45. Kapitel

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Lieber Yoongi,

Es ist schon komisch, dass ich dir diesen Brief widme. Briefe schreiben hatte für mich bis hierhin noch nie eine Bedeutung gespielt. Als ich klein war, das heißt noch kleiner als sowieso, und ich mit meiner Familie oft an die Ostsee gefahren bin, hab ich oft Postkarten geschrieben. Ich hab meinen besten Freunden immer eine Karte geschrieben, hab witzige Figuren auf die Karten gemalt und erzählt, was mir so durch den Kopf ging, was meistens ziemlich wirres Zeug war. Ich weiß noch, wie ich immer versucht habe so viel  wie möglich auf die Karte zu bekommen und dabei so klein geschrieben habe, dass man den Text nur noch schwer lesen konnte.

Briefe schreiben ist anders. Bei Briefen muss man sich wirklich Zeit lassen. Es geht eben nicht so schnell, wie zum Beispiel am PC schreiben. Es zwingt einen dazu einen Gang herunterzuschalten und wirklich nachzudenken. Was gerade alles passiert, was man sich wünscht. All das eben. Natürlich dreht sich alles in meinem Kopf zurzeit um dich. Um dich und deinen bevorstehenden Umzug nach Seoul. Fast 4 Stunden entfernt, wenn man den Bus nimmt. Das sagt zumindest das Internet. Aber du wirst wahrscheinlich sowieso keine Zeit mehr haben, wenn du erst einmal dort angekommen bist.

Tja, was soll ich dazu schon sagen? Außer, dass es mir leid tut, dass wir nicht mehr Zeit zusammen hatten. Und das nur, weil ich mir meine Gefühle für dich nicht eingestehen wollte. Dass Soomin und ich unsere Beziehung nur vorgespielt haben war, wenn ich heute zurückblicke, eine ziemlich dumme Idee. In diesem Moment schien es das einzig richtige zu sein. Immerhin warst du mit Nari zusammen. Wie hätte ich es sonst erklären können ohne Nari und dir damit unglaublich wehzutun? Jetzt denke ich, dass, wenn ich nur ehrlich mit dir gewesen wäre, alles gut geworden wäre. Mich wundert es, dass nachdem ich dir das alles erzählt hatte, du immer noch mit mir befreundet sein willst. Jeder andere hätte bei so viel Chaos sofort kehrt gemacht. Aber nicht du. Das ist es, was dich so besonders macht. Du bist nicht so wie alle anderen.

Ich hoffe wirklich, dass sich diese Gefühle für dich irgendwann wieder legen werden. Dabei weiß ich nicht einmal, wie es genau angefangen hat. Am Anfang warst du einfach da. Ich war unsicher in Daegu, aber du warst immer für mich da. Vom Anfang bis zum Ende. Das Ende... Das ist wohl jetzt gekommen. Nari ist weg und mit ihr meine einzige Freundin, die ich hier hatte und jetzt willst du mich auch verlassen. Das hört sich jetzt vielleicht etwas scharf an und Jinho und Johae sind immerhin auch noch hier, aber es wird sich alles so komisch anfühlen. Ich bin dir deswegen natürlich nicht böse. Ganz im Gegenteil. Ich bin froh, dass du diesen Weg einschlägst und deine Träume verwirklichen willst, aber ich glaube, du bist dir gar nicht bewusst, was du dabei alles zurück lässt. Wen du alles zurücklässt. Ich frage mich, ob du tief in deinem Inneren vielleicht manchmal auch so denkst. Oder ob du nach Naris Umzug nachvollziehen kannst wie es mir jetzt geht. Naris Umzug muss dich schließlich noch härter getroffen haben als mich. Bestimmt hast du auch Zweifel, ob deine Pläne funktionieren werden. Ich glaube du hast großes vor dir. Ein außergewöhnliches Leben. Etwas, was ich wahrscheinlich nie erreichen werde.

Es ist zwar noch einen Monat hin, aber es ist, als gäbe es da ein riesiges Loch in mir, das immer weiter auffreißt je mehr Leute, die  mir am Herzen liegen, wieder aus meinem Leben verschwinden. Aufgebrochen war dieser Riss wahrscheinlich nicht einmal in Daegu, sondern in Deutschland. Wegen meinem Vater. Seit wir von dort weg sind, habe ich kein einziges Mal länger als fünf Minuten mit ihm gesprochen. Wenn wir denn überhaupt richtig miteinander gesprochen haben. Die meiste Zeit hatte ich das Gefühl, dass wir aneinander vorbei reden. Es scheint ihm gut zu gehen, was mich einerseits froh macht, auf der anderen Seite aber auch unglaublich traurig. Darf ich als seine Tochter kein fester Bestandteil seines Lebens mehr sein, nur weil er jetzt eine neue Freundin hat? Muss ich deswegen alles hinter mir lassen und mich damit abfinden, dass mein Leben von nun an so aussieht? Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann ich das letzte Mal mit ihm telefoniert habe. An diesem Punkt in meinem Leben frage ich mich wirklich, ob ich jemals richtig glücklich werden kann, oder ob mich diese Einschnitte von nun an immer begleiten werden. Ob diese Narben irgendwann verheilen werden.

Ich weiß, dass ich dir immer vertauen konnte, was auch einer der Gründe ist, dir diesen Brief zu widmen. Das und die Tatsache, dass diesen Brief niemals jemand zu lesen bekommt. Ich konnte mich immer auf dich verlassen.  Du hast mir zugehört, bist auf mich zugegangen, wenn ich Probleme hatte, und warst für mich da, mehr als alle anderen. Dafür bin ich dir unendlich dankbar. Und irgendwie habe ich mich dann in dich verliebt. Verrückt wie schnell so etwas gehen kann. Dabei hatte ich mich immer für die Art Mensch gehalten, die ganz gut ohne diesen ganzen Beziehungskram leben kann. Und dann kamst du und hast mir das Gegenteil bewiesen. Für einen kurzen Moment habe ich gedacht, dass wir zusammen richtig glücklich werden können.

Der Beginn des Chaos war wohl diese Party. Und der Kuss. Du hast ja keine Ahnung wie sehr mich dieser Kuss verwirrt hat. Und du erinnerst dich nicht einmal mehr daran. Dieser Kuss und der Fakt, dass ich immer noch nicht so ganz über dich hinweg bis, sind wahrscheinlich die einzigen Sachen, die ich dir verschwiegen habe, als wir zusammen im Aufzug festsaßen und ich dir alles gebeichtet habe.

Als du mit Nari zusammengekommen bist, war es, als würde sich das Loch in meinem Inneren plötzlich vergrößern und mich in zwei Teile teilen. Ein Teil der sich für dich und dein Glück freute und der andere, größere Teil, der dich innerlich immer lauter und lauter anschrie und fragte, warum du mich nicht so ansehen kannst, wie du sie ansiehst. Ganz schön erbärmlich, oder?

Dabei ist die Antwort so einfach. Ich bin nicht Nari. Nicht einmal ansatzweise. Ich bin auch kein dahergelaufenes Supermodel oder Schauspielerin, von dem man sich sagt, dass man sie gerne einmal treffen würde, auch wenn man tief in seinem Inneren weiß, dass das zu großer Wahrscheinlichkeit niemals passieren wird. Ich bin einfach nur Mihee. Mihee, das Mädchen, das von Deutschland nach Südkorea gezogen ist und versucht sich hier ein neues einigermaßen passables Leben aufzubauen. Ich bin nichts Besonderes, ein ganz gewöhnliches Mädchen, dass sich durch eine Person plötzlich außergewöhnlich gefühlt hat. Da ich mich durch dich so  stark geändert habe, dass ich angefangen habe mich selbst zu akzeptieren so wie ich bin, muss ich mich eigentlich dafür bedanken, aber du wirst bald weg sein, da werden dir diese Worte auch nicht weiter nützen.

Das Loch wird allein durch deine bevorstehende Abwesenheit größer und lässt eine unbeschreibliche Leere zurück. Noch größer als bei Naris Umzug. Es ist wirklich unbeschreiblich und ich kann es nicht richtig in Worte fassen. Trotzdem. Ich bin froh, dass ich dich kennenlernen durfte, auch wenn ich nur eine flüchtige Erinnerung für dich sein werde. Ein Schatten deiner Vergangenheit, dem du wahrscheinlich lieber aus dem Weg gehen willst, wenn du erst einmal berühmt bist. Auch, wenn du nur eine kurze Zeit in meinem Leben warst, spielst du doch eine sehr große und bedeutende Rolle darin. Mein Zuhause wurde zu dem was es jetzt ist, weil du mich in diese neue Welt gebracht hast, indem du mir die schönen Seiten von Daegu gezeigt hast. Durch deine Gegenwart wurde das alles nur noch schöner. Wie ein kunterbunter Filter, den man über eine graue Stadt hängt, die daduch plötzlich wunderschön wird.

Oder stell dir vor, man sitzt im Auto während es regnet und man fährt unter einer Brücke hindurch. Der Regen hört plötzlich auf auf einen niederzuprasseln und die Welt steht für einen Augenblick still. Je weiter du von mir entfernt bist, desto weiter fährt das Auto und die Regentropfen fangen wieder an auf das Auto zu trommeln.Mit einem Mal wird alles wieder lauter und grau und trostlos. So fühlt es sich im Moment für mich an.

Aber dadurch habe ich eines verstanden. Und zwar, dass du es warst. Du warst meine Brücke, Yoongi.

Ich habe die Hoffnung, dass am Ende alles gut gehen wird. Für uns alle. Und ich hoffe,  dass du dein Glück finden wirst. Dein persönliches Utopia. Ob ich dann in deinem Leben noch eine Rolle spielen werde,  oder ob ich nur eine flüchtige Freundin sein werde, die du einmal ganz gut kanntest, ist dabei Nebensache. Alles was ich möchte ist es glücklich zu sein.

Und ich hoffe, das wirst du auch.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt