Ein kleiner Vorgeschmack

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«Du hast auch gesehen, was ich gesehen habe, oder?», fragte Sigurd blinzelnd.

«Mhm», machte Maeri neben ihm nur. Sie war vollkommen sprachlos. Die Rekruten waren gerade eben an den Wahnsinnigen Zipper geraten. Das Ziel war, den Kopf mit Wasser zu übergießen, der normalerweise das Gas entzündete. Alle scheiterten sang- und klanglos, einer nach dem anderen. Auch Hicks, was zugegebenermaßen auch kein Wunder war.

Doch als Grobian gerade zu Hicks' Hilfe angerannt kam und alle dachten, es wäre aus mit dem Häuptlingssohn, – immerhin war er von hochentzündlichem Gas umgeben, das jeden Augenblick entflammt werden konnte -  geschah das Unmögliche.

Der Zipper bekam Angst. Angst vor Hicks. Und er hatte dem Drachen nicht einmal etwas getan. Er streckte einfach nur die Hände aus und das geflügelte Reptil lief eilig und angsterfüllt rückwärts, bis es sich schließlich selbstständig in seine Buchte begab. Und das, während Hicks mit ihm redete, als würde er ein kleines Kind belehren und es als Strafe in die Ecke setzen wollen.

Dann ging er einfach pfeifend aus der Arena. Seitdem wurde Grobian von seinen restlichen Schülern mit Fragen bombardiert, was da gerade passiert sei, doch er war mindestens genauso verständnislos wie die beiden Zuschauer.

«Das sollte nicht möglich sein. Wie hat er das gemacht?», fragte Sigurd und lief auf und ab.

«Das fragst du mich? Ich weiß genauso wenig wie du. Ich könnte ihn höchstens mal fragen», murmelte Maeri und schüttelte dann den Kopf, als sich die Szene wieder und wieder in ihrem Kopf abspielte. «Das ergibt doch alles keinen Sinn… Dieser Drache, er hatte-»

«Angst» vervollständigte er und nickte nachdenklich. «Ich habe es auch bemerkt. Aber ausgerechnet vor Hicks? Ich meine, es gibt so viele Wikinger auf Berk, die… Ach, ich weiß auch nicht… Dieses Maß an Angst hat noch nie ein Drache auch nur vor deinem Vater gezeigt. Und er ist, zugegebenermaßen, so ziemlich die furchteinflößendste Gestalt auf dieser Insel. Vor allem, wenn er wütend wird.»

«Aber was auch immer es ist, er macht es verdammt gut.» Dann grinste sie breit. «Besser als deine Schwester.»

Sigurd winkte ab. «Ach komm, als ob das irgendwie ein Wettbewerb sein sollte. Außerdem war das wahrscheinlich nur Zufall. Vielleicht hat der Drache einfach nur zu wenig gegessen und dadurch Halluzinationen bekommen», versuchte er, sich den Zusammenhalt zu erklären und verschränkte die Arme.

«Und wenn es nicht so war? Wenn Hicks noch das eine oder andere Ass im Ärmel hat?», fragte Maeri und grinste breiter.

«Ich bitte dich. Woher sollte er denn wissen, wie man einen Drachen ohne Waffen bezwingt? Wir sind hier immerhin auf Berk», bemerkte er trocken.

Sie lachte und sah ihn dann mit einem amüsierten, aber auch einem herausfordernden Funkeln in ihren Augen an. «Wollen wir wetten?»

Sigurd zog eine Augenbraue hoch und schmunzelte. «Du weißt, wie die letzte Wette ausging?»

Maeri zwinkerte frech. «Eben deshalb verstehe ich nicht, wieso du nicht sofort annimmst.»

«Mhm...» Wieder verschränkte er die Arme. Dieses Mal jedoch aus Amüsement. «Und worum willst du dieses Mal wetten?»

Sie grinste und schnippte ihm gegen die Nase. «Um die Genugtuung, eine Wette gegen dich gewonnen zu haben.»

Er lachte herzhaft. «Tja, dann mach dich mal bereit, grausam enttäuscht zu werden!»
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Sigurd brummte unzufrieden und verschränkte die Arme, während seine Verlobte sich zu ihm hinüberlehnte.

«Wie war das noch gestern?», säuselte Maeri unschuldig.

«Das war nur Glück», grummelte er und sie grinste.

«Ooooch, schmollt der kleine Sigurd etwa?», fragte sie kichernd und kniff ihm in die Wange, woraufhin er nur die Augen verdrehte.

Hicks hatte es zum zweiten Male geschafft. Und es sah so aus, als hätte er dem Gronckel, gegen den Grobians Schützlinge wieder antreten mussten, einfach nur die Nase gerieben. Der Drache hatte sich sofort auf seinen Rücken gedreht und die Zunge hing ihm aus dem Maul.

Die Ereignisse des vorherigen Tages hatten sich schnell herumgesprochen. Es gab viele, viele Skeptiker. Sture Wikinger, die jeden, der von Hicks' Leistungen gegenüber dem Zipper sprach, als Verrückten bezeichneten. Einige jedoch wurden neugierig und wollten herausfinden, was der Häuptlingssohn denn angestellt hatte, dass man plötzlich in erstaunlich hohen Tönen von ihm sprach. Und sie wurden nicht enttäuscht. Sie waren genauso ratlos wie jeder andere.

Was wirklich dahintersteckte, wussten nur drei: Der Nachtschatten Ohnezahn, der weiße Jagdwolf Schnee und natürlich Hicks selbst. Gemeinsam hatten sie den Morgen am Krähenkliff verbracht und als der junge Wikinger mit Verbesserungen an der Schwanzfinne und einem Sattel auf Ohnezahn zum zweiten Mal ritt, stürzten sie nicht gerade überraschend auch wieder zum zweiten Mal ab. Das geschah jedoch in einem kleinen Bereich voller geheimnisvollem Gras, das einen ungewöhnlichen Einfluss auf Ohnezahn hatte. Der Duft machte ihn quasi verrückt, aber auf eine positive Art und Weise.

Das hatte er auch beim Gronckel ausprobiert.

Schnee lernte ebenso von Ohnezahn und Hicks und verbrachte viel Zeit mit beiden. Wohin er verschwand, war für Maeri jedes Mal ein Rätsel, aber solange er bei ihrem Bruder war, war ihr der Rest egal.

Auch, wenn es sie wirklich interessierte, wie er im Drachentraining so gut werden konnte. Und damit war sie nicht allein. Die einzigen, die mehr oder weniger frustriert waren, hießen Hofferson. Astrid eher mehr, weil sie nicht mehr die unumstittene Nummer Eins im Drachentraining war, und ihr großer Bruder Sigurd eher weniger, weil er eine Wette gegen Maeri verloren hatte. Andererseits bewunderte er Hicks wie alle anderen, oder vielmehr das Geheimnis, das er noch für sich behielt.

«Wie macht er das nur…», murmelte er nachdenklich, während Hicks und die anderen die Arena verließen.

«Zerbrich dir darüber mal nicht deinen Dickschädel. Wäre eine Schande», meinte Maeri frech und tätschelte seine Schulter. «Freunde dich lieber mit dem Gedanken an, dass er besser ist als du.»

«Als ich? Du machst wohl Witze!», protestierte er, aber seine Verlobte grinste nur.

«Wie du meinst», sagte sie und zwinkerte dann. «Willst du nochmal wetten?»

«Irgendwann muss seine Glückssträhne mal aufhören.»
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Maeri grinste nur vor sich ins Leere, während Gothi in aller Ruhe ihren Verband an ihrer rechten Schulter abnahm. Anschließend betrachtete die alte Frau die Brandnarben. Dann nickte sie zufrieden.

«Es ist also alles in Ordnung? Ich kann meinen Arm wieder uneingeschränkt bewegen?», fragte die junge Jägerin lächelnd.

Gothi wiegte ihren Kopf hin und her und kritzelte dann mit ihrem Stab in den Sand, den sie stets auf dem Boden ihrer Hütte ausgestreut hatte. ‹Auf langfristige Sicht ja, aber es wird noch ein paar Tage ziehen, wenn du deine Schulter strapazierst.› Dann wandte sie sich um und sortierte wieder die Zutaten in ihrer Hütte.

Nachdem sie für eine Weile unschlüssig herumstand, half sie schließlich der alten Dorfheilerin und stellte eine Zutat an ihre zugehörige Stelle ganz besonders weit oben. Als Gothi sie anlächelte, zog Maeri eine Augenbraue hoch. «Was denn?»

Ihre alte Lehrmeisterin verdrehte die Augen und gab ich ein Handzeichen. ‹Sprich!›

Die Augen der Häuptlingstochter wurden groß. «Was-», brachte sie nur heraus, als Gothi schon wieder neue Handzeichen machte.

‹Kindchen, ich mag selbst vergessen haben, wie alt ich bin, aber SO alt bin ich nun auch wieder nicht. Und jetzt rede. Wie ist es mit Sigurd?›

«Woher weißt du-»

‹Ich habe dir eine Frage gestellt, oder nicht?›

Maeri seufzte und wandte sich für einen Moment wieder den einzusortierenden Zutaten zu, bevor sie Worte fassen konnte und sich wieder zu Gothi umdrehte. «Er… ist nett… Ich mag ihn. Sehr sogar. Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe, aber ich mag ihn.»

‹Wieso nicht?›, signalisierte die Heilerin mit Handzeichen und schmunzelte.

«Weil-» Sie stöhnte frustriert und fasste sich an den Kopf. «Manchmal ist er so unfreundlich, gefühlskalt, barsch und – einfach gesagt – gelegentlich ein richtiger Kotzbrocken, aber im nächsten Moment ist er gleich wieder der sanfteste Mensch auf Midgard und entschuldigt sich für alles, selbst wenn es gar nicht seine Schuld ist. Zugegeben… momentan überwiegt seine zweite Seite. Meistens.»

‹Und damit unterscheidet er sich inwiefern von dir?›, fragte Gothi stumm mit hochgezogener Augenbraue.

«Willst du allen Ernstes damit andeuten, ich sei wie er?»

‹Nun, ihr schaukelt euch zumindest jedes Mal gegenseitig bis in die Aggressivität hoch.›

Die junge Jägerin seufzte erneut. «Selbst wenn es stimmt, was du sagst, dann ist das nur noch mehr Grund zur Sorge. Was, wenn all diese Freundlichkeit nur eine Phase ist? Wenn wir uns irgendwann nicht nur wieder streiten, sondern gar zerstreiten?»

Zum wiederholten Male erhielt sie ein Augenrollen. ‹Weißt du, ich hatte auch mal einen Mann. Er ist vor deiner Geburt gestorben.›

Maeris Augen wurden groß. «Nein, das wusste ich nicht. Das tut mir sehr leid. Er war bestimmt ein guter Mann.»

Gothi schnaubte. ‹Bah, er war ein Langweiler. „Schatzi, bitte entschuldige dies. Mausi, bitte entschuldige jenes.“ Von Anfang bis Ende war er nichts als nett. Nicht der kleinste Streit oder die geringste Meinungsverschiedenheit. Und wenn, dann knickte er sofort ein. Es war sterbenslangweilig.› Sie streckte sich ein Stück nach oben und schnippte ihrem Lehrling gegen die Stirn. ‹Die Kunst ist nicht, Veränderungen zu vermeiden, sondern sich daran anzupassen, ohne sich gegenseitig umzubringen. Meistens schweißt erst der Streit zusammen, weil man sich hinterher wieder einkriegt.›

«Und woher weißt du das, wenn ihr euch nie gestritten habt?», fragte Maeri skeptisch.

Gothi zeigte mit zwei Fingern auf ihre eigenen Augen. ‹Es gibt noch andere Paare auf Berk. Ich bin stumm, nicht blind. Und eines kann ich dir sagen: Ihr zwei werdet ganz sicher keine einfache Zukunft haben, sondern eine mit vielen Drehungen und Wendungen. Und ganz Berk wird eure Streiterei beobachten dürfen.›

«Rosige Aussichten…», brummte Maeri, sagte aber ansonsten nichts, sondern stand nur da und schwieg ihre Lehrmeisterin an.

Die alte Heilerin zeigte nun nach draußen. ‹Und jetzt ab mit dir. Genieß die Zeit. Ich gebe dir die paar Tage noch frei. Aber nach deiner Hochzeit erwarte ich wieder vollsten Einsatz, verstanden?›, wies sie die Häuptlingstochter an und zwinkerte dann.

«Klar und deutlich», entgegnete Maeri und schmunzelte, bevor sie auf direktem Wege die Hütte verließ.
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«Was?! Wie?!», rief Sigurd, dem genau wie seiner kleinen Schwester im Ring der Mund offen stehen blieb, als Hicks den Nadder zu Fall brachte.

«Haha! Was hab ich dir gesagt?», platzte es aus Maeri freudestrahlend heraus, die ihrem Verlobten im gleichen Atemzug gegen den Arm boxte. «Er hat doch noch Tricks auf Lager.»

«Du bist mir eindeutig ein wenig zu enthusiastisch», brummte er und rieb sich den Arm. «Ich weiß, dass es deiner Schulter wieder gut geht, aber musst du das unbedingt auch meinem Arm mitteilen?»

«Verlierer haben nichts zu sagen», entgegnete sie nur mit einem breiten Grinsen und streckte ihm die Zunge raus.

Sigurd verdrehte die Augen und schaute nachdenklich nach unten in die Arena. «Irgendetwas ist hier gründlich faul.»

«Sagst du das, weil du nicht verlieren kannst?», fragte die Häuptlingstochter mit gespieltem Hohn nach.

Er schüttelte nur den Kopf. «Das ist es nicht… Astrid hat mir gestern berichtet, dass sie Hicks im Wald gesehen hat.» Als Maeri mit den Augen rollte, wurde ihm klar, dass das allein recht schwach war. Immerhin hatten sie ihn selbst aus dem Wald kommen sehen. Also fügte er noch hinzu: «Und er hatte wohl irgendetwas… Seltsames, Großes in den Händen. Es sah wohl aus wie ein Segel.»

Sie zog eine Augenbraue hoch. «Und warum ist das so wichtig?»

«Überleg doch mal. Er geht für ein paar Tage den halben Tag mit irgendetwas in den Wald und macht dann den größten Leistungssprung im Drachentraining, der je erlebt wurde. Wenn das, was er in den Wald schleppt, nichts mit seinen Leistungen zu tun hat, dann fress ich meine Axt. Klinge zuerst.»

«Verschone deine Zähne», kommentierte Maeri trocken und seufzte. «Na schön, ich werde mal mit ihm reden, wenn das deinem Stolz hilft.»

«Maeri, es geht hier nicht mehr um meinen Stolz. Auch, wenn es vielleicht am Anfang der Fall war. Aber was es auch ist, es kann uns allen helfen», sprach Sigurd. «Ich kann nicht mehr leugnen, dass er Talent für das hat, was auch immer er da macht. Niemand kann das jetzt bestreiten. Aber stell dir mal vor, er würde seine Tricks mit uns teilen. Die Drachen würden fallen wie die Fliegen im Eissturm.»

Seine Verlobte nickte. «Mach dir mal keinen Kopf, ich rede mit ihm.» Kurz lachte sie. «Eigentlich wollte ich selbst mal wissen, wie er das macht.»
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Hicks zeichnete wie so oft in dem kleinen Raum in der Schmiede, den er von Grobian als seine eigene kleine Werkstätte überlassen bekommen hatte. Mittlerweile war sie im Grunde ein Zuhause geworden. Die letzten Tage verbrachte er nur hier, beim Krähenkliff und in der Arena. Allein zum Schlafen ging er in das Haus seiner Familie.

Er wusste selbst nicht so recht, was er überhaupt zeichnete. Eigentlich wusste er das nie. Er kritzelte anfangs immer nur drauflos, bis sich ganz von allein etwas bildete und er die Zeichnung lediglich vervollständigte. Aber selbst das war ein eher automatischer Vorgang. Er wusste nie bis kurz vor dem Ende, was er genau zeichnete.

Dieser Zeitpunkt war jetzt gekommen, wo er erst registrierte, welches Bild er da schuf. Es war der Nachtschatten Ohnezahn, so wie mittlerweile in der Hälfte seiner Zeichnungen. Meistens fügte er sich selbst irgendwo in dem Bild ein, doch diesmal war es anders.

Hier präsentierte der schwarze Drache seine Stirn, wie er es mittlerweile relativ oft tat. Doch wer ihm gegenüberstand, war nicht Hicks, sondern seine Schwester, die wiederum ihre Stirn gegen die des Nachtschatten lehnte.

Geistesabwesend legte Hicks den Stift zur Seite, stützte sich auf seine Ellenbogen und starrte das Bild gedankenverloren an. Es spiegelte wider, worüber er schon so oft nachgedacht hatte.

Ob er Ohnezahn seiner Schwester vorstellen sollte.

Hicks seufzte. Maeri hatte so viel für ihn getan und sie verlangte nie etwas als Gegenleistung. Sogar, als er ihr eröffnete, dass er den Nachtschatten freigelassen hatte, erwies sie sich als über alle Maßen verständnisvoll.

Er wollte es ihr zeigen. Alles zeigen. Alles, was er über die Drachen gelernt hatte. Doch fürchtete er, dass dies über alle Grenzen hinausging.

Die Freundschaft mit Ohnezahn hatte nichts mehr mit Mitleid zu tun oder etwa damit, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Nein, das hier war mehr als nur ein Moment der Schwäche. Das hier war unbestreitbar der größte Verrat in der 300-jährigen Geschichte von Berk. Er verbündete sich mit den jahrhundertelangen Todfeinden der Wikinger

Und Hicks glaubte, selbst die verständnisvollen Momente seiner Schwester hätten ihre Grenzen. Dennoch hatte sie die Wahrheit verdient. Es war einfach nicht fair.

«Hicks?» Sein Kopf schnappte hoch. Das war Maeri. «Bist du da?»

Aufgeschreckt sprang er auf, schlug sich das Knie unten an der Tischkante ein, stieß mit dem Ellenbogen an die Stuhllehne, zischte vor Schmerz, fegte dabei einen Stapel Blätter von seinem Arbeitsplatz und humpelte zur Tür, gegen die mittlerweile seine Schwester klopfte.

Schnell öffnete er die Tür einen Spalt, schlüpfte hindurch und schloss sie direkt wieder. Dann lehnte er sich mit geschlossenen Augen dagegen und atmete auf.

«Was ist denn mit dir los?», fragte Maeri schmunzelnd und zog eine Augenbraue hoch.

Er riss die Augen auf. «W-was ich? Ähm… r-rein gar nichts ist los. Sollte denn etwas sein?»

Sie sah ihn nur skeptisch an, seufzte dann aber. «Hicks, man sieht rein gar nichts mehr von dir. Nur, wenn du in der Arena bist, aber ansonsten bist du den ganzen Tag nicht auffindbar.»

Nervös kratzte er sich am Hinterkopf. «Ja… ja, das… ähm, also», murmelte er nur, brachte aber ansonsten nicht raus.

«Ernsthaft, Hicks. Was machst du den ganzen Tag im Wald?», verlangte sie nun zu wissen. Diese Frage war wie ein Schlag für den jungen Wikinger und seine Augen wurden größer.

«Ich, äh… mache etwas… Geheimes», sprach er schnell und fummelte angespannt mit seinen Fingern herum.

«Etwas Geheimes», wiederholte sie und zog abermals eine Augenbraue hoch.

«R-richtig.»

«Und das hat nicht zufällig etwas mit deinen Erfolgen im Drachentraining zu tun?»

Sein Atem stockte. «Ich, äh… was?»

Sie seufzte. «Wirklich, Bruderherz, woher kommen diese Tricks, die du anwendest?»

Seine Gedanken waren ein einziges Wirrwarr. Er hatte das Gefühl, seine Sicht würde sich drehen, als er den Kopf schüttelte, die Augen zusammenkniff und sie dann wieder öffnete. «Es ist… kompliziert. Ich weiß selbst nicht so ganz, wie ich es erklären soll…»

«Dann versuch es», sprach sie sanft. «Wir wissen beide, dass du mir alles erzählen kannst.»

«Hmm…», brummte er nur geistesabwesend und begann, auf und ab zu laufen, bevor er nur leicht den Kopf schüttelte. «Entschuldige, Schwester, aber… ich kann nicht.»

«Du kannst nicht? Wieso?», fragte Maeri verwundert.

«Weil…» Er stöhnte hin- und hergerissen. «Ich kann dir nicht sagen, woher ich das habe. Ich kann es einfach nicht. Vielleicht… vielleicht später. In ein paar Tagen. Gib mir einfach Zeit, okay?»

«Was ist daran denn so schwer?», hakte sie verständnislos nach.

Hicks bettelte förmlich. «Bitte versteh doch, ich KANN es nicht. Es… es ist einfach ein wildes Durcheinander. Es wäre… fatal.»

Sie seufzte und schüttelte den Kopf. «Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Aber Bruder-» Er sah ein Stück auf und sie lächelte. «Versprich mir, dass du es mir erzählen wirst, ja? Selbst wenn du - was weiß ich – Drachen zähmst oder so etwas. Obwohl, das könnte dann schon kritisch werden», fügte sie schmunzelnd hinzu.

Hicks stand stocksteif wie ein Brett da und seine Augen wurden groß, bevor Maeri lachte.

«Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht! Das war ein Witz», erklärte sie und lachte noch lauter.

Hicks blinzelte und ihm fiel ein Felsbrocken vom Herzen. «Oh ja… haha, der war gut… richtig gut. Ja… Ich meine, wer wäre denn schon so verrückt, nicht wahr? Genau…», sprach er und lachte gekünstelt.

Maeri lächelte sanft. «Mal im Ernst, Hicks. Was auch immer du da entdeckt hast, könnten wir beim nächsten Drachenangriff gut gebrauchen.»

Ihr Bruder nickte nur stumm und starrte zu Boden. An diesem Punkt schwiegen sich beide Häuptlingskinder lediglich an, bevor die junge Jägerin sich räusperte.

«Also gut», sagte sie und schmunzelte. «Behalte dein Geheimnis noch eine Weile, aber nicht zu lange. Wir sehen uns dann… morgen, schätze ich.» Sie musste kurz lachen. «Eins noch: Ich kann nicht sagen, dass ich von Anfang an an dich geglaubt habe, Hicks. Aber ich bin froh, dass meine Erwartungen enttäuscht wurden.» Sie lächelte sanft. «Ich wollte nur, dass du das weißt, kleiner Bruder.»

Als Hicks weiter nur nickte, seufzte sie und verließ die Schmiede.

Kurzum: Dieses Gespräch hatte seinem Gewissen ganz bestimmt nicht gut getan. Nun fühlte er sich sogar noch schlechter.
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«Und? Wie lief's?», kam am nächsten Tag direkt die Frage.

Seufzend setzte sich Maeri auf den mittlerweile bereits vollgepackten Rängen der Arena neben Sigurd. «Es ging so. Er wollte es mir nicht verraten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es von ihm noch vor dem nächsten Angriff erfahren werden.»

«Vielleicht will er seinen Vorteil nicht hergeben», mutmaßte Sigurd und lachte dann. «Ich kann es ihm nicht übel nehmen. Ich würde es genauso machen, glaube ich. Außerdem hat er ihn sich selbstständig verdient.»

«Aber er ist kein Typ für Wettkämpfe», murmelte Maeri nachdenklich. «Das passt einfach überhaupt nicht zu ihm. Wir erkennen nur das große Ganze nicht. Es steckt definitiv mehr dahinter als nur der Drang zu gewinnen.»

«So oder so macht er sich einen Namen», entgegnete Sigurd. «Und solange sein Geheimnis letzten Endes Leben rettet, soll er es meinetwegen noch eine Weile für sich behalten.  Und halte mich ruhig für verrückt, aber ich glaube, sein wahres Potenzial hat er noch lange nicht erreicht.»

Seine Verlobte lächelte in den Ring hinunter, wo sich Grobians Schützlinge auf den Schrecklichen Schrecken vorbereiteten. «Da sind wir uns einig.»

Und was mittlerweile jeder erwartet hatte, trat ein: Unter großem Gelächter und Gejubel gewann Hicks an diesem Tag erneut.
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Mit verschränkten Armen und grimmiger Miene sah Maeri nach unten in den Hafen. Wieso? Nun, die letzte Expedition zum Drachennest war heimgekehrt.

Und damit auch Haudrauf der Stoische, der direkt von mehreren Wikingern umschwärmt wurde. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, über was, oder besser gesagt, über wen sie da sprachen.

«Du willst deinen Vater nicht begrüßen?», sprach jemand hinter ihr. Sie wusste sofort, wer es war.

«Nein, Sigurd, das möchte ich nicht», erwiderte Maeri, ohne sich umzudrehen oder auch nur den Blick von ihrem Vater abzuwenden.

Langsam trat er zu ihr und stellte sich neben sie, nur um ebenfalls in den Hafen zu sehen. «Du bist noch immer sauer auf ihn, schätze ich?»

«So ist es», kam die knappe Antwort.

Er schmunzelte, ließ seinen Blick aber dort, wo er war. «Ach komm, es ist doch nicht alles schlecht gelaufen.»

«Das hat nichts mit dir und mir zu tun», widersprach sie ruhig. «Ich gebe es offen zu. Ich bin noch ziemlich angesäuert, dass er meine Zukunft einfach mal so nebenbei besiegelt hat. Aber sieh sie dir doch an, diese gackernden Hühner», sagte sie missbilligend und deutete auf die Männer und Frauen, die den Häuptling umringten und auf ihn einredeten. «Sie alle berichten ihm, wie sehr sich Hicks doch verändert habe und wie nun das ganze Dorf hinter meinem einst so verachteten Bruder steht. Oh, und er wird so stolz auf ihn sein.» Sie spuckte auf den Boden. «Nimm Hicks alles weg, sine liebenswerte Persönlichkeit, seinen unstillbaren Entdeckungsdrang oder seine überragende Intelligenz und Lernfähigkeit. All das zählt für sie nicht. Nur, dass er einen Drachen plattmachen kann. Der Rest ist vollkommen egal.»

«Nun, damit hat er zumindest die Zuneigung des Dorfes gewonnen», fügte Sigurd an und legte den Kopf schief. «Vielleicht lernen sie, auch den Rest von ihm zu würdigen.»

«Nichts dergleichen werden sie tun», widersprach Maeri verächtlich. «Zeig dem Pöbel ein paar Kunststücke und alles Übrige wird irrelevant.»

Als der Blick des Häuptlings zufällig nach oben fiel und auf seiner Tochter landete, wandte sie sich ab und schritt davon.
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«Tochter.»

«Hallo», kam kurz darauf die Antwort. Maeri saß auf einer der Stufen, die zur Hütte des Häuptlings führten. Da Schnee nicht bei ihr war, schlug sie sich die Zeit anderweitig tot. Sie tippte zuerst mit dem Zeigefinger, dann dem Mittelfinger, dem Ringfinger und schließlich dem kleinen Finger den Daumen an. Und wieder rückwärts. Hin und her.

«Warum sitzt du hier?» Es war bereits Abend. Haudrauf hatte noch stundenlang an den Docks und anschließend an diversen Stellen im Dorf zu tun gehabt.

«Ich habe nichts Besseres zu tun.»

Schweigen.

«Ich habe gerade mit Sigurd gesprochen.»

«Mhm…»

«Was denkst du? Über ihn?», fragte Haudrauf nach und tippte mit einem Hauch von Nervosität mit dem Fuß gelegentlich auf die Steinstufen. Er wusste genau, dass seine Tochter ihm nicht gerade wohlgesonnen war.

Maeri seufzte ein wenig genervt und sah weiter runter auf ihre Finger, mit denen sie ungestört spielte. «Er nervt manchmal, aber er macht sich ganz gut.»

«Also… war meine Entscheidung gut?»

Säuerlich sah sie zu ihm auf und ließ ihre Finger für einen Moment ruhen. «Ich weiß genauso wenig wie du, ob die Entscheidung gut war. Auf jeden Fall war deine Vorgehensweise miserabel.»

Er seufzte. «Ich weiß, Tochter, und das tut mir leid.»

«Dir tut selten etwas ehrlich leid, Haudrauf», entgegnete die Häuptlingstochter.

Er zog eine Augenbraue hoch. «Ich bin dein und Hicks' Vater, Maeri. Du kannst mich auch so nennen.»

«Hicks und ich sind Geschwister, das stimmt schon einmal. Aber solange du meinem Bruder kein Vater bist, bist du auch mir keiner», erwiderte sie bissig und wandte sich wieder ihren Fingern zu.

Der Häuptling brummte. «Weißt du, wo Hicks ist? Ich wollte mit ihm reden.»

Das trieb Maeri auf die Füße. Ruckartig stand sie auf und sandte ihm einen vernichtenden Blick. «Und was hast du ihm zu sagen, hä?! Dass er ein grauenhafter Wikinger war? Dass du fast schon die Hoffnung, aus ihm könnte jemals noch etwas werden, verloren hattest? Dass ihr zwei, jetzt wo seine Existenz angefangen hat, sinnvoll zu sein, nun endlich ein gemeinsames Thema hättet? Was davon willst du ihm sagen? Oder etwa gleich alles, damit er sich besonders toll fühlt?», hakte sie mit sarkastischer Agressivität nach.

«Ich-», begann ihr Vater völlig perplex, doch sie winkte nur energisch ab und setzte sich wieder hin.

«Weißt du was? Eigentlich will ich es gar nicht wissen. Wahrscheinlich ist Hicks wieder in seinem persönlichen kleinen Zimmer von Grobians Schmiede. Dort findest du ihn am wahrscheinlichsten, wenn er nicht gerade im Wald ist.» Dann wandte sie sich wieder ihrem kleinen Spiel mit den Fingern zu.

Haudrauf drehte sich gerade um, als er aus dem Augenwinkel bemerkte, was Maeri da mit ihren Fingern machte. «Du übst Alvins Handzeichen?», fragte er mit einer Spur Verständnislosigkeit.

Seine Tochter hatte daraus nie wirklich ein Geheimnis gemacht. Sie machte das andauernd. «Ja», sprach sie gleichgültig. «Das mache ich doch immer, wenn ich gerade genervt bin» Kurz sah sie wieder zu ihrem Vater auf. «Oder wenn jemand nicht weiß, wann er gehen sollte.»

Der Häuptling seufzte und lief langsam in Richtung Schmiede. Maeri hingegen stand schnaubend auf und ging die letzten Stufen zum Haus hoch. Sie wollte einfach nur schlafen. Dieser Tag war genug für sie.
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Dunkelheit.

Sie war umgeben von einer nahezu undurchdringlichen Finsternis, die nur von ein paar violetten Schimmern ohne jegliche ersichtliche Quelle gebrochen wurde.

Maeri wusste nicht, warum und was sie hier tat, wieso und wie lange sie überhaupt hier war.

Zum Teufel, sie wusste noch nicht einmal, wie sie an diesen Ort gelangen konnte, was auch immer das für ein Ort sein sollte. Sie hatte noch nie etwas gehört, geschweige denn gesehen, von einer Gegend, die so trostlos war wie diese. Kurz nachdem sie sich ins Bett gelegt hatte, war sie hier aufgetaucht.

Es sah aus, als hätte man ein kleines Gebirge zusammengedrückt und mit Pech übergossen. Überall ragten schroffe, spitze Felsen hervor, die manchmal nur zehn, dann aber wieder gefühlt mehrere hundert Meter nach oben ragten. Zwischen all diesen Gesteinsmassen war vielleicht gerade genug Platz für zwei Nadder. Wenn sich einer halbieren lassen würde. Und selbst da konnte man aufgrund spitzer Steinchen und überall herumliegender Felsbrocken nur mit Mühe umherlaufen.

Nicht einmal eine Decke war zu sehen und man hätte sie wahrscheinlich selbst ohne all die Finsternis nicht mehr erkennen können.

Diese unheimliche Umgebung jagte Maeri einen gewaltigen Schauer über den Rücken. Und als ob das nicht schon genug war, so fühlte sie sich nicht allein.

Auf einmal ertönte ein leises, hohes Zirpen, das die Häuptlingstochter aufschrecken ließ. Hastig sah sie sich nach dem Geräusch um und mit zusammengekniffenen Augen wurde sogar eine kleine Höhle im Fels sichtbar.

Als das Geräusch erneut erklang, dieses Mal jedoch leiser, schlich Maeri langsam darauf zu und hockte sich davor. Nach einer Weile konnte sie tatsächlich wieder einen leichten, dunkelvioletten Schimmer erkennen

«Hey», sprach sie sanft. «Wer bist du denn?»

Wieder ertönte ein kurzes Zirpen und Maeri streckte langsam ihre Hand in die kleine Höhle hinein und der Quelle des Geräuschs entgegen.

«Hab keine Angst, wer auch immer du bist», redete sie weiter beruhigend auf die darin befindliche Kreatur ein. «Ich tu dir nichts, kleiner Kerl.»

Kurz spürte sie den eiskalten Atem der Kreatur, der bei ihr rasch Gänsehaut hervorrief. Dennoch lächelte sie.

Dann ein tiefer Biss. Kälter als Gletschereis und doch brannte er sich in ihre Haut wie lodernde Flammen. Er kam völlig überraschend.

Maeri schrie laut auf und zog ihre pochende Hand zurück. Doch hinter ihrer Hand kam die kreischende Kreatur hinterhergestürzt. Ein Wesen, das sie noch nie gesehen hatte, auf dessen Anblick sie aber auch hätte verzichten können.

Es sah ein wenig aus wie eine Spinne, aber nicht mit acht, sondern mit vier Beinen. Und jedes dieser Gliedmaßen sah aus wie ein breiter, flacher und verdammt großer spitzer Stein, der mit einer dicken Chitinschicht überzogen wurde. Weiße, noch spitzere Zähne, die mit dem roten Blut der Häuptlingstochter benetzt waren, ragten aus einem vergleichsweise kleinen Maul. Den Kopf zierten drei riesige, dunkelviolette Augen, die in einem nach oben spitz zulaufenden Dreieck angeordnet waren.

Und dieses Gesamtpaket war in etwa so groß wie Maeris untere Körperhälfte.

Das kleine, blutlüstern kreischende, insektenartige Biest riss sie zu Boden und versuchte sogleich, seine spitzen Vorderbeine in ihre Schultern zu rammen, doch sie reagierte schnell und packte die Beine an den flachen Seiten.

Sie hatte keine Ahnung, was da auf ihr war, aber es schnappte mit seien spitzen Fangzähnen nach ihrem Gesicht und verfehlte sie nur knapp.

Als es merkte, dass es so nicht weiterkam, bohrte es eins seiner Hinterbeine in ihren Oberschenkel, sodass sie vor Schmerz aufschrie.

Durch den Schmerz fand sie aber auch die Kraft, das kleine Monster von sich herunter zu werfen. Es landete wie ein Käfer auf dem Rücken und zappelte hilflos, während sich Maeri langsam mit schmerzverzerrter Miene aufrichtete.

«Da will man einmal nett sein», knurrte sie, humpelte auf das Biest zu und versuchte es zu verletzen, indem sie ihm mit der Faust gegen den Bauch schlug.

Die Einzige, die vor Schmerz schrie, war sie selbst. Der Chitinpanzer ihres Angreifers war zu robust, als dass sie ihn einfach mit bloßen Händen zerknacken konnte. Hastig zog sie ihre schmerzende Hand zurück.

Doch das Monster gab nicht nach. Es krallte sich mit seinen vier Beinen brutal in ihrem Arm fest und bohrte seine Spitzen tief in ihr Fleisch.

Mittlerweile schrie sie gar nicht mehr. Das Adrenalin pochte nur so durch ihre Adern und sie schüttelte sich wild, um das seltsame Wesen abzuwerfen, doch es hielt sich eisern fest und krabbelte ihren Arm sogar weiter hoch, bis es sich um Maeri herum wand und an ihrem Rücken festsaß, wo sie es nicht mehr erreichen konnte.

Also warf sie sich gegen die nächstbeste Wand und zum ersten Mal hörte sie das befriedigende Knacken von Chitin. Das kleine Monster kreischte ohrenbetäubend laut, dass sie sich unter jedem anderen Umstand am liebsten einen Drachen in beide Ohren gestopft hätte.

Aber in dieser Situation warf sie sich lieber wieder und wieder gegen die Wand. Mit jedem Mal krachte der Panzer des Monsters lauter, die Schreie wurden schriller und das Gezappel wurde energischer.

Bevor Maeri nun zum sechsten Male die Wand rammte, schaffte es das Wesen, von ihr herunter zu springen und sich auf dem Boden zu krümmen, während die Häuptlingstochter sich schmerzhaft die Schulter prellte und mit dem Hinterkopf gegen die Wand knallte.

Sie fasste sich krampfhaft an die Stirn, um mit den darauffolgenden Kopfschmerzen klarzukommen, aber das Biest ließ ihr kaum Zeit und sprang noch aggressiver und wilder schreiend erneut auf sie zu.

Dieses Mal hingegen war sie gewappnet und ließ ihre Reaktion entsprechend aussehen. Mit einem ebenso wilden Schrei schickte sie ihre Faust zurück, zielte jedoch dieses Mal auf eine ungepanzerte Stelle: Das Obere der drei Augen.

Falls Maeri dachte, sie hätte den vorherigen Schrei für ohrenbetäubend gehalten, dann wurde sie nun eines Besseren belehrt. Dieses Gekreische allein war qualvoller als die Entstehung ihrer Brandwunde durch den Riesenhaften Alptraum und das Gift des Tödlichen Nadders, welches damals in die Wunde bei ihrem Auge eingetreten war, zusammen.

Ebenso qualvoll schreiend hielt sie sich die Ohren zu und sackte gegen die Wand.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bevor der seelenzerfetzende Schmerzenslaut verklang und das Monster mit einem blinden, völlig blutverschmierten Auge, doch keinesfalls an Blutlust mangelnd, tollpatschig wieder auf sie zukrabbelte.

Keuchend nahm sie sich die Hände von den Ohren. «Wie viel… hälst du… kleines Mistvieh denn aus?!», schrie sie und wappnete sich wieder.

Doch dann geschah etwas, mit dem sie als Allerletztes gerechnet hatte.

Das kleine Monster brach schlagartig in sich zusammen. Der Körper nach unten gedrückt, die vier Beine nach außen gespreizt.

Für einen Moment war es still und sie hörte nur ihren eigenen Atem.

Nein. Es atmete noch jemand. Noch etwas. Und es war direkt vor ihr.

Wieder sah sie die kleine Bestie an und bemerkte nun, dass eine lange, gezackte Klaue, etwas länger als ihr Arm, in einem etwas helleren Violett aus seinem Körper ragte. Eigentlich war es weniger eine Klaue, sondern vielmehr eine leicht gebogene Sichel, die aus einem länglichen Stück Chitin ragte, welches farblich der toten Bestie glich.

Mit stockendem Atem folgte Maeris Blick der gezackten Sichel, erkannte etwas Armähnliches, das in einen ganzen Körper überging.

Mit purem Schrecken nahm sie nun die ganze Gestalt wahr, die nun das Ende ihres Armes aus dem kleinen Monster zog, sich langsam aufrichtete und anderthalb Meter über ihr aufragte. Was auch immer es war, es könnte einem Nadder auf den Kopf spucken.

Auf den ersten Blick hätte sie es für einen Menschen gehalten, doch auch hier lag der Gedanke an ein Insekt, wenn nicht vielmehr direkt an eine Gottesanbeterin statt einer Spinne, näher.

Statt nur einem Arm, der mit einer langen, gezackten, sichelförmigen Klaue endete, hatte es zwei. Dazu passend zwei Beine, die beide am Ende, wo sich so etwas Ähnliches wie Füße befanden, vier Krallen hatten.

Als sie wieder nach oben sah, konnte sie mehrere lange Krallen erkennen, die aus den Schultern ragten, die den spitz zulaufenden Kopf mit zwei langen Fühlern umrahmten.

Hinter den Schultern waren zwei offene Chitinklappen, von unter denen zwei große, grüne Insektenflügel gewachsen waren.

Sogar Fell wuchs der riesenhaften Bestie, aber an völlig unpassenden Stellen. Viele Haare wuchsen einfach aus den Gelenken heraus, sonst war aber nichts weiter zu erkennen.

Dann öffnete es seine Augen, die in einem grellen Neongrün förmlich erstrahlten. Maeri stand wie angewurzelt da und presste sich gegen das raue Gestein hinter ihr.

‹Erbärmlich.›

Es waren keine Worte, die der Gestalt entwichen, obwohl sie ihr Maul öffnete, aus dem ebenso spitze Zähne hervorblitzten wie aus dem des kleineren Monsters.

Es waren Gedanken. Aber nicht von der angenehmen Sorte. Sie bohrten sich wie einen eiskalten Speer in ihren Geist und wühlten ich durch ihr Hirn, als würden sie nach etwas suchen. Die Stimme, die mit den Gedanken einherging, war ein Stück tiefer als die ihres Vaters, klang aber kratzig und strotzte nur so vor Arroganz und Grausamkeit. Wieder packte Maeri ihren Kopf.

‹Du kommst ja kaum gegen einen einfachen Voidling an›, wurde ihr spöttisch verdeutlicht und die Bestie deutete auf das tote Wesen zu ihren Füßen.

«Wer… was… bist du», presste Maeri nur hervor.

Die Häuptlingstochter erhielt ein einfaches Lachen, dessen Klang allein bei ihr schlagartig die Gänsehaut hervortrieb.

‹Wer und Was ist beides richtig. Ich bin Kha'Zix. Ich bin der Räuber der Leere. Und du›, sprach er erneut mit Spott, ‹bist an diesem Ort nichts als Beute.›

«Was ist das für ein Ort?», grollte sie ärgerlich und kämpfte gegen die pochenden Schmerzen in ihrem Kopf an. Sie würde sich unter keinen Umständen als Beute bezeichnen lassen. Sie war eine Jägerin.

‹Du bist ziemlich stumpf, hm?› Kha'Zix amüsierte sich sichtlich, auch wenn es seiner Miene nicht anzusehen war. ‹Das hier IST die Leere, kleine Beute.›

Sie knurrte wütend, zwang sich, die Hände von ihrer Stirn zu nehmen und sah dem Räuber der Leere direkt und wild in die pupillenlosen Augen. «Ich bin eine Jägerin, Monster.»

Er kicherte. ‹Wenigstens hast du Kampfgeist. Damit kann ich arbeiten.›

Ihre Wut wurde augenblicklich durch Verwirrung ersetzt. «Was-»

‹Wir sehen uns schon bald wieder, kleine Jägerin.›
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Schweißgebadet fuhr sie aus ihrem Bett hoch und ihr Kopf stieß mit etwas zusammen.

«Auuu… warum immer mein Kopf», grollte Maeri und fiel wieder zurück ins Bett.

«Danke, dass jemand auch an mich denkt», stöhnte die vor Sarkasmus triefende Stimme ihres Bruders.

Mühsam richtete sich die Häuptlingstochter wieder mit der Hand an ihrer Stirn auf und sah, dass Hicks vor ihrem Bett rücklings auf dem Boden lag.

«Da will man einmal nachsehen, was los ist, weil du dich windest und schreist und dann kriegt man zum Dank eine Kopfnuss», erklärte er platt mit beiden Händen auf der Stirn, ohne sich wieder aufzusetzen.

«Entschuldige», brummte sie und fuhr sich über die Augen. «Ich hatte einen ziemlich…» Auf einmal bemerkte sie irgendetwas Raues auf der Handfläche ihrer rechten Hand, mit der sie das Auge des Voidlings – so hatte Kha'Zix ihn genannt – geschlagen hatte. «…schrägen Traum», vervollständigte sie nachdenklich ihren Satz, ohne sich ihre Hand vorerst anzusehen. Stattdessen legte sie ihre Hände auf ihre Oberschenkel.

«Schräg ist da noch untertrieben, glaube ich», meinte Hicks und grinste leicht unter den abklingenden Schmerzen. Dann stand er langsam wieder auf.

Schnee, der die ganze Zeit neben ihrem Bett gesessen und sie beobachtet hatte, sprang nun auf das Bett und schleckte seiner Jagdgefährtin kurz über die Wange, was sie nur mit einem leichten Kichern quittierte und anschließend seien Kopf wegschob.

«Also gut», sprach der Häuptlingssohn und lief zu seinem Bett, nahm einen Helm vom Bettpfosten und setzte ihn sich auf. Man musst kein Experte sein, um zu erkennen, dass dieser Helm mal so gar nicht passte und komplett schief saß. «Geschenk von Vater», erklärte er mit einem kurzen Deuten auf den Helm. «Aber gut, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, es ist Morgen. Und zwar der Morgen, an dem sich herausstellen wird, ob Astrid oder ob ich den Riesenhaften Alptraum in der Abschlussprüfung… töten darf.» Die letzten zwei Worte sprach er verdächtig besorgt, als hätte er über diesen Moment bis jetzt noch gar nicht so recht nachgedacht.

«Tja, wer hätte das gedacht?», fragte Maeri schmunzelnd.

«Niemand», beantwortete Hicks und zuckte mit den Schultern. «Aber alle freuen sich wie-»

«Wie die Idioten», beendete sie den Satz ihres Bruders und beide lachten kurz. «Ein Haufen blöder Schleimer. Haben dich wie Dreck behandelt und jetzt freuen sie sich für dich.»

«Yay», rief Hicks leise und gelangweilt und stieß eine Faust ohne jeden Elan in die Luft. «Ach, was soll's… kommst du?»

«Gleich», sagte Maeri und schob Schnee sanft von ihrem Bett herunter. «Geht ihr zwei ruhig schon mal vor. Ich brauche noch einen Moment.»

«Wie du meinst.» Hicks zuckte mit den Schultern, während der weiße Jagdwolf zu ihm tapste und ihm nun über die Hand schleckte. «Na gut, ich bin dann mal weg», verkündete er und lief dann die Treppe herunter.

Maeri grinste und rief ihm hinterher: «Pass auf, dass du dich nicht schon vor dem Kampf auf's Maul legst!»

«Witzig!»

Die Häuptlingstochter schmunzelte, bevor sie sich wieder ihrer Hand zuwandte und ihre Miene sofort ernster wurde. Langsam öffnete sie die Faust und es kam eine seltsam geformte Narbe zum Vorschein.

Es sah aus wie ein Dreieck mit geschwungenen Ecken, aus denen jeweils eine Halbmondsichel hervortrat. Etwas entfernt von der Innenseite der Sicheln war auch noch jeweils ein Punkt.

Sie wusste nicht, wie es dieses ihr unbekannte Zeichen auf ihre Hand geschafft hatte, aber die Worte, die sie sogleich hörte, machten ihr klar, wo die Quelle der Narbe lag.

Die Worte, die sie hörte, machten ihr klar, dass der Grund ihrer nächtlichen Unruhe alles andere als ein Traum war.

‹Fürchte die Leere.›

Die Riddari-GeschwisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt