Kapitel 58 - Vom Intrigieren, Dechiffrieren, Konferieren und fiesen Viren

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Kapitel 58

Vom Intrigieren, Dechiffrieren, Konferieren und fiesen Viren


~Sabrina~

Immer die gleichen Alpträume. Mindestens drei Mal pro Nacht erwachte sie schreiend und schweissgebadet. Immer wegen den gleichen Träumen. Immer wegen diesen schrecklichen Dingen, die sie im Schlaf sah und ihren Geist krank machten. Details änderten sich, der Rest blieb wie zuvor. Die Wesen, denen sie in ihren Träumen begegnete, waren ebenfalls immer die gleichen. Eva, Cernunnos, Mondkind, Eril und Arillis. Manchmal tauchten auch Mile oder Falk auf, doch das kam selten vor.
Sie bekam diese Bilder einfach nicht aus dem Kopf. Als hätten sie sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt. Schloss sie die Lider, kamen sie zurück...
Da war sie, die an Evas Marionettenfäden hing und abwechselnd Arillis oder Cernunnos erstach. Ab und zu steckte sie auch mit der ganzen Hand in Erils Brust. Der Drachenreiter schrie sie an. Er bezeichnete sie als Mörderin, legte dann seine beiden Hände um ihr Handgelenk und riss ihre Hand heraus. Eril brach zusammen und sie stand da und hielt sein noch schlagendes Herz in den Fingern.
Die schlimmsten Träume waren die, in denen die beiden Menschen vorkamen, die sie am meisten liebte. Falk und Mile. Die beiden bekämpften sich. Sie schlugen aufeinander ein, doch niemals gewann einer von ihnen den Kampf, denn immer tauchte von irgendwoher der weisse Hirsch auf und spiesste Pirat und Lichterlord mit seinem Geweih auf.
Mondkind hatte bei jedem Traum die gleiche Funktion. Sie stand einfach nur daneben und sagte ab und zu Dinge wie: »Wegen dir werde ich auf ewig verdammt sein. Du kannst mich retten. Wieso tust du es nicht?«
Es war so grauenvoll. Jedes Mal wachte sie mit Schreikrämpfen auf und traute sich kaum noch, wieder einzuschlafen. So ging das jetzt schon drei Tage. Seither kämpfte sie jede Nacht diese aussichtslose Schlacht. Genauso lange lag Mile wie im Koma in Jeremy Toppers Zimmer und war einfach nicht aufzuwecken. Der Hutmacher versicherte zwar, dass das normal sei, aber Sabrina würde bald vor Sorge umkommen, falls ihr Bruder nicht aufwachte. Dabei wusste sie ja aus eigener Erfahrung, wie sehr einen seine erste mentale Reise schlauchen konnte. Trotzdem war es für Sabrina einfach furchtbar, ihn nicht bei sich zu haben, denn einzig ihr Bruder konnte verstehen, was in ihr vorging. Falk gab sich natürlich alle Mühe, aber er war nicht dabei gewesen. Er hatte die Orakel nicht gesehen, hatte Eva nicht getroffen...
Diese Träume... Sie bescherten ihrs schlaflose Nächte und müde Tage. Wie ein Zombie wandelte sie umher. Jeremy Topper hatte sich zu ihrem persönlichen Arzt ernannt und versuchte sie so gut er konnte aufzupäppeln. Ihm verdankte sie auch, dass sie von dem dauernden Kampftraining mit der Eliteeinheit suspendiert worden war. Ebenso hatte der Hutmacher ihr offiziell verboten, mit ihren Herrscherfähigkeiten zu üben. Für all das war sie dem Hutmacher unglaublich dankbar. Nur von den Ratssitzungen war sie nicht befreit. Leider bekam sie von diesen immer weniger mit, da ihr übermüdetes Gehirn immer wieder abdriftete...
Diese Nacht erwachte sie zum fünften Mal. Sie schlotterte am ganzen Körper. Es war wieder einer der schlimmsten Art Alptraum gewesen. Die hasserfüllten Gesichter ihrer Liebsten, der wahnsinnige Cernunnos, die verzweifelte Mondkind und die grausame Eva. Horror. All das war jedoch nicht das schlimmste an ihren Träumen. Schrecklich war: Wenn sie erwachte, merkte sie es erst gar nicht!
Ihr Herz raste wie das eines Kolibris. Sie bekam keine Luft, hustete und schluckte salzige Tränen.
Etwas berührte sie. Etwas legte sich um sie. Etwas hielt sie fest.
Sie zuckte zusammen und wehrte sich. Sie konnte nichts sehen vor all den Tränen. Um sich schlagend versuchte sie der Panik und der Angst zu entkommen. Alles in ihr schrie sie an, einfach los zu rennen, aber sie konnte nicht, denn etwas hielt sie fest!
Etwas?
Das war der Moment, als ihr Gehirn sich langsam wieder einschaltete und die panischen Überlebensinstinkte zurückdrängte, wo sie hingehörten.
Sabrina konzentrierte sich und erkannte ihre Umgebung. Sie war nicht mehr in irgendeinem Traum gefangen, sondern befand sich an ihrem liebsten Ort auf Erden: Der Kajüte des Captains.
»Ruhig. Ganz ruhig. Sabrina, hör mir einfach zu. Du bist in Sicherheit. Ich bin hier. Es ist alles in Ordnung. Du bist bei mir.«
Sabrina kannte diese Stimme. Natürlich kannte sie sie. Rau und ruhig.
Was sie festhielt, war Falk.
Sie sagte seinen Namen, gefolgt von einem Seufzen. Sie war wach und bei ihm. Es war alles in Ordnung. Es war nur ein Traum. Ein schrecklicher Traum, aber nicht real.
»Danke, Hook«, flüsterte sie und langte mit dem Arm hinter sich, um ihm durch das Haar zu fahren, um auch ganz sicher zu sein, dass er kein neuer Nachtschrecken war, der darauf lauerte, sie zu überwältigen. Aber es war Falk, der sie da in seiner Umarmung in Sicherheit wiegte.
Als nach einer Nacht klar geworden war, dass die Alpträume sie wohl so schnell nicht in Ruhe lassen würden, hatte Sabrina entschlossen, bei dem Captain auf seiner Jolly Roger zu übernachten, wo er sie bei jeder neuen Panikattacke am schnellsten wieder in die Wirklichkeit zurückholen konnte. Plan war, sie so in seiner Umarmung einschlafen und aufwachen zu lassen, aber so schön die Momente mit Falk auch waren, die Träume konnte er nicht fernhalten. Sie kamen wieder und wieder und niemand konnte ihr helfen. Nicht der Hutmacher, nicht Mondkind und nicht einmal Faritales, der sich doch mit Träumen so gut auskennen sollte, wie kein zweiter. Die Träume schlichen sich in ihren Schlaf und verliessen ihren Geist mit einem Knall. Wenn das noch länger so weiterging, würde sie wahnsinnig werden.
»Habe ich dir weh getan?«, fragte sie leise und erschrak an dem Klang ihrer eigenen Stimme. Ihre Schreie liessen sie heiser werden.
»Du hast mit deinen Ellbögen ein paar Treffer erzielt, aber nichts, was ich nicht wegstecken könnte, keine Angst«, kam es schnurrend zurück.
Sabrina seufzte noch einmal und liess resigniert ihren Kopf in seine Arme sinken. Er hielt sie wie ein kleines Kind, den Oberkörper auf seinen Bauch gebettet, den einen Arm um ihre Taille geschlungen, den anderen um ihre Schultern gelegt. So konnte sie, wann immer sie aufwachte, sofort in sein Gesicht sehen, was sie nur zu gern tat.
Seine Haare waren wirr vom Schlaf. Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet. Seine Haut war blass. Er sah müde aus, was er mit einem Lächeln zu verbergen suchte, doch es gelang ihm nicht.
Sabrina erhob sich, küsste ihn und kletterte über seine Beine, um aus dem Bett zu steigen, doch Falk griff nach ihrem Arm und fragte: »Was ist los? Willst du schon aufstehen? Die Sonne ist noch nicht einmal am Horizont aufgetaucht!«
Sabrina hatte gehofft, bereits ausser Reichweite zu sein, wenn er ihr diese Frage stellen würde, doch natürlich war es ihr nicht gelungen. Sie hätte sich den Versuch sparen können.
»Falk, lass mich los«, murmelte sie mürrisch und versuchte seine Hand an ihrem Arm zu ignorieren, aber er verstärkte seinen Griff. Verdammter Dickkopf!
»Wir hatten das doch schon! Du gehst nicht!«, knurrte der Pirat und schwenkte seinen Armstumpf. Er hatte wohl vergessen, dass er an diesem Gliedmass keinen Finger mehr hatte, mit dem er tadelnd wedeln konnte. Normalerweise hätte sie ihn jetzt damit aufgezogen, doch für Witze waren sie beide zu müde. Und genau da lag das Problem.
»Ja, wir hatten das schon. Trotzdem ist es noch immer nicht richtig«, antwortete sie patzig und riss sich mit einem Ruck los. »Ich bin dir so dankbar dafür, dass du für mich da bist, Falk, aber das hier kann ich dir nicht zumuten. Es reicht, wenn einer von uns nicht genug Schlaf hat. Ich muss dich nicht auch noch hier mit rein ziehen.«
Hook gab ein abfälliges »Pha!« von sich und widersprach: »Sabrina, hier geht es nicht um deinen oder meinen gesunden Schlaf! Du leidest! Du hast diese Alpträume und ich werde dich nicht einfach mit ihnen alleine lassen, das habe ich geschworen!«
»Du hast auch Medusa geschworen, sie nicht zu hintergehen und hast sie trotzdem umgebracht!«
Sabrina verstummte. Falk zuckte zurück. Das hatte ihn getroffen.
»Tut mir leid, ich...«
»Schon gut. Ich... ich weiss...«
Sabrina schüttelte den Kopf. Sie fuhr sich durchs Haar. Es war feucht vom Angstschweiss ihrer Träume, aber es war ihr egal. Sie kroch wieder zu Falk ins Bett, bevor ihre Beine nachgeben konnten.
»Es tut mir leid. Ich... hätte das nicht sagen sollen. Ich bin einfach so... so...«
»Müde«, beendete der Pirat ihren Satz. »Ist schon gut. Ich weiss.«
»Nein«, flüsterte sie und drückte sich an ihn. »Es ist nicht gut. Ich habe diese Träume und kann nicht schlafen. Ich bin einfach zu schwach. Das hier ist mir einfach zu gross. Und dich ziehe ich auch noch mit ins Verderben. Ich wecke dich und beraube dich deines Schlafes!«
Falk lachte und brachte nun doch einen Witz zu Stande: »Du raubst mir auch so schon den Schlaf, Prinzessin. Auch ohne Alpträume hältst du mich wach, glaube mir.«
Sabrina lächelte.
Falk deckte sie zu und brummte: »Das ist mein Ernst.«
»Du bist ein Blödkopf«, zischte sie ihm zu. »Und das ist mein Ernst.«
Dann schlief sie wieder ein und dieses Mal ohne Alpträume.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt