geländer den Leib einer Schlange darstellte.

 Schließlich kamen wir in einen Ballsaal mit riesigen Bogenfenstern. Der Lord hatte uns den Rücken zugekehrt und blickte hinaus in den Garten. In seiner Hand hielt er einen Degen, der im zarten Sonnenlicht glänzte. Seinen Gehrock hatte er ausgezogen und achtlos über einen Stuhl gehängt, sodass er nur noch Hemd und Weste trug. Auch auf eine Perücke hatte er verzichtet, sodass ich seine unordentlichen Locken sehen konnte und mich fragte, ob sie sich genauso weich anfühlten, wie sie aussahen.

 Als er mich bemerkte, drehte er sich sofort um und verbeugte sich kurz. »Guten Tag, My Lady. Hatten sie eine gute Herfahrt?« Dem lausbübischen Ausdruck in seinen Augen, entnahm ich, dass er sehr wohl über die Fahrtkünste seines Kutschers Bescheid wusste. Ich beschloss, mir keine Blöße zu geben und setzte ein leichtes Lächeln auf: »Wunderbar. Die Straßen waren heute ungewöhnlich leer«. Lord Salverton schlenderte näher und schwang dabei spielerisch seine Waffe durch die Luft. »Warum der Degen?» fragte ich. 

»Sagtet ihr nicht, man benutzt Pflöcke?« »Ja, um einem Vampir endgültig den Garaus zu machen. Aber wenn man sich verteidigen muss, ist der Degen noch immer die beste Wahl. Unsere sind nämlich Spezialanfertigungen aus Silber. Wenn Sie einen Vampir damit treffen, fügt ihm das ordentliche Schmerzen zu.« erklärte er und deutete auf eine rote Chaiselongue, in der Mitte des Raums. 

»Ihren Mantel können sie dort ablegen. Den brauchen sie nicht und vielleicht legen sie ihren Schmuck gleich dazu. Wir wollen schließlich nichts kaputt machen.« Für den Bruchteil einer Sekunde, erwartete ich, er würde mir meinen Umhang abnehmen, dann verstand ich erst, dass er mich aufgefordert hatte es selbst zu tun. Nicht dass mich das störte, aber er hätte es doch wenigstens anbieten können.

 Der Lord bemerkte mein Zögern und sah mich ernst an. »Lady Lucinda, ich weiß, dass Sie anderes gewohnt sind, aber wenn sie in meiner Welt bestehen wollen, müssen Sie lernen, dass niemand auf Sie Rücksicht nimmt. Hier sind Sie für sich selbst verantwortlich, ob Sie wollen oder nicht und wenn Sie damit nicht umgehen können, wird es wohl das Beste sein, wenn Sie in ihr normales Leben zurückkehren und all das hier vergessen.«

Die sterbliche BaroninWo Geschichten leben. Entdecke jetzt