18. Kapitel

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"Warum hast du Yoongi nicht noch eingeladen? Wir hätten den Jungen doch nach Hause fahren können. " So wurde ich begrüßt, als ich durch  die Eingangstür unserer Wohnung trat. Ich hatte mir den Empfang auch herzlicher vorgestellt. Stattdessen musste ich mir gleich so etwas anhören. Nichts als Vorwürfe. Der Junge hatte sich vor nicht weniger als einer Minute vor der Tür von mir verabschiedet und war in die Richtung seiner Wohnung verschwunden. 

"Jetzt muss der arme Junge im Dunklen draußen herum laufen.", sagte meine Mutter und warf einen Blick nach draußen. Ich verdrehte die Augen über den Kommentar meiner Mutter. Der arme Junge.

"Yoongi kann ja wohl alleine nach Hause laufen und muss nicht noch gefahren werden. Anders als ein Mädchen, wie ich, findet sich ein Junge nachts gut alleine in einer großen Stadt zurecht.", sagte ich anmaßend. 

"Wenn du darauf hinauswillst, dass ich dich hätte  abholen sollen, das war nicht nötig."

Ich schaute sie skeptisch an und sie lachte.

"Du hattest ja Yoongi, der auf dich aufpasst.", sagte sie und ich schüttelte  schnell den Kopf.

"Ganz bestimmt nicht!" Mein Protest kam lauter hervor, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte und meine Mutter legte schnell einen Finger auf die Lippen. Jitae schlief wahrscheinlich schon. Es war schließlich schon spät.

"Gute Nacht.", murmelte ich leise und meine Mutter sah mich einen Moment einfach nur stumm an. Sie lächelte  leicht.

"Schlaf gut, mein Schatz.", flüsterte sie und machte Anstalten mir mit der Hand durchs Gesicht zu streichen, ließ es dann aber bleiben. So war es mir auch lieber.

Irgendwie verhielten sich heute alle komisch. Erst Yoongi und jetzt meine Mutter.

Ich lächelte sie noch einmal kurz an und ging dann in das große Badezimmer. Ich zog meinen Schlafanzug an, putzte mir die Zähne und kämmte mir noch einmal durch die Haare, damit mir am nächsten Morgen kein Vogelnest entgegenspringen würde. In meinem Zimmer ließ ich nur noch schnell die Rolladen herunter und ließ mich dann in mein Bett fallen.

Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es schon fast elf war. Eigentlich müsste ich schon längst schlafen, damit ich am nächsten Tag in der Schule nicht vom Stuhl fallen würde. Aber der Zug war schon längst abgefahren. Es war wahrscheinlich, dass ich in der ersten Unterrichtsstunde weder aufpassen, noch links von rechts unterscheiden können würde.

Als  ich so ruhig im Bett lag, dachte ich noch einmal  über Yoongis Worte nach. 'Vielleicht musst du einfach nur genauer hinhören.' Das hatte er gesagt, aber den tieferen Sinn hatte ich bis dahin immer noch nicht begriffen. Wo sollte ich hinhören? Er hatte mir nie auch nur eines seiner Stücke gezeigt, auch nicht auszugsweise. Meinen Nachfragen war er den gesamten Weg zu mir nach Hause auch ausgewichen.  Noch nicht einmal einen kleinen Hinweis,  was es mit dieser Aussage auf sich hatte, hatte ich bekommen. Er hatte mich einfach ins kalte Wasser geschubst.  Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. 

Zu allem Überfluss hatte er es jetzt auch noch geschafft, dass ich nicht einmal  mehr richtig einschlafen konnte. Na  ganz super. Jetzt konnte ich mir immerhin sicher sein, dass ich am nächsten Morgen kein Auge auf bekommen würde. Danke Yoongi.

Vielleicht musst du einfach nur genauer hinhören... Was steckte bloß hinter diesen Worten? Vielleicht steckte im Endeffekt ja nichts weiter dahinter, und ich machte mir unnötig Gedanken. Für nichts und wieder nichts. Aber wer konnte schon sagen, was in dem Kopf des Älteren vor sich ging? Ich jedenfalls nicht. Ich glaubte nicht einmal er wusste in manchen Momenten, was sich in seinem Kopf abspielte. Bei dem Gedanken daran, was in seinem Kopf wohl vor sich ging, musste ich an den Kuss denken und war mit einem Mal froh, dass sich dieses Detail nicht mehr in seinem Kopf befand. Dafür musste ich mittlerweile immer öfter daran denken. Und an das komische Gefühl, was er bei dieser kurzen Berührung in mir ausgelöst hatte.

Mein Blick glitt zu meiner Uhr. Mitternacht. Ich seufzte.  Ohne eine Antwort auf all meine Fragen würde ich wohl wirklich nicht einschlafen können. Ob ich Yoongi um diese Uhrzeit noch anschreiben konnte? Besser nicht. Nachher würde er mich noch für verrückt erklären. Andererseits war er bestimmt sowieso schon am schlafen. Jemand wie er konnte wirklich überall und um jede Uhrzeit schlafen.  Darum beneidete ich ihn gerade in diesem Moment von ganzem Herzen.

Ich scrollte ein wenig durch Social Media in der Hoffnung, dass sich bei mir irgendwann die Müdigkeit einstellen würde, aber nichts. Nada. Niente. Ich war so wach, wie nach 12 Stunden Schlaf am Stück.

Ich fasste einen Entschluss. Dann würde ich eben einfach Musik hören.

Ich würde mich garantiert wieder zu den Tönen der Songs entspannen können und die Anspannung von mir fallen lassen. Genau wie im Park. Neben Yoongi.

Ich versuchte meine Kopfhörer so leise wie möglich aus den Tiefen meines Ruckssacks zu  fischen,  in den ich sie nach dem Trip wieder geschmissen hatte, um sie ja nicht am nächsten Morgen zu vergessen. Das war mir schon öfter passsiert, doch ohne Musik konnte ich den Tag einfach nicht richtig überstehen.

Leise tapste ich wieder zurück zu meinem Bett. Man musste mir hoch anrechnen, dass ich mir auf dem Weg nicht den kleinen Zeh an irgendeinem Schrank oder anderm Gegenstand anschlug. In dem Fall hätte ich nämlich nicht mehr ruhig bleiben können. Auch beim besten Willen nicht. Ich hätte Mom und Jitae gnadenlos geweckt mit dieser Aktion.

Zu unserer aller Glück geschah jedoch nichts dergleichen und ich schaffte es vollkommen unfallfrei wieder unter meine warme Bettdecke.

Ich zog mir die Kofhörer über und startete die Musik. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Der Musiker schaffte es immer wieder mich zum Lächeln zu bringen. Es war nur komisch, dass ich sonst zu ihm im Internet nichts fand. Keine Angaben zu seiner Person, oder darüber wo er lebte und wo er herkam. Es  war traurig, weil ich so wahrscheinlich nicht einmal  mitbekommen würde, ob es neue Musik  von ihm gab, aber ich musste mich eben mit dem zufrieden geben, was ich hatte.

Kaum vorzustellen was ich gemacht hätte, wäre ich in Seoul am Flughafen nicht zu der Menschenansammlung gelaufen und hätte keine CD bekommen. Wahrscheinlich hätte ich all meine Gefühle weiter in mich hineingeschaufelt, um sie dann später mit Jenny oder Kathy zu besprechen. Jayden und Nico musste ich mit Gefühlen nicht kommen. Sie waren Jungs, sie  würden kein Wort verstehen von dem was ich ihnen erzählte. 

Die Musik schallte leise aus den Kophörern und drang in den Hintergrund. So langsam fielen mir auch die Augen immer mal  wieder zu. Mit jedem Ton wurde ich schläfriger. Auch ohne Antwort auf meine Frage, was Yoongi mit 'genauer hinhören' gemeint hatte, schlief ich letztlich doch noch ein.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt