45. In vielen kleinen Dingen

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Marlenas Onkel Murtagh hatte es sich in einer der Sitznischen der Bibliothek bequem gemacht, legte nun ein Stück Papier als Lesezeichen in den Folianten den er gerade studiert hatte und nickte dann aufmunternd seiner Nichte zu.
"Nun setzte dich schon."
Etwas unsicher kam die junge Drachenreiterin den Wunsch ihres Onkels nach. Fast wäre es lieber gewesen wenn sie wieder mit Schwertern aufeinander losgegangen wären. Wie man den Schlag einer feindlichen Klinge parierte beherrschte Marlena nach ihrer Ausbildung perfekt, jetzt die richtigen Worte zu finden war bedeutend schwieriger.
Ein leises Lachen aus Murtaghs Richtung sorgte dafür, dass Marlena den Blick von ihren Knien hob, die sie bisher so genau studiert hatte als hoffe sie das größte Geheimnis des Universums dort zu entdecken.
"Nun frag schon." schmunzelte Murtagh der offenbar die Notlage seiner Nichte begriffen hatte.
"Was soll ich denn fragen?" murmelte Marlena verlegen. "Von einer voll ausgebildeten Drachenreiterin sollte man doch eigentlich mehr Eloquenz erwarten können. Die einzige Frage die mir einfällt ist die dümmste die man in dieser Situation überhaupt stellen kann. Nämlich die Frage danach wie es dir geht."
Wieder lachte der ältere Drachenreiter leise.
"Genau die Frage habe ich gemeint. Die stellte in letzter Zeit nämlich jeder."
Marlena stimmt in das leise lachen ihres Onkels ein auch wenn es bei ihr eher ein Zeugnis von Hilflosigkeit war.
"Alle wollen dir eben helfen." sagte die junge Halbling schließlich.
Murtaghs Stimme wurde nicht unfreundlich aber deutlich schwang eine gewisse Trauer in ihr mit.
"Ja, das wollen einige aber im Augenblick gibt es einfach nicht was sie tun könnten. Die Suche nach dem einen Satz, den man sagen kann und all meine Trauer ist vergessen, ist ein Unterfangen das zum Scheitern verurteilt ist. Die beständige Frage danach wie es mir geht es im Grunde nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit."
"Das kann man aber auch anders sehen." widersprach jetzt Marlena und drückte ihren Stuhl etwas näher an ihren Onkel heran so dass sie jetzt direkt neben ihm saß.
"Ach und wie?" erkundigte sich Murtagh offenbar daran interessiert die Unterhaltung aufrecht zu erhalten.
"Vielleicht ist die Frage wirklich ein Ausdruck von Hilflosigkeit aber du hast selbst gesagt, dass sie dir in letzter Zeit häufig gestellt wird. Ich weiß dass du es nicht leicht hat es im Leben Onkel. Hättest du jemals geglaubt dass sich so viele Leute dafür interessieren wie es dir geht?"
Ein kurzer Moment der Stille folgte indem der ältere Drachenreiter offenbar über die Worte seiner Nichte nachdachte. Zu Marlenas Erleichterung lächelte er dann und legte ihr einen Arm um die Schultern.
"Wie hat mein Strohkopf von Bruder nur so eine kluge Tochter zu Wege gebracht?" fragte der dunkelhaarige Reiter schließlich mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme.
Marlena zuckte übertrieben die Schultern und bemühte sich um einen Gesichtsausdruck als könne sie kein Wässerchen trüben.
"Viele Leute sagen mir, dass ich nach meiner Mutter schlage."
Onkel und Nichte mussten nun herzhaft lachen. Gerade für die junge Halbling war es ein befreiendes Gefühl und sie sagte es ihren Onkel auffordern anzublicken.
Murtagh verstand die stumme Geste.
"Es geht mir soweit gut Marlena. Es ist ein seltsames Gefühl, dass sie nicht mehr da ist, weist du. Ich begreife erst langsam wie sehr Nasuada zu einem Teil von meinem Leben geworden ist. Als sich dieses Buch wird zum Beispiel gelesen habe" Murtagh wies auf seine vorherige Lektüre. "Es gab hier eine Stelle, die ich sehr amüsant fand. Praktisch wie von selbst war der Entschluss einfach da später Nasuada davon zu erzählen. Verstehst Du ich habe nicht wirklich bewusst die Entscheidung getroffen mit ihr über diese Geschichte zu sprechen es ist einfach für mich Alltag geworden ihr von solchen Dingen zu erzählen."
"Du hast dein Leben mit ihr geteilt." flüsterte die junge Frau verstehend.
"Ja. Ich begreife erst jetzt langsam wie mein Leben mit ihrem verbunden gewesen war. Du hast vielleicht schon mal jemanden sagen hören, dass ein geliebter Mensch, wenn man ihn verloren hat, an allen Ecken und Enden fehlt. Man stellt sich das Gefühl, welches mit diesem Ausspruch verbunden ist, eigentlich immer falsch vor. So als wäre eine allgegenwärtige Trauer ständig präsent. In Wirklichkeit ist es aber so wie mit diesem Buch. Bestimmte Dinge die für dich alltäglich geworden sind lassen sich nun nicht mehr durchführen. Es ist jedes Mal ein bitterer Moment wenn einen das bewusst wird. Ich glaube man überwindet den Schmerz des Verlustes nie. Man stumpf in gewisser Hinsicht nur ab und gewöhnt sich daran."
Marlena wusste nicht was sie darauf antworten sollte. Es war im Grunde eine sehr trübe und bittere Erkenntnis über das Leben, welche ihr Onkel gerade mit ihr geteilt hatte. Ihr erster Impuls war es natürlich gewesen zu widersprechen aber etwas tief in ihr sagte ihr, dass sich die Wahrheit in dieser Erkenntnis nicht verleugnen ließ.
"Ich wünschte ich könnte dir widersprechen." sagte junger Reiterin schließlich und gestand damit ihre Niederlage in diesem Punkt ein.
"Ich hätte es den nicht geglaubt wenn du mir widersprochen hättest."
Zu Marlenas Überraschung lächelte ihr Onkel bei diesen Worten.
"Du kommst aber heute Abend zu dem Essen, das Auge Roran und Tante Katrina für uns geben oder?" erkundigte sich die junge Halbling schließlich nach einem kurzen Moment des Schweigens.
"Die beiden würden es mir wohl kaum verzeihen will ich nicht auftauchen würde."
Es freut Marlena, dass Murtaghs sie zu dem Essen begleiten würde. Vielleicht konnte der Zauber des Palancartals, der ihr ihr Lächeln zurückgegeben hatte auch eine gewisse Hilfe für ihren Oheim sein.
"Wo treiben sich eigentlich die Herren dieses Außenposten herum. Du bist so bestimmt zusammen mit Ismira ihr angekommen oder?"
Marlena wurde nun von einem Kicheranfall geschüttelt und sie erklärte ihrem Onkel, welch wichtige Dinge die beiden anderen Reiter zu besprechen hatten.
Als sie geendet hatte schmunzelte auch Murtagh.
"Ja, das ist eine Unterhaltung die man wohl wirklich besser unter vier Augen führt. Da wären wir wohl nur im Wege."
Nun mussten beide Reiter leise lachen.
"Morgen wollen wir dann auch in den Norden aufbrechen oder?" erkundigte sich Marlena schließlich als sie sich wieder beruhigt hatten. "Wie lange werden wir eigentlich bis zu dem sie brauchen wo du nach dem großen Krieg gelebt hast?
"Ich würde sagen etwa eine Woche." erwiderte Murtagh und schmunzelte als seine Nichte große Augen bekam. "Dorn und ich waren damals noch wesentlich länger unterwegs Marlena. Schließlich haben wir den Ort erst entdecken müssen und wir wollten einen sicheren Abstand zum damals bekannten Teil von Alagaesia. Es gab einige Wunden die wir heilen mussten. Wenn es dir zu weit ist, musst Du mich ja nicht die ganze Strecke begleiten."
Energisch schüttelte die jüngere Reiterin den Kopf.
"Nein Nein! Alonvy und ich mache mir dieser Reise um möglichst viel Neues zu sehen. Du musst dir aber keine Sorgen machen. Wenn wir den See erreicht haben bleibe ich höchstens einen Tag und Reise dann weiter. Ich weiß, dass wir dich sonst nur stören würden."
Mit mildem Lächeln schüttelte Murtagh den Kopf.
"Es geht nicht darum, dass du mich störst oder von irgendetwas ablenkst es ist nur....."
Dorns Reiter unterbrach sich einen Moment und schien nach den richtigen Worten zu suchen um auszudrücken was er fühlte.
"Ich habe das Gefühl, dass ich zum letzten Mal in einem Zimmer bin, das früher sehr wichtig in meinem Leben war. Ich habe nur noch diese letzte Gelegenheit einige Erinnerungsstücke aus diesem Raum mitzunehmen bevor ich ihn für immer verlassen muss. Um das zu tun brauche ich Stille. Es tut mir leid aber besser kann ich es nicht ausdrücken."
"Das ist auch nicht nötig Onkel. Ich verstehe das schon und bin auch nicht beleidigt."
Noch einmal blickten sich Oheim und Nichte an und beiden war, ohne dass die Atmosphäre feindlich geworden wäre oder auch nur ein Wort gewechselt werden musste, klar, dass das Gespräch an seinem vorläufigen Ende angekommen war.
Im Geiste dieser stillen Übereinkunft erhob sich die junge Halbling.
"Ich werde hier noch etwas herumstöbern. Wir sehen uns dann im Drachenhort vor dem Abflug."
Murtagh nickte schlicht und widmete sich wieder seiner Lektüre.
Bevor Marlena wieder zwischen den Regalreihen verschwand was sie noch einmal einen Blick zurück. Ihr Onkel hatte das Buch welches er bei ihrer Ankunft gelesen hatte wieder aufgeschlagen und schien fest auf eine bestimmte Stelle des Textes zu starren. Aus irgendeinem Grund war sich Marlena sicher, dass ihr Oheim diese Textstelle gerne einer bestimmten Person vorgelesen hätte.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt