Endlich entdeckte ich Lord Salverton und die beiden anderen. Eine vierte Gestalt hatte sich zu ihnen gesellt, aber diesmal war ich froh darüber. Es war Audrey, die sich zwischen Clementia und den Lord gestellt hatte. Schnell näherte ich mich der Gruppe.
»Ich bin sicher dein Gatte denkt genauso darüber, nicht wahr, Clementia?«, hörte ich Audrey in diesem Moment sagen und Clementias säuerlicher Gesichtsausdruck erfreute mich zutiefst.
»Ich kann ihn leider nicht fragen, er ist im Moment auf Reisen«, sagte sie und sah Lord Salverton dabei einen Moment zu lange an.
Audrey bemerkte das und setzte einen freundlichen Gesichtsausdruck auf: »Das Kleid ist wirklich gut gewählt, man kann gar nicht sehen, dass du vor kurzem noch schwanger warst. Wie kommt dein Ehemann denn zurecht seit das Baby da ist?«
Mit Genugtuung beobachtete ich, wie der Lord ein klein wenig von ihr abrückte und missbilligend die Stirn runzelte.
Clementia funkelte Audrey böse an, fing sich dann aber schnell wieder und erwiderte: »Er ist hocherfreut über seinen Erben.«
In diesem Moment bemerkte sie mich und setzte ein scheinheiliges Lächeln auf. »Lucinda, du hast ja so fabelhaft gespielt.«
Ihre Stimme war so süß wie immer, aber ich wusste, dass das alles nur eine Fassade war. »Ach ja?«, fragte ich und stellte mich ihr gegenüber. »Für mich sah es nicht so aus, als hättest du besonders aufmerksam zugehört.«
»Ich habe lediglich Konversation betrieben. Darf ich dir Lord Salverton vorstellen?« Wie konnte sie nur so dreist sein und so tun, als wüsste sie nicht, dass ich mich noch vor fünf Minuten mit ihm unterhalten hatte? »Eigentlich kennen wir uns bereits«, sagte ich trocken, woraufhin Lancelot freudlos schanubte.
»Oh ja, das tuen sie!« Ich spürte, wie mir bei dieser Bemerkung das Blut in die Wangen stieg. Natürlich lag er damit vollkommen falsch, aber es brachte mich dennoch ein wenig aus der Fassung. »Eure Andeutungen könnt Ihr euch sparen, my Lord« sagte Salverton kühl.
»Die...Aktivitäten einer Dame gehen euch nichts an.«
»Oh, unsere Lucinda ist nur halb so damenhaft, wie sie alle glauben machen will, nicht war?«, bemerkte Clementia schmunzelnd und diesmal konnte ich deutlich einen zynischen Unterton in ihrer Stimme hören. »Aber nun entschuldigt mich bitte, ich muss noch etwas erledigen«, sagte sie und lächelte in die Runde. »Einen schönen Abend wünsche ich.«
Sie drehte sie sich auf dem Absatz um und spazierte leichtfüßig davon. Kaum war sie verschwunden, wandte sich der Lord an mich. »Eure Freundin ist wirklich sehr nett. Vielleicht ein bisschen gesellig für eine verheiratete Frau, aber das kann ich mir auch eingebildet haben.« Ich konnte mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen: »Sie hat sich euch praktisch an den Hals geworfen!«
Tadelnd sah Audrey mich an und Lancelot verschränkte die Arme vor der Brust. »Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Nicht wahr, Lucy?«, sagte er und ich zuckte kurz zusammen.
Seine Worte versetzten mir einen kleinen Stich, auch wenn ich wusste, dass er kein Recht darauf hatte so etwas zu sagen, schließlich gehörten immer zwei dazu. »Hör auf mich so zu nennen«, sagte ich forsch. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn er meinen Spitznamen benutzte. Vor allem nicht vor anderen. »Natürlich. Verzeiht mir, Madam.« Er gab sich keine Mühe zu kaschieren, dass er seine Entschuldigung nicht ernst meinte.
Das tat er sowieso selten. Lancelot war in dem Glauben aufgewachsen, er hätte immer recht und jetzt, wo er erwachsen war, zeigte sich das vor allem in unausstehlicher Arroganz, die erst zum Vorschein kam, wenn man ihn verärgerte. »Ich sollte jetzt besser gehen«, verkündete er und als ihn niemand aufhielt, deutete er eine kleine Verbeugung an.
»Auf Wiedersehen, meine Damen. Mein Herr.« Kurz bevor er davon ging, warf er mir noch einen Blick zu, der mir Schauer über den Rücken jagte.
Nun waren wir nur noch zu dritt und ich atmete erleichtert aus. »Endlich.«
»Scheint sehr verzogen zu sein«, bemerkte Lord Salverton und sah ihm nach. Audrey winkte ab: »Er ist es eben nicht gewohnt, etwas nicht zu bekommen. Oder vielmehr jemanden. Aber eigentlich kann er wirklich nett sein.« Mit einem Blick auf Salverton fügte sie schnell hinzu: »Aber keine Sorge, er ist sicher keine Konkurrenz für Euch.«
Oh je. Ich lief hochrot an. Audrey musste eins und eins zusammen gezählt haben und denken, Lord Salverton und ich hätten eine Affäre. Kein Wunder, schließlich hatte ich sie genau das glauben lassen. »Audrey, wir sind nicht...es ist nicht so wie du denkst!«
»Oh.« Sie runzelte die Stirn. »Aber wer ist es dann?« Obwohl sie den letzten Satz flüsterte, konnte der Lord alles mitanhören. Aus Höflichkeit tat er so, als betrachte er den Blumenschmuck, aber ich konnte sehen, wie er amüsiert schmunzelte. »Niemand. Er ist tatsächlich der, mit dem ich mich getroffen habe, aber nicht deswegen. Er hilft mir nur bei etwas. Ich kann dir nicht genau sagen wobei, aber es geht um meinen Vater.« Audrey betrachtete ihn von der Seite und raunte: »Wie schade. Er ist vielleicht kein Lancelot, aber er sieht nicht schlecht aus.«
Um ehrlich zu sein, fand ich ihn viel hübscher als Lancelot. Nicht, dass es einen Unterschied machte, schließlich war diese Sache viel zu groß, als dass ich es für so etwas aufs Spiel gesetzt hätte. Aber trotzdem. Sein gutes Aussehen war nun mal ein Fakt und was brachte es schon, etwas so offensichtliches abzustreiten?
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Die sterbliche Baronin
FantasiaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...