Die ganze nächste Stunde musste ich seine Schläge und Stiche abwehren. Und auch wenn er mich dabei nie traf, fühlte ich mich trotzdem wie gerädert. Meine Frisur hatte sich aufgelöst und die Bänder und Haarnadeln hingen unordentlich von meinem Hinterkopf.
Auf meiner Haut hatte sich ein dünner Schweißfilm gebildet und alle paar Minuten stolperte ich über mein Kleid. Als er mir endlich eine Pause erlaubte, stürzte ich gierig das Wasser hinunter, das ein Diener auf dem kleinen Seitentischchen abgestellt hatte.
»Für euer erstes Mal war das keineswegs schlecht, Madam«, sagte Lord Salverton. Er sah nicht das kleinste Bisschen angestrengt aus und ließ sich lässig auf der Chaiselongue nieder. »Ach ja?« keuchte ich außer Atem.
Er nickte und sah dann an mir herunter. »Nur an ihrer...Aufmachung sollten wir etwas ändern. Ich werde Mrs. Clarke bitten ihnen Hemd und Hose anzupassen«. »Hosen?« rief ich ungläubig aus. Er nickte wieder. »Ja. Und für ihre Haare finden wir beim nächsten Mal sicher auch eine Lösung«.
»Meine Haare?« erwiderte ich alarmiert. »Falls Sie vorhaben sie abzuschneiden können Sie das gleich wieder vergessen!«. Er lachte trocken und machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich denke es wird reichen, wenn ihr sie flechtet.«
»Oh. Natürlich«. Etwas beschämt trank ich meinen Becher aus. »Mr. Baldwin wird sie zurückfahren, aber sie sollten sich vorher vielleicht etwas frisch machen, nicht dass Ihre Mutter einen Herzanfall erleidet!« sagte er. Dann wandte er sich an den Diener, der auch das Wasser gebracht hatte: »Holt Mrs. Clarke und sagt ihr, sie soll ihr Maßband und einen Kamm mitbringen!«
Der Diener nickte und verschwand dann durch eine kleine Seitentür. Wenige Minuten später kehrte er zurück, mit einer untersetzten Frau im Schlepptau, die einen Korb im Arm trug. »Also wirklich!« wetterte sie entrüstet und rückte ihre Schürze zurecht, bevor sie den Korb auf dem Boden abstellte und einen Finger anklagend auf Lord Salverton richtete.
»Einen Kamm. Als wäre das alles, was man brauchen würde, um eine junge Dame herzurichten. Und wozu das Maßband? Wenn ich dir wieder dein Hemd flicken soll, nützt mir ein Maßband herzlich wenig.« Der Lord hob abwehrend die Hände. »Mir reicht ein Kamm doch auch aus. Und das Maßband ist für Lady Lucinda gedacht. Sie braucht Hosen!« Ein wenig perplex stand ich daneben.
Die beiden mussten sich sehr nahestehen, wenn sie sich traute so mit ihm zu reden. Mehr wie eine Gouvernante, als eine einfache Angestellte, aber dafür war sie nicht gut genug gekleidet. Jetzt schien sie auch mich endlich zu bemerken. Mit einem breiten Lächeln trat sie an mich heran und begann sofort damit, mich auszumessen. »Verzeiht, My Lady. Wo sind nur meine Manieren geblieben?«
Sie legte das Maßband um meinen Hals und dann an meinen ausgestreckten Arm. »Ich bin Mrs. Clarke. Caleb hat Euch nicht geschont, wie ich sehe. Hosen! Meine Güte, dieses Land geht vor die Hunde!« Caleb. Ja, der Name passte zu ihm. Ich war noch immer etwas eingeschüchtert und wusste nicht genau, was ich Mrs. Clarke antworten sollte, aber das war auch gar nicht nötig, weil sie in diesem Moment etwas hinter mir entdeckte, das sie verärgert die Hände in die Hüften stemmen ließ.
Es war der Riss in der Tapete, den Lord Salverton vorhin dort hinterlassen hatte. Bei der Erinnerung daran stieg mir das Blut in den Kopf. »Was ist das?« fragte Mrs. Clarke. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie hob abwehrend die Hand und stieß ein Schnauben aus. »Halt! Ich will es gar nicht wissen.«
Dann fuhr sie fort damit, meine Beinlänge zu bestimmen, was sich recht kompliziert gestaltete, da ich noch immer voll bekleidet war. Kurz darauf bedeutete sie mir, auf einem Stuhl Platz zu nehmen und machte sich daran, meine Haare zu richten. Der Lord war aufgestanden und lief nun vor mir auf und ab, während er Fakten herunterbetete, als gäbe es kein Morgen.
»Die Geschichte der Nachtwächter reicht zurück bis in die Antike, deswegen sucht sich auch jedes Ordensmitglied nach der Initiation einen Decknamen aus der griechischen oder römischen Mythologie aus. Die Gründer waren der Legende nach, einige bekannte Politiker aus Rom oder der griechische Philosoph Parmenides und ein paar seiner Schüler, die Meinungen gehen da auseinander.«
Ich wollte ihn unterbrechen, und setzte an, um etwas zu sagen, aber er redete einfach weiter. Offensichtlich war er in seinem Element und genoss die Möglichkeit, mir zu zeigen wie unwissend ich doch war. »Einmal im Monat gibt es Zusammenkünfte, bei denen Missionen besprochen oder neue Novizen aufgenommen werden. Bevor Ihr fragt: Nein, Ihr dürft nicht dabei sein. Die Sitzungen sind ausschließlich für Ordensmitglieder und deren Ehefrauen – wobei letztere sich nicht beteiligen, sondern nur zusehen dürfen. Und ich glaube, selbst das ist nur erlaubt, weil es sonst auf der Sitzungsfeier danach niemanden zum Tanzen gäbe.«
Mrs. Clarke seufzte ergeben. Sie schien seine Monologe gewohnt zu sein, was mich dazu brachte, mich zu fragen, wie viel sie eigentlich wusste. War auch sie mit all dem aufgewachsen? »Ich denke, das reicht für heute, Caleb« sagte sie streng und trug eine dünne Schicht Puder auf meinen Haaren auf. »Es ist aber wichtig, dass sie diese Dinge lernt« meinte der Lord bestimmt, mit einem winzigen Bisschen Trotz in der Stimme.
Mrs. Clarke seufzte auf: »Ja und das wird sie auch, aber ein andermal.« Dann zog sie einen kleinen Handspiegel aus dem Korb und hielt in mit ausgestrecktem Arm vor mich. »Und? Was denken Sie?« Meine blonden Haare waren in zarten Röllchen am Hinterkopf festgesteckt. Nur eine einzelne Locke fiel mir vom Nacken über die Schulter und vervollständigte das Bild. Es war eine einfache Frisur. Schlicht, aber ordentlich. Genau richtig für einen ereignislosen Nachmittag.
»Es ist perfekt geworden. Danke.« Mrs. Clarke lächelte erfreut und begann damit, ihre Utensilien zurück in den Korb zu packen. »Wunderbar. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend, My Lady. Hoffentlich hat Caleb Euch nicht zu sehr verschreckt.« »Ganz und gar nicht, Mrs. Clarke«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Wenn Lord Salverton mich vertreiben wollte, musste er größere Geschütze auffahren, als einen Degenkampf, so viel stand fest.
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Kritik wie immer in die Kommentare :)
Lena
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...