-~3~- Kein Mann vieler Worte

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Die beiden Freunde stiegen weiter die breite Treppe zur Polizeistation hoch. Sie gingen durch die hohe Glastür und kamen in ein Foyer mit einem Empfang, an dem gerade eine Frau mit strengem, braunem Zopf und schmaler Brille saß und mit wichtigem Blick etwas in den Computer vor sich eintrug.

,,Ich will mit D.I. Miller reden", sprach Sherlock sie ohne Umschweife an.
,,Mr. Miller ist zur Zeit nicht anwesend. Er ist auswärts unterwegs", antwortete die Empfangsdame, ohne von ihrem Computer aufzusehen.
,,Sagen Sie ihm, dass er aus seinem Büro kommen soll und dass ihn Sherlock Holmes sprechen will. Es geht um Rose Grayson", erwiderte der Consulting Detective, nachdem er sie kurz gemustert hatte. Sie sah ihn skeptisch über ihre Brillengläser an, stand dann aber von ihrem Stuhl auf und ging zügig in einen Raum, der von Milchglas umgeben war. Ihr Zopf schwang dabei mit jedem Schritt mit.

,,Schläft sie mit ihrem Chef?", fragte John euphorisch.
,,Was? Nein, wie kommen Sie darauf?", fragte Sherlock. Jetzt war er derjenige, der zur Abwechslung verwirrt war.

Er liebte es, John dabei zuzusehen, wie er versuchte, zu deduzieren, dabei aber kläglich scheiterte. Das würde er aber niemals zugeben. Er wusste nicht, ob es eine Art Bewunderung ausdrückte. Nunja, höchstwahrscheinlich, aber in manchen Situationen konnte er Johns Verhalten einfach nicht einschätzen. Es war, als wäre in diesen Momenten eine dicke Schicht aus satiniertem Glas zwischen ihnen, durch das man zwar die Umrisse erkennen, aber unmöglich Details ausmachen konnte.

,,Na, nachdem Sie sie angesehen haben, wussten Sie, dass er in seinem Büro ist", erklärte John enttäuscht.
,,John, den Mann, den wir gleich vor uns haben werden, ist nicht der Typ dafür mit seiner Sekräterin zu schlafen."
,,Aber woher wussten Sie es dann?", fragte John irritiert.
,,Ich habe ihn durch das satinierte Glas gesehen", grinste Sherlock, doch seine Miene erkaltete wieder, als er den D.I. sah, der auf die beiden zukam, gefolgt von der Empfangsdame. Er war ungefähr Sherlocks Alter, hatte ein weißes, zerknittertes Hemd an, eine dunkle Krawatte und seine braunen Haare waren wild durcheinander, als hätte er eine Nacht hier verbracht. Sein Gang war ungewöhnlich schwer für einen Mann seines Alters. Zwar hatte er eine ernsthafte Ausstrahlung, aber das kleine Papierarmband an seinem linken Handgelenk, das er immerzu versuchte mit seinem Ärmel zu verdecken, zeigte eine ganz andere Seite von ihm auf.
Er blieb vor ihnen stehen und sah Sherlock ernst an. In seinen Augen lag der Stress der letzten Arbeitswoche und eine unterschwellige Geduldlosigkeit.

John räusperte sich. ,,Ähm... Also ich bin John Watson, freut mich Sie kennenzulernen." Er streckte dem D.I. seine Hand hin, die dieser auch ergriff. ,,Guten Tag."
Auch Sherlock gab er die Hand, aber wortlos. ,,Kommen Sie bitte in mein Büro, meine Herren", sagte er dann und ging wieder zurück in das Zimmer, aus dem er gekommen war. Sherlock und John folgten ihm.
,,Kein Mann vieler Worte", flüsterte John zu Sherlock, sodass Miller ihn nicht hören konnte.
,,Besser so, als Anderson", erwiderte Sherlock, was John ein leises Lachen entlockte.

Im Büro ließ sich der D.I. schwerfällig auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch sinken und musterte die beiden Männer skeptisch. ,,Was haben Sie mit meinem Fall zutun?"
,,Nun, Mr. Grayson hat mich kontaktiert", antwortete Sherlock.
,,Er war nicht bereit mit der Polizei zu sprechen", erwiderte Miller.
,,Richtig, deswegen ist er zu uns gekommen", sagte John.
,,Ich will keine Presse", legte Miller fest.
,,Das kann ich nicht versprechen, aber ich denke, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie uns aus London hierher gefolgt sind, dank unserer abrupten Abreise." Sherlock warf John einen kurzen Blick zu.
,,Was wissen Sie?", fragte der D.I. nun eindringlich und lehnte sich über seinen Schreibtisch nach vorne.
,,Dass die Spurensicherung furchbare Arbeit geleistet hat", erwiderte Sherlock.
Miller rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. ,,Ich weiß. Haben Sie schon einen Verdächtigen?"
,,Wir wollten erstmal hören, wie weit Sie sind, bevor wir anfangen", erwiderte John. Der D.I. lehnte sich wieder zurück und wartete mit seiner Antwort etwas zu lange.
,,Nichts? Gar nichts?", fragte Sherlock genervt. ,,Was ist mit dem Stuhlbein und dem Cricketschläger?"
,,Den was?", fragte der D.I. irritiert.
Sherlock drehte ihm daraufhin seinen Rücken zu.
,,Wir haben einen Zeugen", erklärte Miller.
,,Das ist doch immerhin etwas!", rief John, doch Sherlock sah sich nur die graue Wand an und dachte nach.
,,Wen?", fragte John.
,,Aurelia Roberts."
,,Wo liegt dann das Problem?", fragte John weiter.
,,Sie liegt seit der Tat im Koma", antwortete der D.I. verzweifelt und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.

Kurz war es im Raum komplett still, dann hörte man leises Summen aus Sherlocks Richtung.
,,Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!", rief John wütend. ,,Stayin' Alive? Hatten wir das nicht eben schon auf der Treppe besprochen?"
,,Hatten wir das?" Sherlock schaute John fragend an und kam dann wieder auf das eigentliche Thema zurück: ,,Es würde nichts bringen diese Aurelia Roberts zu besuchen. Wir suchen weiter."
Er drehte den beiden anderen wieder den Rücken zu und verließ den Raum. John sah ihm nach und atmete schwer aus. Er wandte seinen Blick wieder zu dem D.I. ,,Wir melden uns, wenn wir irgendetwas gefunden haben."
Dann lief er Sherlock mit schnellen Schritten nach.

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,,Er wurde aus Sheffield hierher versetzt und weiß selber, wie schlecht sein forensisches Team hier ist", erklärte Sherlock, als sie die Treppe wieder runtergingen.
,,Miller? Ja, ich habe auch gemerkt, dass er solche... Umstände nicht gewöhnt zu sein scheint. Aber warum wurde er hierher versetzt?" John machte eine ausschweifende Bewegung und deutete dabei auf die wenigen kleinen Häuser, die sie umgaben. Sherlock ignorierte seine Frage und ging auf dem Fußweg weiter. John folgte ihm. ,,Vielleicht hat er Mist gebaut?"
,,Was? Nein...", antwortete Sherlock abwesend.
,,Warum dann?", wollte John wissen.
,,Können wir uns bitte auf den Fall konzentrieren?"
John musterte ihn skeptisch.
,,Klar." Er wusste, dass Sherlock den Grund für die Versetzung des Inspectors kannte, es ihm aber aus irgendeinem Grund nicht sagen wollte.
,,Es ist unwichtig", sprach Sherlock weiter, als hätte er bemerkt, dass John trotzdem noch darüber nachdachte.
,,Was machen wir jetzt? Wir haben keinen Anhaltspunkt", sagte John.
,,Wir hören uns um. Rose wurde direkt aus ihrem Haus entführt. Es muss doch noch jemand etwas davon mitbekommen haben. Und wir müssen ein Motiv finden. War sie unbeliebt? Ich würde sagen, wir fragen nochmal ihren Freund."

Die beiden nahmen den Bus zurück zu Brooks Haus und klingelten wieder. Er öffnete die Tür und sah die beiden überrascht an. ,,Haben Sie etwas rausgefunden?"
,,Hatte Ihre Freundin in den letzten Wochen einen Streit mit einem ihrer Bekannten?", fragte Sherlock, anstatt zu antworten.
,,Naja... Mit ihrem Vater. Ich weiß allerdings nicht, worum es in ihm ging. Und mit den Nachbarn. Rose hat sich gerne mit anderen Menschen angelegt", antwortete Brook und fasste sich mit einer Hand in den Nacken.
,,Ist Ihnen einer davon besonders in Erinnerung geblieben?"
,,Nein, tut mir leid, es waren alles nur Kleinigkeiten, um die es gegangen ist."
,,Könnte ich mir den Tatort noch einmal anschauen?", fragte Sherlock, woraufhin Brook nickte und die beiden hereinließ.

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,,Das war ein Profi", stellte Sherlock fest. ,,Er hat so gut wie alle Spuren vollständig vernichtet und die Spurensicherung hat ihm dann den letzten Rest gegeben. Fast." Er ging zurück zur Eingangstür und untersuchte sie.
,,Woher wissen Sie, dass es nur einer war?", fragte John skeptisch, während er Sherlock dabei zusah, wie er sich vor die Tür hockte. ,,Ganz einfach. Seine Freundin hatte eine Affäre. Sie kannte den Angreifer und hat ihn hereingelassen. Wenn es zwei Unbekannte gewesen wären, hätte sie sie nicht in ihr Wohnzimmer kommen lassen, so unbeliebt, wie sie in der Stadt war." Er sah zu Richard. Er und John sahen ihn geschockt an. ,,Und dann sind da noch die Bügelfalten in Ihren Hemden-"
,,W-was? Das kann nicht sein!", rief Brook aufgebracht.
,,Sie sagten es selbst: Sie waren auf Geschäftsreise, als es passierte. Die Bügelfalten sind-"
,,Nein, nein, nein! Das kann einfach nicht sein!"
,,Ich sehe, dass Sie sich gerade in Ihrem niedrig entwickelten Verstand ausmalen, dass Ihre Rose nicht mehr von der Entführung wiederkommt, aber ich würde Ihnen moralisch und von polizeilicher Seite empfehlen, diesen Gedanken wieder zu verwerfen", sagte Sherlock, als er Richards Gesicht sah. Dieser starrte ihn nun an, blickte danach auf den Boden, um dann mit dem Kopf zu schütteln. ,,Nein, Sie haben recht. Tut mir leid."

𝚂𝚃𝙰𝚈𝙸𝙽' 𝙰𝙻𝙸𝚅𝙴 | Sherlock-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt