"Komm schon, du verfluchtes...", schimpfend verpasste Rat der verstaubten Kaffeemaschine einen Schlag. Nun ja, mehr einen sanften Klapser. Mit zu viel Gewaltanwendung brach das Ding wohlmöglich noch komplett auseinander, und das könnte er nun wirklich nicht ertragen.
Jemand stellte auf dem Klapptisch hinter ihm eine Tasse ab.
"Duke sagt, wir nehmen die Mädels heute mit", bemerkte Kate spitz.
Rat seuftzte.
"Ich hasse das, wie du dich anschleichst, weißt du das?", knurrte er ohne sich umzudrehen.
"Du weichst aus. Hast du ihm gesagt, dass sie so weit sind oder nicht?"
Er hasste Diskussionen mit ihr so kurz vor einem Einsatz.
"Ja", ratterte er genervt herunter, "ich habe es empfohlen. Sie sind so weit, glaub mir. Jedenfalls so weit, dass man sie ins kalte Wasser schmeißen könnte."
Er ging dazu über, die Kaffeemaschine flehend anzustarrem in der Hoffnung, sie möge Erbarmen haben. Tatsächlich: ein feiner, brauner Kaffestrahl riselte in die Kanne hinab. Etwas entspannter drehte Rat sich um: "Was mich vielmehr wundert ist, dass es dich so aufregt. Was ist dabei, die Mädels einmal selber ran zu lassen?"
"Du ermutigst sie!", zischte Kate und lehnte sich vor.
"Ähm... natürlich? Sie haben hart trainiert. Sollte man das nicht ermutigen?"
"Aber doch nicht... Argh!", sie legte ihre Finger an ihre Nasenwurzel, als verursache er ihr Kopfschmerzen,
"Du darfst sie nicht für das Schulschwänzen belohnen!"
Da lag also des Pudels Kern. Er verschränkte seine Arme vor der Brust.
"Für jemanden, der mit sechzehn die Schule geschmissen hat und von zuhause weggelaufen ist, um in einem Schuppen zu leben, nimmst du den Mund ganz schön voll, findest du nicht?"
"Darum geht es doch gar nicht!"
"Doch, genau darum geht es!", er stützte seine Arme auf die Theke zwischen ihnen, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können: "Bist du so unglücklich, mit dem, was wir tun?"
"Was?", sie wich zurück, "nein! Wieso..."
"Weil du mit allen Mitteln versuchst, dieses Mädchen davon abzuhalten, dieselben Entscheidungen zu treffen wie du."
"Also wirklich!",Kate verschränkte die Arme vor ihrer Brust und versuchte, eine zornige Grimasse zu ziehen. Dann ließ sie den Gesichtszug fallen und seuftze stattdessen.
"Sieh mal, versteh das bitte nicht falsch. Was wir machen ist wichtig, wir machen es gut und ich mache es gerne. Aber du kannst nicht bestreiten, dass es... hart ist, manchmal", sie senkte ihre Stimme, "sei ganz ehrlich, Jonas: fragst du dich nicht manchmal, was aus uns geworden wäre, wenn wir etwas anders gemacht hätten?"
Rat zuckte zusammen. Jonas. Sie hatte Jonas gesagt.
Den Namen hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, seit...
Seit er sich entschlossen hatte, Jonas Waldmann und alles, was dazu gehörte in die Tonne zu kloppen und sich stattdessen auf wichtige Dinge zu konzentrieren.
Er schüttelte sich wie ein nasser Hund, als müsse er den Klang des Namens aus seinem Ohr vertreiben: "Nein, das tue ich nicht, Kate", er schüttete sich die Tasse Kaffee in den Rachen, "ich habe meine Entscheidung getroffen. Und nur zu deiner Information: ich weiß genau, was aus uns geworden wäre, wenn wir etwas anders gemacht hätten. Ein Haufen Vampire, genau wie aus allen anderen auch. Was wir machen, ist notwendig."
"Das ist es, und das weiß ich. Aber es ist nicht notwendig für diese Kids. Ich möchte einfach nicht, dass sie sich eine Wahl verbaut."
"So wie du?"
"Es.geht.hier.nicht.um.mich", presste Kate zwischen ihren Zähnen hervor.
Rat öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, als die Scheunentür mit Schwung aufgestoßen wurde.
"Alle an Bord, team!", die Scheinwerfer des Pick-ups malten Dukes Umrisse auf den Betonboden, "Ich habe ein Signal.""Denkt dran, das aller Wichtigste ist: lasst ihn nicht zu sehr an euch heran!", mahnte Kate, während sie sich ihren Schal enger um den Hals zog.
"Wir sind nicht bescheuert", Jess schnalzte verächtlich.
Sie schloss den Klettverschluss der Softshellhandschuhe, die dazu gedacht waren, ihre Hauptschlagadern zu schützen und schüttete ein wenig Knoblauchöl darüber, "warum müssen wir eigentlich so viel mehr Schutzkleidung tragen als ihr?"
"Das passiert, wenn man sich eine Nahkampfwaffe aussucht", spöttisch entblößte Rat seine Eckzähne, "ich nehme an du willst die nicht in lang haben?"
"Mh", grummelte sie, und zog das Messer, dass sie als Waffe gewählt hatte, aus der Scheide.
"Denkt dran", betonte Kate warnend, "bleibt hinter uns, und wenn wir etwas sagen, lauft ihr."
"Ja, ja", Jess verdrehte ihre Augen, "was auch sonst"
Su rieb sich neben ihr über den Arm ihrer schwarze Jacke, vermutlich, um das Öl noch weiter zu verteilen. Sie war still.
Aber das war sie ja auch immer.
Eine gefährliche Stille legte sich über das Waldstück.
Ein Treffen.
Duke war sich sehr sicher gewesen, dass hier heute ein Treffen von Vampiren stattfinden würde. Ein Zusammenkommen des Feindes, also.
Stille. Immer noch.
Jess spürte, wie ihre Handflächen unter den Handschuhen zu schwitzen begannen.
Worauf warteten sie?
Wann würde es losgehen?
Ging Atem nicht etwas zu laut in diesen einsamen Wald?
Atmeten Vampire? Wenn nein, würde das Geräusch sie nicht verraten?
Ein sanftes Rauschen erfüllte die Baumwipfel.
"Es geht los", formten Rats Lippen.
Jess atmete aus. Endlich.
Ebenso lautlos wie die Vampire, die aus der Luft rings um herab zu schweben schienen, schlichen sich die älteren Vampirjäger auf ihre Positionen. Rat erklomm langsam einen Baum, Duke zupfte Su am Ärmel und bedeutete ihr, mitzukommen.
Die beiden bewegten bogenförmig von ihren weg.
Sie spürte, wie ihre Handflächen unter den Handschützern zu kribbeln begannen. Wahrscheinlich das verdammte Knoblauchöl.
Fünf Vampire hatten sich mittlerweile auf der Lichtung versammelt. Jess hatte noch nie so viele auf einmal gesehen.
Ihre hohen, schlanken Körper hatten etwas anmutiges, beinahe schon majestätisches, und ihre schwarzen Roben schmiegten sich an sie wie die Mäntel längst verstorbener Könige. Der Anblick, wie sie näher zusammentraten und mit leisen, melodischen Stimmen zu sprechen begannen, hatte etwas beruhigendes, wie eine Abbildung, die direkt aus einem Märchenbuch gefallen war.
Beinahe tat es Jess leid, diesen so kostbaren Augenblick gewaltsam zu sprengen.
Aber auch nur beinahe.
So leise, wie sie konnte, knackte sie ihre Fingerknöcheln und fing sich dafür einen missbilligenden Blick von Kate ein.
Einer der Vampire hob irritiert sein kantiges, beinahe schneeweißes Gesicht.
Seine Nasenlöcher zuckten, und erst diese kleine Bewegung zerstörte die Illusion von Menschlichkeit, die ihn umhüllte. Er sah aus wie ein Wolf auf Pirsch.
"Da ist etwas", bemerkte er an.
Der Knoblauch.
Natürlich, der Knoblauch. Er musste ihn doch riechen, so viel, wie sie aufgetragen hatten, er...
Kate spannte sich neben ihr merklich an.
Der Vampir blickte über seine Schulter und schnaubte abfällig: "Nur ein armseliges Luftgespenst", dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder seinen Mitstreitern zu - als mit einem Mal ein gewaltiges Feuerwerk mitten in seinem Fledermausschwarm explodierte.
Das Zeichen.
Wie von eine gespannten Gummiband geschleudert sprang Kate geschmeidig aus ihrer Deckung und rannte den Wesen entgegen, die jetzt ihre Hände auf ihre Ohren pressten und hohe Schreie, die Jess einen Schauder am Rückenmark entlangschickten, ausstießen.
Das Todesgejammer der Fledermäuse, unhörbar für Menschen, schien sich in ihre Gehörgänge zu graben.
Bevor Jess auch nur aus dem Busch hervorgekrabbelt war, hatten die ersten zwei Vampire einen Pfeil im Kopf stecken und Kate hatte ihre Klinge tief im Brustkorb des dritten vergraben. Duke renkte gerade dem vierten den Arm aus.
Einige verbliebende und besonders verwegende Fledermäuse stürzten sich von oben auf die Kämpfenden herab.
Jess zog ihr Messer aus ihrem Gürtel und kniff abschätzend ein Auge zu. Die hinterlistigen Schatten waren vor dem Nachthimmel kaum auszumachen, ganz zu schweigen davon, wie schnell sie sich bewegten.
Konnte sie einen Treffen, ohne dass sie...?
Naja, man würde sehen.
Hochkonzentriert zielte sie und schleuderte die Klinge einem der kleinen Biester entgegen. Das Metall schimmerte silbern im Mondlicht, und Jess meinte, den Augenblick gefrieren zu spüren.
Das Messer riss den Flügel einer Fledermaus auf und schleuderte das Tier mit sich gegen den nächsten Baum.
Ich habe getroffen!
Innerlich riss Jess jubelnd ihre Arme in die Höhe.
Äußerlich vollführte sie einen wackligen Hechtsprung zu Seite, um dem letzten Vampir auszuweichen.
Ungeschickt rollte sie sich ab und wirbelte herum.
Jetzt!
Jess brachte sich in Kampfposition, wirbelte das Messer in ihrer Hand herum, sodass es...
Das Messer!
Ihr Gesich verfärbete sich kochendheiß, als ihr einfiel, dass ihr Messer gerade tief in einem Baumstamm steckte.
Der Vampir schien es bemerkt zu haben. Seine blutleeren Lippen verzogen sich graziös zu einem spöttischen Lächeln und entblößten dabei seine funkelnden Eckzähne.
Der Mistkerl nahm sie nicht ernst.
Wenn Jess etwas nicht leiden konnte, dann war es das.
Mit einem wütenden Schrei schnellte sie in die Höhe und zielte mit ihrer Faust auf den Kiefer des Wachsgesichtes. Ohne viel Mühe fischte der ihren Arm aus der Luft und Bog ihn wie eine Schwimmnudel in eine Richtung, in die er nicht gebogen werden sollte.
Jess jaulte auf. Schmerz zuckte in bunten Blitzen durch ihr Sichtfeld.
Beinahe blind trat sie dorthin, wo sie das Schienbein ihres Gegners vermutete.
Intuitiv traf ihre Hacke ihr Ziel.
Der Mund des Vampirs zuckte, und der Schraubstock, der seine Finger geworden waren, löste sich. Nur leicht zwar, aber hoffentlich genug. Mit einem Ruck riss sie ihren malätrierten Arm aus seiner Umklammerung. Jemand rammte ihren Gegner von hinten. Überrascht stolperte er nach vorne.
"Hier, dein Messer", Su war hinter ihm aufgetaucht und warf ihr die Waffe zu.
"Danke".
Jetzt wäre der richtige Augenblick für eine lässige Erwiderung gewesen.
Verdammt.
Der Griff rutschte ihr beinahe aus den Lederhanschuhen.
Su tauchte vor ihr gerade unter dem Arm des Vampirs hinweg und zog ihr Messer dabei an seiner Seite entlang, dann sprang sie zurück.
Der Blutsauger heulte auf und wirbelte herum, um ihr zu folgen.
Beeil dich!
Sie konnte Su doch nicht mit dem ganzen Ruhm davon kommen lassen.
Beherzt sprang sie vor und grub ihre Klinge in die Sehnen seiner rechten Kniebeuge.
Mit einem Heulen, dass man bestimmt bis in die nächste Siedlung hören konnte, ging der in die Knie.
Zeit, es zu beenden.
Jess setzte ihre Klinge an die Kehle des Wesens.
Zähnefletschend schlug es um sich, aber schon war Su da, um ihm die Arme an den Körper zu drücken.
Jess schloss ihre Augen und ließ den aufkommenden Wind in ihre welligen Haare greifen. Was für ein erhabener Augenblick.
Sie schnitt.
Schwarzer Schaum spritzte aus der Kehle ihres Gegners heraus.
Hinter ihr applaudierte es.
"Gut gemacht, Mädchen!", lobte Rat und öffnete krachend eine Chipstüte.
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Batsong
VampireWürde man Jess Leben beschreiben wollen, wäre das erste Wort, das einem einfallen würde, vermutlich "zufriedenstellend" oder auch "beneidenswert", je nachdem, wenn man denn fragen würde. Tatsächlich gibt es nicht viel, über das die Schülerin sich be...