Kapitel 22

72 3 0
                                    

Taleria P.O.V.

Seit dem Gespräch mit Gandalf waren einige Stunden Vergangen. Meine Großeltern hatten sich des Öfteren nach meinem Wohlbefinden erkundigt und Aragorn schien mir irgendwie aus dem Weg zu gehen. Jedes Mal, wenn ich ihn ansprechen wollte, fand er eine Ausrede und verschwand sogleich wieder.
Ich saß gerade in meinem Zimmer und brütete über die Geschehnisse der letzten Tage nach. Da fiel mir das Stück Pergament ins Auge, auf welchem ich am Vormittag alle meine Gedanken aufgeschrieben hatte.
Ich griff nach dem vergilbten Papier. Die Wörter darauf waren verschmiert und nur schwer leserlich, aber ich hatte sie ja selbst verfasst. Immer wieder wanderten meine Augen über die Zeilen. Ein Name wiederholte sich dabei immer wieder. Aislinn.
Wieder einmal füllten sich meine Augen mit Tränen und bevor ich es verhindern konnte, flossen sie mir in Sturzbächen über die Wangen.
In den letzten zwei Tagen war das viel zu oft der Fall gewesen, aber bei dem Gedanken an meine beste Freundin, konnte ich es nicht verhindern.
Ich hatte immer versucht es zu verdrängen und mich mit allem andern abzulenken, doch ich vermisste sie. Es war, als ob sie ein Stück von mir mitgenommen hätte.
Bilder von Ash schossen mir durch den Kopf. Wie sie sich immer über unseren Geschichtsprofessor aufgeregt hatte. Wie sie mich umarmte, als wir sie in Bruchtal fanden. Ihre leuchtenden Augen, als sie mir von Fili und ihr erzählte. Ihr blutüberströmter Körper auf dem Boden und ihr trauriges Lächeln, als sie meine Hand auf ihren Bauch legte.
Plötzlich mischte sich auch ein anders Gefühl in meine Trauer ein. Es war Wut. Sie wurde immer größer. Wie eine riesige Welle schwappte sie über die Trauer hinweg.
Aislinn wurde mir von Sauron und seinen niederträchtigen Kreaturen genommen und ich werde sie mir wieder zurückholen. Egal was es kostete.
Mit vor Zorn zitternden Händen zerriss ich das Pergament in kleine Fetzten und ließ diese auf den Boden fallen.
Was machte ich hier überhaupt noch? Seit Wochen war ich nun schon in dieser Stadt und wir hatten nichts unternommen! Es kam mir vor, als würden sich alle, mich eingeschlossen, vor dem kommenden Krieg verstecken und hoffen, dass er an ihnen vorüberziehen wird. Doch damit war Schluss.
Wütend wischte ich mir die Tränen aus den Augen und stand auf. Ich hatte genug vom trainieren und planen. Ich wollte handeln!
Ohne groß darüber nachzudenken, ging ich zu der ersten Person, die mir in den Sinn kam, um ihr mein Vorhaben zu eröffnen.
Natürlich könnte ich auch still und heimlich verschwinden, doch ich wusste nicht einmal wo ich suchen sollte. Ich brauchte Unterstützung.
So schnell ich konnte lief ich zum Thronsaal, wo ich Gandalf finden wollte. Auf dem Weg begegnete ich einigen Wachen, die mich mit einem befremdenden Blick beobachteten, doch ansonsten war es erstaunlich ruhig in den Straßen Caras Galadhons.
Als ich endlich an dem großen Eichentor ankam, musste ich erst einmal wieder zu Atem kommen. Mein Körper war wohl doch noch ein wenig angeschlagen von dieser Zeremonie.
Dann öffnete ich das Tor mit einem straken Ruck. Sofort wurden mindestens zwei dutzend Speerspitzen auf mich gerichtet. Vor Schreck stolperte ich einige Schritte zurück.
„Was zum Teufel...? Ich bin's doch nur!"
Verwirrt starrte ich in die Runde der behelmten Elben. Schließlich sanken sie ihre Speere und ließen mich ohne Worte passieren.
Im Thronsaal war niemand zu finden, weder Gandalf, noch meine Großeltern. Ich suchte weiter, doch sie waren nirgends zu finden. Normalerweise war im Thronsaal recht viel los. Doch heute war alles wie leergefegt.
Plötzlich hörte ich Stimmen hinter einer Tür, die mir bisher noch nie aufgefallen war.
„Wir können nicht mehr warten!" Ist das nicht Gandalf?
„Sie ist noch nicht bereit! Das wäre ihr Tod." Élor!
Ohne weiter darüber nachzudenken, stieß ich die Tür aus hellem Eichenholz auf. Der Raum dahinter war nicht besonders groß. Es passte gerade so ein runder Tisch mit geschwungenen Tischbeinen hinein. Auf der Tischplatte waren viele kleine Schnitzereien zu erkennen, die mir aber nicht bekannt vorkamen.
Mein Blick wanderte zu der Ansammlung von Personen, welche um den Tisch herumstanden. Gandalf, Élor, Aragorn und meine Großeltern blickten mich aus großen Augen an.
Kurz herrschte Stille, doch dann brach Élor diese: „Taleria! Was machst du denn hier? Du solltest dich doch noch ausruhen."
Etwas an seinem Tonfall beunruhigte mich. Es klang fast so, als wollte er mich nicht dahaben. Ich schüttelte den Kopf, um die wirren Gedanken loszuwerden.
„Ich habe Gandalf gesucht. Was macht ihr hier, und wo sind alle?"
Kurz tauschten die Anwesenden vielsagende Blicke , dann sprach Celebron: „Unsere Grenzen wurden von Orks angegriffen. Wir haben gerade besprochen, wie wir vorgehen. Die Bewohner der Stadt wurden sicherheitshalber in
bân merethrond untergebracht."
Es dauerte eine Weile, bis das Gesagte in mein Gehirn vordrang. Orks. Hier in Caras Galadhon!
Ich hatte schon so oft mit diesen widerlichen Biestern gekämpft, und doch konnte ich auf eine weitere Begegnung mit ihnen gut verzichten.
„Und was ist euer Plan?", fragte ich deshalb in die Runde.
„Gandalf meinte, dass du zusammen mit ihm weiter nach Westen reisen solltest.", begann Frau Galadriel unschlüssig.
„Ich vermute, dass dort der Ort ist, an dem sich deine Freundin zur Zeit befindet. Je schneller wir dort sind, desto schneller kannst du sie zurück holen.", erklärte Gandalf und blickte mir dabei eindringlich in die Augen. Fast so, als wollte er mir etwas mitteilen.
Doch bevor ich darauf eingehen konnte, mischte sich Élor in die Unterhaltung ein: „Das ist doch kompletter Schwachsinn! Dieser wundersame Ort, von dem du da sprichst, existiert nicht, Mithrandir! Und selbst wenn: Taleria ist noch nicht einmal ansatzweise bereit dazu. Das wäre Selbstmord. Wenn sie hierbleibt, kann sie sich darauf vorbreiten." Bei Élors Worten fiel mir ein, weshalb ich wirklich hierhergekommen bin. Plötzlich kehrte die Wut zurück, die ich schon in meinem Zimmer verspürt hatte.
„Ich habe mich doch schon zur Genüge vorbereitet!", entgegnete ich. „Wenn ich weiter hier sitze und darauf warte, dass der Krieg zu uns kommt, werde ich noch verrückt."
„Taleria, du bist noch ni–", begann Élor wieder, doch ich unterbrach ihn sofort wieder: „Und ob ich bereit bin! Lasst mich endlich etwas machen."
Nun schaltete sich auch Aragorn ein: „Ich stimme Élor zu. Taleria kann es noch nicht alleine mit Sauron aufnehmen."
Ich wollte meinen besten Freund schon unterbrechen, doch er brachte mich mit einem Handzeichen zum Schweigen.
„Deshalb ", fuhr er fort. „werde ich sie und Gandalf begleiten. Wir können sie nicht zwingen hierzubleiben. Wir können sie nur mit allem unterstützen, was wir haben."
Beim letzten Satz konnte ich ein kleines Schmunzeln auf seinem Gesicht erkennen. Dankend lächelte ich Aragorn an, was er mit einem knappen Nicken erwiderte.
„Das alles geht viel zu schnell! Wir müssen dieses Vorhaben planen und uns darauf vorbereiten." Celebron rieb sich erschöpft über die Augen. „Aber ich schätze, wir können euch drei nicht umstimmen. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als euch für die Reise zu versorgen."
Frau Galadriel blieb stumm und blickte uns alle mit berechnenden Augen an.
Schlussendlich seufzte sie: „Dann ist es beschlossen. Morgen werdet ihr aufbrechen. Schlaft nun, es wird eine anstrengende Reise werden."
In meinem Körper machte sich Erleichterung breit. Glücklich sah ich in die Runde. Jeder schien sich mit der Tatsache abgefunden haben, dass wir weiterziehen würden. Nur Élor blickte weiterhin mit finsteren Blick zu Gandalf.

Die Zukunft der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt