Schutzengel [BTS]

Prolog

„Jimin-sii! Sieh dir mal dieses süße kleine Baby an!"
- „Du hast Recht, Jin-Hyung, dieses kleine Baby ist wirklich putzig. Kaum mehr als drei Wochen alt und schön will er die Welt erkunden."
- „Aber Jimin, der Kleine liegt doch nur da und macht nichts."
- „Falsch Taehyung. Der kleine Jungkook kann in seinem Bett liegen und dennoch das ganze Zimmer erkunden. Er erkundet es nämlich mit seinen Augen. Schau sie dir doch nur mal an! Diese großen Augen starren in alle Richtungen, blicken in jede noch so dunkle Ecke und fokussieren jeden noch so kleinen Fleck. Er erkundet sein Umfeld und das tut er auf eine Weise, wie es nur die reinsten und unschuldigsten Geschöpfe der Welt können - mit seinen Augen."

Wie jeden Morgen saßen die drei Engel am Rand des Himmels und blickten hinunter zur Erde. Sie sahen gestresste Geschäftsmänner, die mit einer dicken, schwarzen Aktentasche unter den Armen durch die Straßen stürmten, sie sahen Liebespärchen, wie sie Händchen haltend durch die Parkanlagen schlenderten und sie sahen Kinder, wie sie auf Spielplätzen tobten, bis ihre Mütter und Väter kamen, um sie zum Abendessen mit nach Hause zu zerren. Das taten sie: Sie beobachteten die Menschen. Sie beobachteten die Menschen den ganzen langen lieben Tag ebenso wie in der düsteren Nacht, während die Menschen schliefen oder es zumindest versuchten. Keine Sekunde auch nur war ihr Blick auf etwas anderes gerichtet. Sie selbst brauchten keinen Schlaf, in ihnen brannte ein unlöschbares Feuer. Dieses Feuer war die Aufgabe, über jeden einzelnen Menschen zu wachen, während dieser frei auf der weit entfernten Erde spazieren ging, und diese Aufgabe war allein den Schutzengel auferlegt worden.
Natürlich gab es mehr als die drei Schutzengel, die seit Stunden ihre Beine über den Rand des Himmels baumeln ließen. Es gab Milliarden an Schutzengel für Milliarden an Menschen, die jeder jeweils ihren eigenen Schützling hatten. Einige Menschen haben auch zwei oder drei Schutzengel, je nach dem wie schutzbedürftig sie doch sind, wie das kleine Baby mit dem Namen Jungkook.
Der kleine Jungkook hatte sogar Sagen umschreibende sechs Schutzengel. Sechs Schutzengel, die allesamt über einen kleinen Menschen wachten und seine Seite bis zu dessen Tode nicht verlassen werden. Und so saßen nun drei der sechs Schutzengel am Rande des Himmels und blickten zu ihrem kleinen Schützling hinunter.

Jeder Schutzengel hat einen eigenen Charakter, ein eigenes Aussehen, eine eigene Stimme und dennoch war ihnen alle dieselbe Aufgabe erteilt worden. Dass es da unter einigen der Engel auch Streitereien gab, sich zwischen einigen gute Freundschaft bildeten und andere wiederum zu einem Liebespaar heran wuchsen, war somit unausweichlich. Denn, jeder Engel hatte Gefühle, konnte verletzt werden oder konnte sich freuen, konnte weinen oder lachen und konnte hassen oder lieben - so auch die sechs Schutzengel des kleinen Jungkooks.

Seokjin, ein sehr fürsorglicher Engel, der, seitdem es Leben auf dem blauen Planet gibt, vom Himmel aus über die wacht, die es nicht selber konnten, war der Erste von Jungkooks Engeln. Er verkörperte einen jungen, großen Mann mit pinken Haar. Sein Haar war kurz geschnitten, damit es sich beim Fliegen nicht in seinen Flügeln verfangen konnte. Diese schimmerten in der Sonne rötlich, wie seine Wangen, wenn er seinem Liebhaber Namjoon gegenüber steht.
Namjoon ist ein sehr weiser Engel. Anders als die meisten Schutzengel, auch seinem geliebten Seokjin, war er nicht in einer stürmischen Nacht vom Gott persönlich erschaffen worden. Er nahm seinen ersten Atemzug nicht, wenn Blitz und Donner die Wolkendecke durchbrachen und plötzlich ein Leben kreierten, durch seine Adern floss einst menschliches Blut. Er war ein junger Professor an einer der kultiviertesten Universitäten Südkoreas, als das Schicksal grausam zuschlug. Er wurde von einem Auto erfasst und starb darauf hin wenige Tage später im Krankenhaus im Kreise seiner Familie. Bis zu seinem letzten Atemzug bestand er darauf, weder dem Fahrer noch irgendjemand anderen die Schuld zu zusprechen, und wurde durch diesen wahrlich ritterlichen Zug vom Gott persönlich als Engel auserkoren. Namjoon war ein geborener Anführer und Gott wusste, dass er als zweiter von Jungkooks Engeln den besten Job machen würde.

Neben diesem Liebespärchen nannte sich einer der sechs Schutzengel Yoongi. Er ist ein ruhiger Kerl, dessen Flügel stetig eine düstere Aura umgab und ihn deshalb viele mieden. Erst Hoseok, der vierte Schutzengel, schafte es, durch den schwarzen Schleier hindurch zu sehen, und mit Yoongi eine Freundschaft zu schließen, wie sie für eine Ewigkeit bestehen bleiben sollte. Dabei konnten die beiden Engel sich nicht unähnlicher sein. Hoseok war ein fröhlicher Junge, der all die Tage über lachte und grinste, während Yoongi stets traurig gestimmt vor sich hin starte. Sie stritten sich ständig, doch vertrugen sich beide am Ende einer Nacht immer wieder. Sie sind Freunde, wahrlich gute Freunde.
Mehr noch als befreundet sind die letzten beiden von Jungkooks Engeln: Jimin und Taehyung.
In der Nacht, in der die beiden zum ersten Mal die Augen öffnen und die weiße, vollkommende Schönheit des Himmels erleben sollten, passierte etwas, wie es zuvor noch nie geschah. Ein Blitz teilte sich in Gottes Händen und aus einem Herzschlag wurden zwei. Plötzlich schlugen zwei Herzen in den Körpern zweier junger Männer - die ersten und einzigen Engel, die sich Brüder nennen durften. Seit jeher verbindet die beiden ein Band, unsichtbar und formlos, was aber dennoch stärker war, als alles andere. Höchstens die Liebe würde einen ebenmäßigen Kontrast zu der Verbundenheit wieder spiegeln können. Zudem teilten die beiden Engel ein warmes, sonniges Gemüt, beinahe jugendlichen Enthusiasmus und die seltene Fähigkeit, mit ihrem Gesang selbst einen gestandenen Mann wie ein Baby schlafen zu lassen.

Dass waren die sechs Engel, die dazu bestimmt worden, über ein ganz besonderes Kindchen zu wachen, ihm auf dem steinigen Weg des Erwachsenwerdens zu begleiten und am Sterbebett die Hand zu halten. Wie besonders, der kleine Säugling in der Krippe nun wirklich war, davon wussten die sechs Schutzengel noch nichts, aber sie wollten es bald herausfinden.

11.07.2019