Stille Gewässer Teil Eins

Stille Gewässer

Kapitel 1

Als Mathelio Alvez 7 Jahre alt war, entschloss er sich dazu, eines Tages Polizist zu werden wie sein Vater Rafael Alvez. Rafael Alvez war ein mutiger Mann, der sich für das Recht und Wohlergehen seiner Mitmenschen einsetzte. Für Mathelio war er ein Held und es war sein größter Wunsch, eines Tages ein so ehrenhafter, mutiger Mann zu werden wie sein Vater einer war.

Als dieser starb, war Mathelio gerade einmal 11 Jahre alt, weshalb es unmöglich zu beschreiben ist, wie schlimm der Verlust seines geliebten Vaters ihn mitnahm. Genau wie das Herz seiner Mutter Gloriana Alvez, war auch seines gebrochen und man kann sich gut vorstellen, dass es seit diesem Tage nicht mehr richtig schlug.

Auch nach 18 Jahren, 9 Monaten und 11 Tagen dachten Gloriana und Mathelio jeden Tag an ihren Rafael.

Gloriana war stolz auf ihren Sohn, der mittlerweile zu einem stattlichen, jungen Mann herangewachsen war. Er war 1,78 m groß, zeigte eine sportliche Figur, hatte schwarzes, strubbeliges Haar und die warmen, dunkelbraunen Augen seiner Mutter. Seine bedachte, aber ebenso sturköpfige Art hatte er von seinem Vater und Gloriana konnte ihren geliebten Rafael mehr und mehr in ihrem Sohn erkennen, je älter er wurde. Und obwohl sie stolz auf ihn war, wie sie niemals auf jemand anderen stolz gewesen war, hatte sie große Sorgen.

Mathelio wurde sehr begehrt. Viele junge Frauen drehten sich auf den Straßen von Tampa regelmäßig nach dem attraktiven, charmanten und geheimnisvollen, jungen Mann um und versuchten ein wenig von seiner Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Aber Mathelio sah keine von ihnen. Er lebte in seiner eigenen Welt, in welcher er davon träumte, diese zu erkunden und dem Sinn des Lebens nachzugehen. Mathelio war ein äußerst tiefgründiger Mensch und lebte für den Moment. Sollte es dennoch jemand wagen in seine Welt einzudringen, so verschloss er die Türen und wurde stur, sie nicht mehr zu öffnen. Ja, Mathelio Alvez war ein begehrter Mann, aber damit brach er auch sehr viele Herzen.

,,Stille Wasser sind tief", sprach seine Mutter einmal ,,Selbst die ruhigsten Gewässer können eine ungeahnte Tiefe und die stärksten Strömungen aufweisen, die man mit dem bloßen Auge nicht wahrnimmt. Eines Tages wirst du dich trauen nicht nur mit den Augen zu sehen. Und es wird jemanden geben der dir bereits einen Schritt voraus ist." Aber es dauerte seine Zeit bis Mathelio die wahre Bedeutung dieser Worte begreifen konnte.

Wie sein Vater, wurde auch Mathelio ein mutiger, ehrenhafter, junger Mann, dem nichts wichtiger war, als das Wohlergehen seiner Mitmenschen. Der polizeiliche Dienst füllte das Loch in seinem Herzen und gab ihm das Gefühl, durch die gemeinsame Leidenschaft mit seinem verstorbenen Vater verbunden zu sein. Und obwohl dies alles ausmachte, was er sich seit Kindheitstagen sehnlichst ausgemalt hatte, fehlte dennoch etwas. Mathelio Alvez wollte die Menschen verstehen, denen er tagtäglich begegnete, die grausames getan hatten und bewiesen, zu welch abscheulichen Taten der Mensch fähig war. Er wollte wissen warum und in die dunkelsten Ecken des menschlichen Verstandes eindringen um es herauszufinden. An der tiefsten Stelle seines Herzens war ihm jedoch bewusst, dass er eigentlich die eigenen, dunklen Ecken seines, hinter Mauern verschlossenen, Inneren ergründen wollte. Allerdings war er lange nicht so weit dies zu erkennen, sodass ihn eine, für ihn unergründete, Unzufriedenheit ereilte.

Und als der höchste Grad seiner Unzufriedenheit erreicht war, fällte er eine Entscheidung, die sein Leben grundlegend veränderte : Mathelio Alvez, der bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung hinter sich und eine traumhafte Karriere vor sich hatte, würde wieder studieren gehen und einen völlig neuen Weg in seinem Leben einschlagen. Und wie sich auf diesem Wege alles veränderte, würde Mathelio erst noch merken.

In einer sonnigen Kleinstadt namens Watkinsville, Georgia, erwarteten 2.275 Einwohner die rund 130 neuen Studierenden der University of Education, welche mit freudigem Herzen und naivem Optimismus auf das erste Studienjahr im Bereich der Psychologie im Strafvollzug, zugingen. Zwischen diesen 130 neugierigen, jungen und orientierungslosen Wesen stach Mathelio Alvez, welcher mit seinen 29 Jahren ganz und gar zu wissen schien wo ihn sein Weg hinbringen würde, unverkennbar heraus. Immerhin war er Polizist und hatte das Studentenleben bereits vor Jahren verabschiedet und nicht im Leben daran gedacht, es eines Tages erneut zu begrüßen.