Ankunft

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Tag X rückt immer näher. Nicht einmal mehr zwei Tage, bis dieses ominöse Event stattfinden soll. Schwer keuchend trainiert der heterochrome Serienmörder an einem improvisierten Sandsack, den er vor einiger Zeit mittels festem, unnachgiebigen Stoff bedarfsmäßig zusammengebastelt und mit Sand gefüllt hat. Seine Fingerknöchel aufgeschürft und Schweißperlen, die Sleepless über die Gesichtspartie rinnen und vom Kinn auf den Boden tröpfeln. Der durchtrainierte Körper von den Anstrengungen der letzten zweieinhalb Stunden verspannt und gerötet, prügelt der Schlaflose unbarmherzig auf den provisorischen Sandsack ein. Der „Trainingsraum", welcher eigentlich das Schlafzimmer des Serienmörders ist, nur mit dem Zusatz des „Sportgerätes".

Nach 30 weiteren Minuten, in welcher Sleepless seine rohe Gewalt gegen den wehrlosen Sandsack ausübt, sinkt der Braunhaarige schwer nach Luft ringend auf das Bett, den Blick an die Zimmerdecke gerichtet.

In seinen Gedanken gibt es nur noch ein hauptsächliches Thema. Dieses seltsame Turnier und die einhergegangene Drohung, Informationen bezüglich Alice und Sunny auszunutzen. Seine Hände ballen sich zu blutigen Fäusten. Innerlich getrieben von Hass, welcher im Angesicht der laufenden Musik von Eminem nur vorangetrieben wird, springt der Serienmörder vom Bett hoch und beginnt auf ein Neues dem Sandsack Schläge zuzufügen, die diesem, wenn er Nervenbahnen zum Verspüren von Schmerzen hätte, einen Schreikrampf entlocken würde.

„Seit wann trainierst du, als hinge dein Leben davon ab?", fragt auf einmal jemand hinter Sleepless mit einer kratzigen, neutralen Stimme. Ein kurzer Seitenblick ist das Einzige, was das junge Mädchen als Reaktion erntet. Kurze, filzig, fettige Haare. Verschiedenfarbige Augen. Ein Rotes und ein Schwarzes. Mehrere Verbände um Stirn und Arme. Grauer, schmutziger Pullover, auf dem in schwarzen Lettern ihr Name geschrieben steht. Alice.

„Pass bitte mit deinem Blut auf. Möchte meine Kräfte noch etwas behalten", kommentiert die 14 jährige Gefährtin, als sie sich des Lebenssaftes besieht, die der Serienmörder im Zuge seines Intensivtrainings im gesamten Schlafzimmer verteilt hat. Ihre Worte ignorierend, verpasst Sleepess dem Sandsack mehrere aufeinander abgestimmte Schlagkombinationen.

„Du bist ja Feuer und Flamme", sagt Alice, einerseits an den Schlaflosen und andererseits an eine besondere Seele in ihrem Glas gerichtet, die sie zu betrachten begonnen hat. Sie macht sich Gedanken um die Person, der sie geschworen hat zu folgen und zu unterstützen.

„Greif mich an!", befiehlt der Schlaflose mit einem Mal. Alice' Blick schnellt zu Sleepless, doch sie ist nicht die Person, die angesprochen worden ist.

„Wollen wir dafür nicht wohin, wo mehr Platz ist?", erwidert Einauge, der im Schlafzimmer seit einigen Minuten an einer Wand lehnt. Der Heterochrome nickt und kurze Zeit später finden sich beide in einem irrwitzig großen, aufgrund des hellbraunen, gebohnerten Bodens an eine Turnhalle erinnernden Raum wieder. Weder Tür noch Fenster sind vorzufinden, was Sleepless zu dem Schluss kommen lässt, dass nur Wesen mit Teleportationsfähigkeit diese Halle betreten können. Zu seiner Verwunderung erblickt er, als seine Augen umherschweifen, seine Partnerin auf einer länglichen Sportbank sitzen. Den Kopf auf ihren Metallarm gestützt und die Beine überschlagen, beobachtet ihn seine Sunny.

„Für den Fall, dass einer von uns beiden nach dem Sparring medizinische Hilfe braucht", antwortet Einauge auf die ungestellte Frage des Braunhaarigen. Dieser zieht seine Augen etwas zusammen, nicht sicher, ob Einauge ihn mal wieder gelesen hat, wie ein Buch, oder ob das alles zufällig von statten gegangen ist. Schnell entschließt er sich, dass es ihm eigentlich ziemlich egal ist und zieht sein vom Schweiß durchnässtes Shirt aus. Ein muskulöser Oberkörper kommt zum Vorschein. Aus der Hosentasche fischt Sleepless behutsam eines seiner Skalpelle.

Ohne sich zu fragen, ob man für einander bereit ist, ist es Sleepless, der den ersten Zug macht und auf Einauge zurennt. Der blonde Anführer der Mondloge lächelt unentwegt und belässt seine Arme noch in der verschränkten Position. Lässt Sleepless näherkommen. Ausholen. Zuschlagen. Nur, um sich im exakt passenden Zeitpunkt hinter den Angreifer zu teleportieren und den ersten Treffer zu landen. Geplant. Durchgezogen. Zumindest bis zum letzten Punkt, denn kurz vor dem erhofften Treffer, dreht sich Sleepless zur Seite weg und verpasst Einauge einen unangenehmen Tritt in die Seite. Der Getroffene geht einige Schritte zurück und wirkt mehr erschrocken, als wirklich schmerzhaft erwischt. Er weiß zwar, dass Sleepless und Lars zusammenarbeiten und Letzterer ihm alle Angriffe voraussagt, aber bisher sind seine Aussagen selten so auf dem Punkt gewesen, dass Sleepless im Ausweichschritt sogar angreifen kann. Ein Skalpell surrt haarscharf an Einauges Gesicht vorbei. Verfehlt ihn gezielt, streift jedoch seine rechte Wange, sodass ein feine kleine Schnittwunde entsteht.

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