Montag, 6. Juli

2 0 0
                                    

Montag, 6. Juli

Es ist warm, verdammt warm sogar. Mindestens 35 Grad, wenn nicht noch mehr. Ich schwitze, meine Haut brennt von dem leichten Sonnenbrand, den ich mir gestern geholt habe, als ich am See baden war, und meine Kehle fühlt sich ausgetrocknet an. Ich brauche unbedingt was zum Trinken, sonst verdurste ich hier noch!

Ich hoffe und bete, dass ich noch ein bisschen Geld dabei habe, und krame in den Taschen meiner kurzen Jeans-Hotpants herum. Nichts. Überhaupt nichts, die Taschen sind leer. In meinem Geldbeutel habe ich auch keinen Cent mehr, das weiß ich, denn das Zugticket hierher nach Berlin hat mich mein letztes Bargeld gekostet. Ich bin pleite. Meine Kreditkarte liegt zuhause, irgendwo auf dem Boden zwischen den leeren Pizzaschachteln, dreckigen Klamotten und meinem ungeordneten Schulzeug - ich habe mir nicht die Mühe gemacht, das Chaos aufzuräumen, bevor ich heute Morgen nach Berlin abgehauen bin.

Ein bisschen verzweifelt blicke ich mich um. Ich stehe im riesigen Bahnhofsgebäude des Berliner Hauptbahnhofs. Um mich herum sind ungefähr tausend Menschen, alle mit Koffern, Reisetaschen und Trollys bepackt, die hastig und in Eile zu ihren abfahrenden Zügen rennen. Touristen kommen mit einem glücklichen Strahlen im Gesicht an, Geschäftsleute laufen mit Aktenkoffern in der Hand vorbei … und ich stehe hier einfach nur und fühle mich alleine. Ich kenne niemanden, niemand kennt mich. Aber alles ist besser, als zuhause zu sein!

Seufzend streiche ich mir durch meine langen, hellblonden Haare, die mir bis zur Taille reichen. Durch die sechsstündige Zugfahrt hierher sind sie zerstrubbelt, auch mein Make-up ist alles andere als perfekt und ich spüre, wie meine Schultern wehtun. Ich habe einfach alles, was ich an sauberer Kleidung finden konnte, in meinen Trekking-Rucksack gepackt, zusätzlich noch Geld, Handy, Kamera, meine Akku-Ladegeräte und Kleinigkeiten wie ein Notizbuch und meine Zahnbürste - dementsprechend schwer ist mein Gepäck. Der Proviant, den ich mitgenommen habe, ist aufgegessen und meine Wasserflasche leer.

Spontan entscheide ich mich dazu, einfach mal in den nächsten Supermarkt zu gehen. Vielleicht finde ich dort ja einen netten Menschen, der mir was zum Trinken spendiert - oder ich lasse einfach eine Cola unauffällig mitgehen. Also nehme ich meinen Rucksack wieder auf meine Schultern, packe meine Handtasche und verfluche innerlich, dass ich mich für meine Sandalen mit Absatz und nicht für bequeme Sneakers entschieden habe. Na ja, egal jetzt.

Nachdem ich durch die große Bahnhofshalle gelaufen bin, komme ich in den Shopping-Bereich mit Cafés, McDonald’s und kleinen Geschäften, der sich über mehrere Stockwerke hinweg erstreckt und mit Rolltreppen verbunden ist. Ein kleiner Supermarkt erregt meine Aufmerksamkeit und ich entscheide mich dafür, es einfach mal dort zu versuchen. Mit einem freundlichen, unschuldigen Lächeln auf den Lippen betrete ich den Laden und sehe mich um, bis ich hinter den Regalen mit Süßigkeiten und Chips die Getränke-Abteilung entdecke. Ich bekomme noch ein bisschen mehr Durst und greife nach einer Flasche Mineralwasser mit Zitronen-Geschmack, sehe mich vorsichtig um. Niemand zu sehen, auch die Kameras an der Decke zeigen in eine andere Richtung. Darum zögere ich nicht lange, sondern hole meinen Cardigan aus der Tasche heraus und wickle das Teil um die Flasche, sodass diese verdeckt wird. Dann klemme ich mir das Ganze unter den Arm. Ob es zu auffällig ist? Ich beschließe, es einfach zu wagen, und mache mich auf den Weg zur Kasse. Einfach durchlaufen und so tun, als hätte man leider nichts passendes gefunden, kann ja mal passieren - und dann möglichst schnell weg. Nervös schaue ich mich um, kann aber niemanden erkennen, der mich beobachtet haben könnte, dennoch beginnt mein Herz schneller zu schlagen und ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen macht sich breit. Ich finde Klauen eigentlich asozial, da ich ein gerechtigkeitsliebender Mensch bin, die immer versucht, sich an Gesetze zu halten, doch das hier ist definitiv eine Notsituation! Gleich bin ich an der Kasse …

“Hey, du da, warte mal.”

Mein Herz setzt für einen Moment aus. Hitze steigt mir in die Wangen und ich spüre den Reflex, einfach wegzurennen, weg von hier, weg von der Person, die mich erwischt hat. Mein Kopf beginnt unangenehm zu pochen und ich beschließe, mich einfach mutig umzudrehen. Mir wird schon irgendeine Ausrede einfallen, warum ich die Flasche in meinen Cardigan gewickelt habe. Face it, Livia, sei mutig, sage ich mir selbst. Ich hole tief Luft und drehe mich um. “Ja?”, antworte ich mit möglichst fester Stimme.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 10, 2014 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt