36. Vaterliebe

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In der Finsternis erreichte Arkani das südliche Ende von Dukatia. Natürlich leitete Tristan sein Pokémon nicht mitten durch die Stadt, wo sie jeder hätte sehen können. Tristan kannte einen Schleichweg im Wald östlich von Dukatia. Nach einem langen Irrweg erblickte er hinter dem Dickicht aus Bäumen endlich die Hauptstadt.
Kaum fähig, seine Augen offen zu halten, wollte Tristan ein wenig schlafen.  Aus Angst, den Sonnenaufgang und damit seinen Vater zu verpassen, konnte er sich aber nicht erholen. Er musste früh dran sein, bevor Isaak wieder allerlei Termine haben würde.
Unentwegt starrte der junge Mann in den Himmel, bis dieser am Horizont im Osten endlich etwas heller wurde. Es musste etwa fünf Uhr morgens gewesen sein; die rechte Zeit, um aufzubrechen.
Er holte sein erschöpftes Arkani aus dem Pokéball. Für einen Moment stand das Pokémon auf seinen Vieren, fiel dann aber gekünstelt zur Seite um und wollte schlafen.
"Ich weiß, Kini. Du bist müde, die gestrige Schlacht, die Kämpfe. All das belastet dich. Aber ich brauch jetzt wirklich deine Hilfe", flehte Tristan auf seinen Feuerhund an.
Der rollte sich aber nur auf den Rücken und streckte alle Viere von sich. Der Trainer kraulte Arkani am Bauch, welches ihm einen kurzen Blick zuwarf und dann seinen Kopf auf den Boden fallen ließ. Arkani ließ seine Zunge raushängen, um seine Müdigkeit zu signalisieren.
"Jetzt mach bitte kein Drama. Von dir hängt ab, ob Oliviana eine Möglichkeit auf Frieden hat oder angegriffen wird."
Zum Glück war Tristan gut ausgestattet und hatte allerlei Beeren vorrätig. Er zwang sein Pokémon, eine Maronbeere zu fressen, welche gegen Müdigkeit half.
"Jetzt kannst du mir nicht mehr erzählen, dass du müde bist. Komm, wir müssen wirklich los", beteuerte der junge Mann, worauf sich Arkani schlussendlich doch erbarmte und dem Befehl seines Trainers Folge leistete. 

Arkani und Tristan überwanden in der Nähe von Isaaks Schmiede die Stadtmauer. Auf leisen Pfoten huschte Arkani zur Firma, auf deren Dach es sprang und eine sanfte Landung hinlegte.
"Na also, geht doch Arkani. Du darfst jetzt auch weiter schlafen. Ich brauche dich bald wieder und dann ist es dringend. Mach dann bitte keinen Aufstand", bat Tristan sein Pokémon und streichelte ihm über den Kopf.
Er holte Arkani in den Pokéball und ließ sich hinab auf den Balkon, welchen sein Vater vor seinem Büro hatte. Die Balkontür war verriegelt, aber Tristan verschaffte sich gewaltsamen Zutritt und schlug die Scheibe ein. Die Stille des Morgens wurde von dem zu Boden klirrenden Glas zerschnitten.

Tristan befreite sich aus dem Vorhang, in welchem er sich verfangen hatte und wartete. Er nahm Platz auf einem Stuhl am runden Tisch im Eck. Da er aber drohte einzuschlafen, durchsuchte er lieber den Schreibtisch seines Vaters.
Immerhin galt es, Isaak die Rebellenfinzanzierung zu beweisen. Aber sein Vater war gewiss nicht so dumm, derart vertrauliche Unterlagen ohne Verschluss in seinen Schreibtischschubladen aufzubewahren. Da seine Suche erfolglos blieb, nahm Tristan wieder im Eck des Büros Platz.
Es dauerte vielleicht noch eine halbe Stunde, bis ein Schlüssel im Schloss herumgedreht und die Tür geöffnet wurde. Tristans Puls schoss in die Höhe. Wie sein Vater wohl reagieren würde, ihn hier sitzen zu sehen?
"Hier zieht's ja, hab ich das Fenster offen gelassen?", fragte Isaak in den Raum, ohne seinen Sohn bemerkt zu haben.
Geradewegs ging er auf die Balkontür zu, vor der der Vorhang im Wind wehte, um die Tür zu schließen. Dabei trat der alte Herr auf die Glassplitter, welche unter seinem Gewicht erneut knackten. Überrascht blickte Isaak auf den Boden.
"Ich fürchte, das war ich."
Schockiert zuckte Isaak zusammen und blickte in die Richtung seines Sohnes. Er starrte ihn an wie einen Geist: "Tristan? Du bist hier?"
Der junge Mann erhob sich und stützte sich mit einem Arm am Tisch ab: "Das bin ich. Und wir müssen reden."

Bevor der Sohn mit seinen Vorwürfen beginnen konnte, umarmte ihn sein Vater.
Er schluchzte in Tristans Schulter: "Ich hab gedacht, du bist tot. Und vor vier Wochen erfahre ich, dass sie dich in Teak mit der Deserteurin geschnappt haben. Jetzt bist du hier und ich bin so glücklich."
Nach dem Tod seiner Mutter schien sich Isaak nie groß für seine Kinder interessiert zu haben. Umso überraschender waren diese Worte für Tristan. Nach all den Jahren schien er doch einen Vater zu haben, der sich um ihn sorgte.
Dennoch warf der junge Leutnant seinem Vater die Rebellenfinanzierung vor. Zu seinem großen Erstaunen musste er Isaak kein Wort aus der Nase ziehen. Stattdessen erzählte der Firmeninhaber bereitwillig von seinen Machenschaften.
"Ach Tristan, glaub mir, dass es mir schwer fällt, alles zuzugeben. Aber es ist Tatsache, dass ich und Hermann schon seit sehr langer Zeit kooperieren. Das ist ein offenes Geheimnis. Er brachte den Kriegsrat dazu, dem Kauf meiner Ware zuzustimmen und er wurde dafür von mir entsprechend entlohnt. Das heißt nicht, dass mein Zeug schlecht ist! Wenn du meine neue Rüstung schon mal getragen hast, wirst du dich wundern!"
"Vater bitte, ich bin nicht hier, um mir deine Werbesprüche anzuhören", erinnerte Tristan.
Isaak räusperte sich und fuhr fort: "Wie dem auch sei. Ja, ich habe Rebellen finanziert! Ich wusste, dass Hermann an die Macht wollte und hab ihn dabei unterstützt. Es sah alles nach einem lukrativen Geschäft aus. Außerdem..."

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt