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„Wann können wir die Maschinen abstellen?", fragte Doktor Hill ihren Vorgesetzten, während sie sich mit dem Handrücken eine blonde Strähne aus der Stirn strich. Stetiges Summen und Pulsieren füllte den sterilen und abgedunkelten Raum. Im Zentrum des Labors, hinter einer dicken Glasscheibe, lagen fünf nackte Personen, zwei Frauen und drei Männer, auf kalten blanken Edelstahltischen. Aus ihren Hälsen ragten Schläuche, mehrere Infusionen mündeten in den Venen ihrer Arme und überall an ihren Körper kontrollierten Elektroden ihre Körperfunktionen.
Professor Moore seufzte: „Ich bin nicht sicher. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Organe versagen, ist immer noch sehr hoch. Trotzdem... selbst wenn sie sterben, war es bis hierher ein großer Erfolg. Ich hätte niemals erwartet, dass sie so lange leben. Dass der Gentransfer am lebenden Subjekt erfolgreich war, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten mit der Abschaltung zunächst bei Subjekt zwei und vier beginnen. Informieren Sie die Staatssicherheit über diesen Schritt. Sagen Sie, dass wir bald erste Ergebnisse liefern können.". Kaum hatte er den Satz beendet, drehte er sich von der Scheibe weg und wandte sich den Dokumenten über seine Arbeit zu.
„Denken Sie daran, den Securityservice zu informieren. Sollte es zu unvorhergesehen Reaktionen der Subjekte kommen, darf nichts von dem, was hier passiert, nach außen dringen.".
Mit dem Mittelfinger schob Professor Moore seine silberne Brille den Nasenrücken hinauf. In den Falten auf seiner Stirn schlugen sich die Sorgen über einen möglichen Fehlschlag nieder.
Bald würde sich zeigen, ob sich seine jahrzehntelange Arbeit bezahlt machen würde.
Aris zuckte zusammen, als eine weitere sandige Böe gegen die geschlossenen Fensterläden schlug. Mit jedem Windstoß schoben sich erneut Sandkörner unter dem Türspalt hindurch ins Zimmer. Wie jedes Jahr, wenn der Sommer langsam endete, trugen heiße Winde den Wüstensand in die Stadt Soledad, und bedeckten alles mit feinem weißen Staub.
Kerzen erhellten die Schlafstelle am Boden des Raumes, während Aris konzentriert in einem Buch las. Es war abgegriffen und vergilbt, wie all die anderen in ihrem Besitz, aber sie hütete sie wie einen Schatz. Die meisten waren Romane oder Krimis, die sie alle schon mehrfach durchgelesen hatte, doch einige hatten auch politische und geschichtliche Themen und stammten aus der Zeit vor dem letzten großen Krieg. Seither wurden keine neuen Bücher mehr produziert, denn hätte es noch intakte Verlagshäuser gegeben, so hätte sich niemand gefunden, der zu solchen Zeiten einen Gedanken daran verschwendet hätte, ein Buch zu schreiben. Auch eine Lektüre über den Klimawandel besaß Aris, es wurde im Jahr 2039 aufgelegt. Das war nun schon 136 Jahre her, und es las sich wie eine finstere Vision von dem, was für die Bewohner von Soledad und dem Rest der Welt heute bittere Realität war. Eins der wenigen Dinge, die man nicht vorhersagen konnte, war der dritte Weltkrieg. Allerdings war dieser Krieg die unumgängliche Folge der Klimaveränderungen gewesen, nachdem Küstenregionen überschwemmt worden und gewaltige Landstriche entlang des Äquators so lebensfeindlich geworden waren, dass ganze Völker in mildere Regionen fliehen mussten. Die Grenzen und Machtverhältnisse verschoben sich, Bündnisse wurden aufgekündigt und neu geschlossen, und alles endete mit dem Einsatz von Atomwaffen im Kampf um Lebensraum und schließlich auch Trinkwasser.
Wie wichtig Wasser war, spürte auch Aris jeden Tag am eigenen Leib. Die Ausgabe von sauberem Wasser wurde von der Staatssicherheit reguliert, seitdem sich eine neue Militärmacht als Regierung etabliert hatte. Egal wo man hinging, an jeder Ecke sah man bewaffnete Männer in schwarzer Uniform. Doch bei genauerem Hinsehen wurde einem schnell deutlich, dass keiner dieser Soldaten jemals eine militärische Ausbildung absolviert hatte; Die Staatssicherheit bestand zum größten Teil aus Männern, die ihre Familien verloren hatten, die zugewandert waren, oder die einfach nur die neue Führung begrüßten. Nichteinmal jeder von ihnen trug eine Schusswaffe, da der Krieg, Aufstände und Naturkatastrophen die Ressourcen dezimiert hatten.

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Schuld
Science FictionSie wollten doch bloß helfen. Doch als sie diese drei hilflos erscheinenden Personen befreiten, ahnten sie noch nicht, was sie damit entfesselt hatten. Leichen sollten ihren Weg pflastern, auf der Suche nach Vergeltung und dem Leben, das ihnen zu le...