66. Jaylin: Verabschiedung

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„Wieso nennt ihr ihn nicht Elijah?", fragte ich meine Eltern das Offensichtliche.

Sie wollten mit mir gemeinsam den Namen für meinen kleinen Bruder aussuchen, der in Mums Bauch wuchs. Ich fand es toll, dass ich ihm so etwas von mir mitgeben konnte, wenn ich schon nicht mehr mit ihm Fußballspielen oder ihm Flirt-Tipps geben konnte.

„Wie kommst du denn darauf?", wollte Mum verwirrt wissen.

Wir waren so viele Namen durchgegangen, aber keiner hatte mir gefallen. Der schon.

„Naja, der Name ist irgendwie klassisch, aber zeitlos, einfach auszusprechen, klingt gut, egal in welchem Alter er ist und es ist der Name von eurer beider ersten Liebe. Wieso also nicht?"

Dad sah mich überrascht an. Mum ebenso.

Genau in diesem Moment ging die Tür auf und Austin spähte ins Zimmer. „Darf ich wieder reinkommen? Mir ist so langweilig", schmollte er gespielt.

Ich musste leicht lachen, was ihm ein echtes Lächeln entlockte.

„Klar, komm rein", meinte Mum ebenso lächelnd, genau wissend, wie verknallt ich in diesen Mann war.

Austin atmete erleichtert aus, schlenderte in den Raum und setzte sich zu mir aufs Bett. Ich nahm seine Hand und er umschloss mit einem Lächeln unsere Finger.

„Wie wärs, wenn wir einfach Austin fragen?", schlug ich meinen Eltern vor.

„Ohh ich bin schlecht im Antworten.", sagte er sofort unzufrieden.

Ich musste leicht lachen. Er war so ein Spinner. Aber ein unglaublich süßer. Ich fand es toll, dass er versuchte, mich zu beglücken, obwohl ich deutlich sah, dass er vor kurzer Zeit geweint haben musste. Mein armer Schatz.

„Das wirst du schon hinbekommen", schmunzelte ich, sah ihn aufmunternd an und gab ihm einen Kuss auf seine Hand.

Dad nickte zustimmend, Mum zuckte mit den Schultern, also fragte ich Austin: „Wie findest du die Idee, meinen kleinen Bruder Elijah zu nennen?"

Seine Augenbrauen hüpften hoch. „Speziell"

„Speziell ist super", verkündete ich mehr als zufrieden und sah meine Eltern stolz an, die mehr kritisch wirkten.

„Ich weiß ja nicht" Nachdenklich sah Austin mich an. „Es ist schon seltsam, deinen Bruder nach dem Ex deiner Eltern zu benennen, meinst du nicht?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir können ihn ja auch Jay 2.0 nennen. Sie süßere und bessere Version"
Ich dachte natürlich nicht nach, bevor ich das sagte und dementsprechend verstört und verletzt fielen die Reaktionen dazu aus.

Als ich das bemerkte, winkte ich ab. „Ach vergesst es. Ich bleibe bei Elijah" Entschlossen nickte ich.

Dad seufzte. „Gut, dann halt Elijah. Die Idee ist ja ganz schön"

Er lächelte mich an, doch war sehr traurig, das hörte man an seiner erschöpften Stimme. Meine Eltern waren immer traurig, wenn ich sie sah, seit ich hier im Krankenhaus war. Dafür verantwortlich zu sein fühlte sich nicht wirklich gut an.

„Was soll ich sagen? Mein Hirn ist halt noch nicht komplett am Arsch"

Dad presste die Zähen zusammen, mahlte mit dem Kiefer. „Könntest du bitte aufhören, dich darüber lustig zu machen, Jaylin?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Was soll ich denn sonst machen? Heulen bis ich tot umfalle? Das will ich nicht und ihr solltet das auch nicht tun. Ja okay, ich weiß, dass ich noch ziemlich jung bin. Ich hab mir das ja auch nicht ausgesucht und könnte ich, würde ich es natürlich ändern, aber Tatsache ist nun mal, dass ich sterben werde. Sehr bald. Es bringt nichts, das zu verleugnen. Ich will einfach noch ein bisschen glücklich sein, okay?"

Keine Ahnung, ob ich auch so gesprochen hätte, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, Austin dazu zu bringen, mich zu verwandeln.

Meine Eltern stimmten mit einem stillen Nicken zu, wollten sich dann verabschieden, aber ich bat um einen Moment mit meinem Dad alleine.
Zuvor umarmte ich Mum fest, küsste ihre Wange, ihren Bauch, ehe sie schon mal vorging.
Austin begleitete sie.

Als die Tür hinter ihnen zufiel, sah Dad mich fragend an. „Was ist los, Großer?"

Ich setzte mich in den Schneidersitz, rückte näher an Dad heran.
„Ich weiß, dass ich ein scheiß Sohn war...", begann ich.

Er schüttelte schnell den Kopf. „Tu das jetzt bloß nicht, Jaylin"

Ich ignorierte es. „... und das tut mir leid, denn du warst ein großartiger Vater. Ich habe das alles als so selbstverständlich angesehen. Das hätte ich nicht tun sollen. Ich weiß, dass du immer nur das Beste für mich wolltest und ich bin dir unglaublich dankbar dafür, dass du zumindest jetzt Austin an meiner Seite akzeptierst. Ich... Ich will einfach, dass du weißt, dass ich es nie so gemeint habe, wenn ich geschrien habe, dass ich dich hasse, und dass ich dich nie enttäuschen wollte, wenn ich dich beklaut habe, und dass ich niemals dafür verantwortlich sein wollte, dass es dir scheiße geht. Du bist mein Dad. Ich liebe dich. Ich will einfach, dass du das weißt und dich daran erinnerst, wenn ich nicht mehr da bin, um dich zur Weißglut zu treiben. Ich bin stolz darauf, dein Sohn zu sein. Ich bin dankbar dafür, dass du mein Vater bist. Ich bereue nur, dass ich dir das nie bewiesen habe."

Dad liefen die Tränen hinab. Er packte mich einfach und umarmte mich.
Ich erwiderte es, genoss es, meinem Dad auch emotional so nahe zu sein wie seit Jahren nicht mehr.

„Du bist ein wunderbarer Sohn, Jaylin. Du bist mein ein und alles. Ich hasse es, dass ich dich nicht vor all dem beschützen konnte. Ich hasse es zu sehen, wie es dir schlecht geht und du trotzdem versuchst, uns halt zu geben. Ich hasse es, dich in viel zu kurzer Zeit zu Grabe tragen zu müssen. Es ist... Das schlimmste, was ich je gefühlt habe. Es ist schlimmer als von meinen Eltern verstoßen zu werden, schlimmer als Elijahs Tod, schlimmer als alles zu verlieren. Weil ich dich verliere. Meinen kleinen Jungen."
Er drückte mich fester, so als wollte er mich vor der ganzen Welt beschützen.

„So klein bin ich gar nicht", schmunzelte ich gerührt.

„Nein, nicht mehr" Dad schniefte und ließ mich aus der festen Umarmung.

Ich sah seine Tränen und strich sie sorgfältig weg, während ich leicht lächeln musste, obwohl es unendlich weh tat zu sehen, wie sehr er litt.

„Ich hab dich lieb, Dad."

„Ich dich auch" Ich sah ihm an, wie viel ihm diese Worte bedeuteten, dieses gesamte Gespräch.

Er wusste es nicht, ich wusste es auch nicht, aber ein Teil von mir hatte die Gewissheit, dass das unsere Verabschiedung gewesen war.

Only mortal (Boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt