37. Ein Leutnant auf Abwegen

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Hatte er sie wirklich nur benutzt, um seine Beförderung zu bekommen? Einen Monat lang einen solchen Aufwand; aber für was? Er hätte sie in Ebenholz verhaften können. Er hätte ihr nicht bei der Flucht helfen müssen. Stattdessen führte er sie einen Monat lang in Johto spazieren, um sie in Teak vom General persönlich verhaften zu lassen?

Das machte doch alles keinen Sinn!
In Elenas Kopf tobten seit ihrer Verhaftung unzählige Gedanken. Im Kerker hatte sie auch genügend Zeit. Der einzige Kontakt zur Außenwelt bestand darin, dass morgens und abends eine Portion Essen durch das Loch in der Tür hindurch geschoben wurde.

Dragonir war nicht mehr bei ihr. Ob Tristan auf es aufpassen würde?
Oder musste es schon an die Front und kämpfen? War Dragonir gar schon tot?

Das Mädchen hatte keine Ahnung, wie lange sie schon saß. Wie lange sie wohl noch sitzen musste? Der Kerl, der die Kelle Suppe austeilte, sprach kein Wort. Ein anderer war bisher noch nicht vor ihre Kerkertüre getreten. Wahrscheinlich würde sie hier drinnen verrotten.

Wieso war sie überhaupt hier?
Weil sie ein Pokémon versteckt hatte? Der Kerker war so unmenschlich, dass sie sich wirklich nach der Gerechtigkeit dahinter fragen musste. Offenbar hatte Johto keine anderen Straftäter als ein kleines Mädchen zur Verfügung, die in den Kerker geworfen werden konnten. Und deshalb musste Elena jetzt in diesem dreckigen dunklen Loch sitzen.

Es gab keinen Ausweg. Schon am ersten Tag hatte Elena ihr neues Zuhause ausgiebig inspiziert. Es gab nur einen Lichtschacht, der selbst für sie zu klein war. Dann war da noch das unnötige Übel der Gitterstäbe vor dem Schacht. Über diesen Weg hatte sie keine Chance nach draußen zu gelangen.

Die Tür war aus massivem Holz. Mit bloßen Händen war auch daran nichts zu machen. Geöffnet wurde die Tür nicht. Nur das Loch, wo gerade einmal ein Teller hindurch passte, wurde zwei Mal am Tag geöffnet.

Die Wände und der Boden waren aus Stein. Sich hinauszugraben war unmöglich. Das Mädchen gestand sich ein, dass sie ohne fremde Hilfe nie wieder von hier herauskommen würde.

Der Gedanke, dass ihr Dragonir vielleicht sein Leben verlieren würde, während sie in diesem Loch versauerte, trieb ihr Tränen in die Augen. Mit einem dicken Kloß im Hals blickte Elena den Schacht hinauf. All ihre Entbehrungen im letzten halben Jahr; umsonst.

Nur wegen Dragonir tat sie doch alles. Nur wegen des Pokémons war sie in den Wald geflohen und hielt sich dort mit ihm versteckt. All die eiskalten Nächte, das Frieren, der Hunger; nur, um auf dem Weg nach Hause gefangen zu werden und Dragonir letztlich doch zu verlieren. Sie begann bitterlich zu weinen.

"Es tut mir leid, Marco. Ich hab Drago nicht beschützen können. Es tut mir so leid", schluchzte Elena und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Was würde ihr Bruder nur dazu sagen? Er wäre sicherlich enttäuscht, dass sein Dragonir in den sicheren Tod geschickt wurde.

An die eiskalte Steinwand angelehnt fiel ihr müder Blick zum Lichtschacht hinaus. Die Nacht hielt Einzug und die einzige Lichtquelle versiegte. Es waren jetzt vielleicht drei oder vier Wochen vergangen, seit sie hier war. Genau hatte Elena nicht aufgepasst. Was kümmerte sie schon die Zeit. Obwohl sie sich im Kerker überhaupt nicht bewegte und den ganzen Tag vor sich hindöste, war sie hundemüde. Zwar hätte Elena den ganzen Tag lang schlafen können, aber irgendetwas hielt sie wach. Vielleicht war es die Hoffnung, dass der General oder irgendjemand vom Militär hier herein käme und sie in die Freiheit entlassen würde.

Ihre Augenlider wurden immer schwerer und obwohl Elena fröstelte, fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Später in der Nacht wurde sie von einem Tumult geweckt. Vom Erdgeschoss aus hörte sie Stimmen, welche bis in den Keller hallten. Es folgte Krach und Gerumpel. Ein Kampf?

Pokémon - Ruf der Heimat (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt