Kapitel 6

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Er kennt mich, er weiß alles über mich. Es scheint als wüsste er sogar mehr über mich als ich selbst.

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Ich stolpere die nächste Stufe hoch und die nächste und wieder die nächste.

Meine Arme richten sich schützend nach vorn, zum einen um mich zu stützen, falls meine Beine nachgeben sollten und außerdem habe ich zu viel Angst, dass ich meine Arme nichtmal annähernd ausstrecken könnte. Ich will gar nicht wissen, wie eng der Gang mittlerweile ist, sonst könnte ich vermutlich keinen einzigen Schritt mehr machen.

Zitternd steige ich mit beiden Beinen auf die nächste Stufe, die sich genauso anfühlt wie die 82 davor.

Ich weiß nicht, wieso ich angefangen habe zu zählen. Vielleicht um irgendetwas zu haben, das mir vertraut vorkommt und nicht so unreal erscheint.

Zahlen sind Fakten und Fakten sind Sicherheit, zumindest meine Sicherheit.

Ein Schluchzer hallt durch die dunkle Treppe, doch er klang nicht wie mein eigener.

Jetzt werd nicht auch noch vollkommen verrückt!

Wahnvorstellungen, natürlich. Ich bin dehydriert und in einer Stresssituation, das führt Wahnvorstellung herbei.

Ich werde verrückt, vielleicht ist das alles hier auch nicht real.

Ein Wummern unterbricht mein hysterisch schnelles Atmen und verzweifeltes Schluchzen. Mein Fuß verharrt in der Luft, dann stelle ich mich hastig ganz auf die nächste Stufe, als würde die andere mir das Bein abbeißen.

Was war das, zur Hölle?

-Die Wände.

Ohne nachzudenken breite ich die Arme aus. Doch dabei schlagen meine Knöchel unerwartet schnell gegen die unnachgiebige Fläche, weswegen ein pochender Schmerz sich langsam durch meine tauben Hände zieht.

Die Wand ist nah, sehr nah. Zu nah.

Ein zittriges Wimmern entweicht mir und ich beiße mir auf die spröde Lippe.

Den gestreckten linken Arm strecke ich diesmal vorsichtiger nach oben.

Ich kann mit der ganzen Handfläche die Decke berühren, dabei konnte ich sie vorher nicht einmal erahnen.

Krankhaft panisch springe ich mehrere Stufen gleichzeitig hoch, dabei schlagen mir schweißnasse Haarsträhnen ins Gesicht, doch vielleicht liegt es auch nur an den Tränen.

Wo kommt das ganze Wasser her? Ich verdurste!

-Nicht hilfreich!

Immer wieder rutsche ich wieder mehrere Stufen zurück, schlage mir dabei Knie, Ellbögen und Handflächen auf. Überall pochen aufgeschrammte Stellen und ich schnaufe geräuschvoll bei jedem Schritt. Adrenalin und Angst jagen durch meinen Körper und beide treiben mich weiter voran.

Noch ein Schritt, noch ein Sprung, noch ein Fall, noch eine Stufe, noch ein Atemzug.

"Stop!"

Wie angewurzelt bleibe ich augeblicklich stehen.

Jetzt höre ich schon Marcs Stimme, na super.

"Hallo?", flüstere ich heiser in die schwammige Dunkelheit ohne mich umzudrehen.

"Warte auf mich!" Trommelnde Schritte von weiter weg hallen hoch zu mir. Es könnte ewig weit weg sein, die Wände würden es locker bis zu mir tragen.

"Wer spricht da?", krächze ich.

"Beth, ich bin gleich bei dir!"

Beth.

Niemand nennt mich so.

Außer Marc.

Wiedrt trommelnde Schritte, schnell und regelmäßig.

Er rennt.

Er ist groß und gut trainiert, ich bin klein und dehydriert und nervlich am Ende. Er rennt zu mir und ich krieche die Treppen hoch. Wird er mich dann umbringen? Oder erst noch foltern? Wäre es nicht einfacher, wenn ich einfach die Treppen hinunterfalle?

Unüberlegt lasse ich mich kerzengerade nach hinten fallen.

Doch kaum eine Sekunde später lande ich nur sanft auf dem Hintern.

Was zur-?!

Ein Tuch. Es kam automatisch. Alles hier ist automatisch, alles geplant und vorhergesehen.

Deprimiert verschränke ich die Arme vor der Brust und schniefe laut. Wie ein bockiges Kind baumle ich mit den Beinen und wiege mich beruhigend vor und zurück.

Ein extrem energischer Schritt lässt mich hochschrecken, augenblicklich haste ich weitere Treppenstufen hinauf, mit schmerzenden Beinen und weiterhin blinder Sicht.

Die schweren Schritte hinter mir trommeln unaufhaltbar weiter.

"Lauf nur, Beth! Ich habe ewig Zeit!"

Wimmernd hebe ich meine Beine immer weiter. In meiner Nase hängt der Geruch von Blut vermischt mit Salzwasser, doch es kümmert mich nicht, ich bin zu sehr abgelenkt von der Decke die mir an den Kopf stößt.

Ein schriller Schrei hallt durch den Korridor, es ist meiner. Wenn ich meine Arme ausbreite, stoßen schon die Ellbogen gegen die Wand.

Ich bin in einem riesigen Käfig und es gelten Marcs Regeln.

Ich spiele ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kenne.

Ich spiele und ich bin nicht gut darin.

Ich spiele und ich verliere.

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A/N

Sorry, dass es so kurz ist...

aber ich will jetzt öfter und dafür kürzere Kapitel hochladen, was haltet ihr davon?

Ich wünsch euch einen schönen Tag :)

-Kim

PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt