Wie er sie hasste, diese Kabinen. Vorn taten sie gern sauber, adrett, etepetete, putzten sich heraus, stellten Geschmack zur Schau und präsentierten feines Ambiente. Sonnten sich im Anspruch, etwas zu gelten mit schickem Interieur und akzentuierter Beleuchtung, die jeden Abend hervorhob, was besonders strahlen sollte. Hatten sich lange Gedanken über hochgestochene Formulierungen in ihren Speise- oder Getränkekarten gemacht. Ließen Personal eifrig und teilweise mit gekünstelter Höflichkeit umherflitzen, nur um dann so oft so schrecklich nachzulassen: Schon der Weg zur Toilette hüllte sich in Schäbigkeit, kaum dass man einen Schritt um eine Ecke gegangen war. Hier, abseits der Schönheit dessen, was auf den ersten Blick Eindruck machen konnte, ließen sie ungebremst Hässlichkeit zu.
Ihm war dann schon klar, was auf ihn wartete: Spanplatte weiß, mit der man die Kabinen zimmerte. Selbst in Läden mit dem gehobenstem Style gab es diese Leute, die Parolen an sie schmierten, Herzchen malten oder Sprüche niederster Natur hinterließen. Und als wäre das nicht schlimm genug, fand sich immer wieder ein Loch in ihnen für den notgeilen Spanner nebenan.
Dabei hieß diese Bar „Olymp" und schwelgte vorn in Protz und Gloria. Allein das Hiersein erhob den Anwesenden zum Gott. Teure Garderobe wurde vorgeführt und offenbarte jenen mit Stil augenblicklich solche, die nur billig waren: Die wie Fettaugen in der Suppe schwammen und zusammenfanden zu einem Gleichundgleich, das die wahren Könner des Abends umschifften wie Unterwasserriffe. In edlen Gläsern schimmerten Cocktails und das Bier gab es aus schlanken Kristalltulpen – Wasser perlte in Karaffen und an jedem Espresso haftete ein schmackhaftes Gebäck, alles gehüllt in Elektro-Loungemusik, zu der an mancher Wand Effektlicht waberte.
Doch kaum bog er um die Ecke, um die Toilette aufzusuchen, betrat er eine andere Welt. Lediglich die Geräuschkulisse aus der noblen Welt dort vorn trug er mit sich in dieses Paralleluniversum eines schmucklosen Gangs, der das wahre Alter und die wahre Herkunft dieses Gebäudes offenlegte. Ermattete graue Bodenfliesen, auf denen Jahre und Benutzung Flecken und Verfärbungen hinterlassen hatten, uneben und teils zersprungen, reihten sich an oft rissige Fugen, deren ehemaliges Weiß zahlreiche Farben angenommen hatte, im trüben Licht billiger Milchglasdeckenlampen, in denen dunklen Hüllen toter Insekten lagen. Am Ende des immer weiter ins Trübe torkelnden Wegs leuchtete ein zersprungenes Notausgangsschild über einer zerbeulten Metalltür. Den welligen, fleckigen Wänden dienten Schmierereien Besoffener als Schmuck, wie ungelenk gemalte Herzen, ein spritzender Schwanz, Arschfickillustrationen und Sprüche, Daten und Kontaktnummern für den schnellen Sex.
Der unmittelbare Absturz aus dem Olymp in den innersten Höllenkreis fehlenden Geschmacks schockierte ihn – und noch viel mehr schockierte ihn seine Befürchtung, dass diese Stillosigkeit von Betreibern und Anhängern als absichtlicher Stilbruch und daher als cool, trendy, eigenwillig und weiter worthülsig für gut befunden wurde.
Als er schließlich durch die schabende Tür in die Herrentoilette gelangte, war er bereits auf den Anblick gefasst. Von Jahren der Bedürfnisse von Männern gezeichnete Pissoirs, über denen ihm sofort die Spülknöpfe auffielen, die verrostete Rohre krönten: Jedes Urinal hatte einen anderen Knopf. Gemein war ihnen lediglich, dass er sie ganz sicher nie berühren würde. Der Geruch von Klostein flog ihm wie ein wütender Vogel, entgegen, der ihm in die Nase biss
Und dann sah er sie natürlich: Die beiden Kabinen, wie befürchtet, mit Wänden aus Spanplatte weiß. Oder besser aus dem, was einst Spanplatte weiß gewesen war, als es aus einem Baumarkt in der Nähe, den es nun vielleicht schon längst nicht mehr gab, hierher transportiert worden war. Nur eine dieser Spanplatte trennte die beiden Kabinen, und er geriet ins Stocken. Doch es nützte nichts. Durch den wadenhohen Spalt zwischen Tür und Boden erkannte er, dass beide leer waren, und er entschied sich für die rechte, die zur Betonwand hin und stieß die Spanplattentür so behutsam auf, dass der Schwung sie nicht aus ihren Angeln heben konnte. Eine Keramik erschien, deren beste Zeit mit dem Einbau an diesen Ort abgelaufen war. Immerhin gab es genügend Papier, um ein ausreichendes Polster zwischen sich und der Toilettenbrille zu schaffen. Eilig machte er sich ans Werk, er wollte schnell wieder raus und seinen Freunden draußen im Olymp berichten, was für eine abgefuckte Spelunke dieses aufgeblasene Loch doch war.
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Spanplatte weiß
Mystery / ThrillerEigentlich macht die Bar mit dem klingenden Namen Olymp ihrem Namen alle Ehre - doch wehe, wer zur Toilette geht. Als sich unsere Hauptperson gerade in die Kabine setzt, leitet ihm jemand in der Nachbarkabine Gesellschaft. Doch jenseits der Spanplat...