Kapitel 1

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«Dad! Ich will dir keine Zigaretten kaufen gehen!», schreie ich mit Tränen in den Augen und schaue traurig meinen Vater an. Es tut mir im Herzen so weh, diesen Mann, der mich gezeugt hat, so zu sehen. Völlig verloren. Unterlegen der legalen Droge Namens Alkohol. Sein Leben hängt vom Alkohol ab. Sein Leben hat keinen anderen Haltepunkt, das einzige was ihm noch etwas bedeutet ist der Alkohol, und dieser dient auch nur dem Zweck, der Welt zu entkommen. Der Trauer die tief in uns liegt zu entkommen. Dem Verlust geliebter Menschen. Einfach abschalten zu können.

Anstatt, dass wir zusammen gegen die Vergangenheit ankämpfen, geht er seinen eigenen Weg und lässt mich auch noch zurück, die einzige Person, die ihn noch liebt. Aber er ist auch genau die Person, die mich noch zerstören kann. Er ist die Person, wegen der auch ich immer wieder zu der Flasche, der Tinktur oder der grünen Brille greife.

«Aber ich will verdammt noch einmal meine Zigaretten du Hure!», brüllt er mich an. Seine starken Arme stemmt er auf den Armlehnen des Sessels auf, während er mich wütend anschaut. Er ist seiner Droge komplett unterstellt und anstatt auszunüchtern, will er schon wieder zu der nächsten Droge greifen.

«Dad, du solltest ausnüchtern und nicht noch mehr konsumieren!», sage laut und probiere mit ihm Augenkontakt aufzubauen, doch seine unruhigen Augen huschen durch das ganze Wohnzimmer, nur nicht zu mir. Als er sich aus seinem Sessel erhebt, zittert er am ganzen Leib. Alles an ihm bebt, auch seine Stimme, als er mir langsam sagt, was er will: «Ich will verdammt noch einmal, dass du mir jetzt Zigaretten holst du kleines Miststück, ansonsten geschieht etwas, was dir definitiv nicht gefallen wird.» Jetzt schafft er es seinen Blick zu beherrschen. Fest schaut er mich an.

Die Tränen fliessen ungehindert als ich dann doch nicke und aus dem Wohnzimmer gehe. Ich schluchze leicht, als ich mir Schuhe anziehe, meinen Rucksack schnappe und dann das Haus verlasse. Ja, ich weiss, was passiert, wenn ich ihm nicht seine Zigaretten hole. Dann werde ich geschlagen. Nicht einfache Schläge von Hand, die wären ja noch ein Traum! Nein, die Schläge sind mit einem Gurt und gehen unter die Haut. Mein Rücken, voller solcher Blutergüsse, die bei jeder Bewegung schmerzen.

Für den Weg in die Innenstadt entscheide ich mich gegen mein Motorrad, denn für die Fahrt bin ich nicht im Zustand. Nein, ich bin am bodenzerstört und würde mich am liebsten in mein Bett legen und die Seele aus meinem Leib heulen. Doch das geht nicht, nicht mit so einem Vater wie meinem.

Als ich in der Innenstadt ankomme bin ich über mich selbst erstaunt. Ich kann mich gar nicht an den Weg erinnern, wie ich die Strassen überquert habe und wie ich so schnell hier hin gekommen bin, ich war so in Gedanken. So in Trauer. Aber mir passt es. Umso weniger ich von der Welt mitbekomme, umso besser.

Schon fast routiniert öffne ich die Türe zu dem Tabakhändler meines Vertrauens. Hinter der Theke strahlt mich wieder das Lächeln des jungen Türkens an, dessen Vater der Laden gehört. Immer wieder ist er die Person, die mir neue Mut gibt und mich motiviert weiter zu machen. Weiter mit meinem Dad zu machen. Ich habe das Gefühl, dass ich Bahir auswendig kenne, aber andererseits habe ich das Gefühl, ich kenne ihn gar nicht.

«Das gleiche wie immer?», fragt er sofort und stützt sich auf der Glastheke auf, währenddessen mustert er mich durchdringlich. Es läuft ab wie immer. Zuerst wird Geschäft gemacht und danach noch gequatscht.

«Für den alten Herren die F6 und für mich Marlboro», gebe ich ihm recht. Mein Vater gibt sich nicht mit den normalen Zigarette zufrieden. Nein. Er braucht die deutschen F6 Zigaretten.

«Ist es gerade wieder schlimmer?», fragt Bahir nach, während er sich zu dem Regal nach hinten dreht und schon einmal meine Marlboro hervorzieht und dann weiter nach dem Sonderwunsch meines Vaters sucht.

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