Ich war nie zuvor im Haus seiner Mutter gewesen, in das sie gezogen ist, nachdem Harrys Vater gestorben ist. Als wir nach einer dreistündigen Fahrt ankommen, parkt Harry den Wagen auf einer Auffahrt. Es ist ein gepflegter Bungalow, der ein paar Meilen von der Küste entfernt in einer ruhigen Straße liegt, hellgelb gestrichen ist und fast vollständig im Schatten einer riesigen, alten Eiche steht. »Na, dann wollen wir mal.«Als wir über den gepflasterten Gartenweg unter den Zweigen gehen, zittern meine Knie. Meine Hände schwitzen und am liebsten würde ich wieder umdrehen. Was wird sie nur von mir denken? Immerhin habe ich Harry, ihren Sohn, ziemlich verletzt damals. Auch wenn ich noch ein Kind war. Aber ich kann jetzt nicht zurück, außer ich will die ganze Zeit im Auto warten, bis Harry wieder abfahrbereit ist. Wohl kaum.
»Harry, mein Schatz!« Blinzelnd richte ich meinen Blick nach vorne, wo nun die Vordertür des Hauses offen steht und Harrys Mutter über die Betonplatten des Weges auf uns zueilt. Sie hält sich eine Hand auf Herzhöhe, die andere streckt sie aus, um Harry schnellstmöglich zu umarmen. Die olivgrüne Strickjacke, die sie trägt, weht dabei wie ein Umhang hinter ihr her, die dunklen Haare sind zu einem unordentlichen Dutt gebunden und ihre Augen strahlen. Sie hat sich kaum verändert, nur dass nun ein paar mehr Fältchen ihr Gesicht schmücken, was ihrer positiven Ausstrahlung jedoch keinen Abbruch verleiht. »Was machst du hier? Warum hast du nicht angerufen? Und wen hast du mitgebracht?« Okay, sie erkennt mich also nicht. Gut, ich war auch erst zehn, als sie mich das letzte Mal gesehen hat.
»Hi, Mum«, sagt Harry, woraufhin Anne seine beiden Hände mit ihren ergreift. »Ich hab dich so lange nicht gesehen. Geht es dir gut? Isst du immer genug? Und was ist...«
»Mum«, unterbricht er sie. »Hol erst mal Luft, bitte.«
»Ich will doch nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Aber ja, du hast ja recht. Lass uns reingehen.« Oh Gott, hoffentlich bereue ich es gleich nicht, mitgekommen zu sein. Gemeinsam gehen wir die letzten Meter bis ins Haus. Dort führt uns Harrys Mutter ins Wohnzimmer, in dem noch jemand anderes sitzt. Eine junge Frau mit dunklen Haaren, die sanft über ihre Schultern fließen. Ich erkenne sie sofort. Was macht sie hier? Sollte sie nicht in Guatemala sein? Sie lächelt mich freundlich an, verengt dann aber plötzlich die Augen, ehe sie sie aufreißt. Dann bilden ihre Lippen stumm meinen Namen.
Ich nicke unsicher, doch das reicht, damit sie aufspringt. »Oh, wow. Dass ich dich noch einmal sehen werde, Louis. Lass dich drücken.« Ohne mir eine Wahl zu lassen, zieht sie mich in eine innige Umarmung. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, weshalb sich meine Muskeln anspannen. Doch Harrys Schwester Gemma sagt nichts dazu. »Ihr kennt euch?«, fragt nun Anne, die sichtlich verwirrt von der Szene vor ihr ist. »Mama, das ist Louis. Du kennst ihn auch von früher«, erklärt Harry und grinst sie an. »Moment, dein bester Freund von damals?« Er stockt kurz, wirft mir einen unsicheren Blick zu und nickt dann. »Ja, genau der.«
Anne legt sich die Hände an die Wangen, während sie kopfschüttelnd grinst. »Ach, was. Aus dir ist ein richtig hübscher Mann geworden. Ich habe dich überhaupt nicht wiedererkannt. Du warst doch noch ein kleiner Bub. Seid ihr wieder Freunde? Ach, natürlich seid ihr das, sonst wärt ihr nicht hier. Komm her, mein Junge.« Kaum hat sie die Worte ausgesprochen, werde ich das zweite Mal für heute umarmt. Doch jetzt lasse ich erleichtert die Schultern sacken, denn beide haben mich herzlich empfangen. Noch während mich Anne an sich drückt, spüre ich eine warme Hand auf meinem unteren Rücken und ich weiß, dass es Harrys ist. »Wir sind mehr als Freunde, Mum. Wir sind zusammen.«
»Ach, Quatsch. Wirklich?« Anne legt mir ihre Hände auf die Schultern und hält mich eine Armlänge weit entfernt. Erst verunsichert mich das, doch ihr breites Grinsen beruhigt mich schnell, weshalb ich mit den Achseln zucke. »Wenn Harry das sagt, stimmt das wohl.« Daraufhin folgt ein hohes Quietschen, bevor sie in ihre Hände klatscht. »Das müssen wir feiern. Ich hol uns was zu trinken.« Es dauert nur wenige Sekunden, bis sie aus dem Wohnzimmer verschwindet und Gemma ihr folgt. Für mich bedeutet das kurz Zeit, um durchzuatmen. Es überrascht mich, dass die Begrüßung so herzlich ausfällt, wenn sie sich so selten sehen. Allerdings wohnen wir relativ weit entfernt, das ist wahrscheinlich der Grund.
»War doch gar nicht so schlimm, oder?«, fragt Harry und drückt mir dann einen Kuss auf die Schläfe. »Nein, war es nicht.« Als wir alleine hier stehen, sehe ich mich das erste Mal um. Makellose Holzdielen, geblümte Sofakissen in Rosa und unzählige Familienfotos auf der langen Holzkommode. Irgendwo im Haus spielt ein leises Radio Musik. Es ist hell und gemütlich, die Aussicht über die unendlichen Felder strahlt Ruhe aus.
Harrys Elternhaus, das ich kenne, bevor seine Mutter umgezogen ist, war eng und düster, ein Sammelsurium aus alten Möbeln, die ihre besten Zeiten hinter sich hatten. Gut, die kitschigen Sofakissen hier treffen jetzt auch nicht meinen Geschmack, aber der Rest ist schön. Es ist einladender. »Es ist hübsch hier. Hat deine Mutter das alles selbst gemacht?«
»Ja schon, damals war ich ja noch hier und habe ihr geholfen«, antwortet Harry und folgt meinem Blick, der noch immer die Umgebung abscannt. »Ah, stimmt. Ich bin schon gespannt auf dein Zimmer. Und erst recht auf dein Bett.« Das will ich nämlich unbedingt einweihen! Ich schmunzle und lasse meinen Zeigefinger vielsagend über Harrys Brust gleiten. Er sagt nichts dazu, doch seine Lippen, die sich einen Spalt öffnen, sprechen für sich.
In der Küche ertönen in diesem Moment die lachenden Stimmen von Anne und Gemma, sodass ich mich wieder daran erinnere, wo wir uns aufhalten. Ich lächle und hauche einen Kuss so leicht wie eine Feder auf Harrys Mund. »Oh, man. Ich kann manchmal immer noch nicht glauben, dass aus unserem One-Night-Stand so viel mehr geworden ist, dass wir jetzt sogar hier bei deiner Mutter stehen.« Harry verzieht das Gesicht, zieht mich aber näher zu sich. »One-Night-Stand. Das klingt irgendwie negativ.«
»Wie soll ich's sonst nennen? Stichprobe?«, frage ich ihn und ziehe dabei die Augenbrauen hoch. Er lacht und drückt mir einen weiteren Kuss auf. Es dauert jedoch nur zwei Sekunden, bis Anne uns unterbricht. »Ach, Gott, ist das romantisch. Setzt euch, Kinder. Ich habe noch Kuchen und Kekse für uns alle. Und dann erzählt ihr beiden uns mal, was euch hierher treibt. Ich will alles wissen.«
Na, das kann ja was werden.
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Das war doch eine interessante Begrüßung, oder nicht? :D
Was der Tag wohl noch so bereithält? :)
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Zatago III - [Larry-AU]
FanfictionTeil III von Zatago Verzweiflung. Laut dem amerikanischen Webster-Wörterbuch ist das der Zustand völliger Hoffnungslosigkeit. Doch wer denkt schon an die Bedeutung, wenn das Leben stattdessen Geld, Freiheit, Luxus und Liebe schenkt? Richtig - nieman...