März 1939
Dunkel liegt die Nacht über der Welt, doch diese Nacht ist mit keineranderen zu vergleichen. Nicht sie verursacht die schwere Düsternis,die ihren Schleier über alles gelegt hat, die das Raum- und Zeitgefühl aufgehoben, jedes Geräusch erstickt und das Leben, wie man eskannte, beendet hat ...»Alistair, was hast du getan? Wie konntest du uns das antun?« EineFrauenstimme hallt in der Stille nach.Nicht kraftvoll.Nicht entschlossen. Lediglich durchdrungen von Entsetzen, Traurigkeit und Wut.
»Was meinst du damit? Hast du sie nicht rufen hören? Sie habengebettelt, gefleht und ...«
»Hör auf«, unterbricht sie ihn. Sie klingt zornig und der goldeneSchimmer in ihren Augen funkelt gefährlich. Ihre Präsenz wirkte einschüchternd, wäre da nicht dieses verräterische Zittern oder das Funkeln der goldfarbenen Sprenkel.
»Du hast mich doch gefragt.« Der Mann zuckt lässig mit den Achseln. »Willst du etwa sagen, dass sie dir entgangen sind, dass du nichtgut genug bist, sie zu hören?«Die Frau zwingt sich, den beleidigenden Worten keine Beachtungzu schenken. Natürlich hat sie die gedämpften Worte vernommen.Wie sie riefen und baten, doch sie hat gelernt, sie zu ignorieren, so wieman es ihr beigebracht hatte.Höre ihnen niemals zu. Das war die erste Regel, die jeder Springereingebläut bekam. Die erste und die wichtigste ... Die Schattenwesenwaren im Laufe ihres langen Lebens einfallsreich geworden. Sie spielten mit jenen, die ihnen Gehör schenkten. Lullten sie ein, vernebeltendie Sinne und begannen ganz langsam mit ihrer Manipulation – diebei einigen Menschen den Anfang vom Ende einläuten konnte ...
Fröstelnd streicht die Frau sich über die Gänsehaut an den Oberarmen. Wie hatte es so weit kommen können? Warum gerade er?Die oberste Regel der Springer zu ignorieren und den Bitten derSchatten zu folgen, trotz des Wissens darüber, kam einem Vertrauensbruch, nein, eher einem Hochverrat gleich.»Wie konntest du es wagen?«, wispert sie erneut. Die Stimme intausend kleine Teile gebrochen wie bei einem zerstörten Spiegel. »Wärees ein anderer gewesen, hätte ich es in gewissem Maße verstanden, beidir jedoch ... Du weißt genau, was sie und zu was sie fähig sind.«
»Ich konnte nicht anders, ich musste es tun«, rechtfertigt sich derMann.
»Du musstest gar nichts«, korrigiert die Frau und starrt ihn vollerVerachtung an.
»Doch, denn nun bin ich endlich frei. Ich kann meiner Bestimmung folgen und der sein, der ich von Anfang an hätte sein sollen.«
»Das ist niemals deine Bestimmung gewesen.« Sie fährt sich mitden Händen durchs strähnige Haar. An manchen Stellen schimmertes grau, trotz dessen die Frau kaum dreißig Lebensjahre zählt. Ihresonst honigfarbenen Augen verblassen, lediglich der goldene Funkedarin springt aufgeregt umher.Die letzten Monate und der stetige Kampf hatten an ihren Kräftengezerrt. Erbittert hatte sie sich geweigert aufzugeben. Sie hatte um dasgekämpft, was ihr wichtig war, den Tatsachen nicht ins Auge sehenwollen. Am Ende war es zu spät gewesen. Sie hätte früher eingreifenund es beenden müssen, statt zu analysieren und sich Rat einzuholen.Jetzt war alles unwiderruflich verloren ...Neben ihr steht jetzt der Mann, den sie einst glaubte geliebt zuhaben. Der Vater ihrer Kinder. Ein Mann, der sie bitter enttäuscht,die Seiten gewechselt und sie damit im Stich gelassen hat.»Es war nie deine Bestimmung«, wiederholt sie, als keine Reaktionvon ihm kommt.
»Woher willst du das wissen? Du bist bloß eine dumme Frau. EinNiemand. Ihr Lichtspringer wart stets so arrogant zu denken, dassalles in euren Händen liegt, dabei waren es stets die Dunkelspringer,die tatsächlich etwas bewirken konnten. Ihr wart schwach in jederverdammten Sekunde eures erbärmlichen Lebens.«
»Schwach? Das ist es, was du wirklich von uns denkst? Wenn ichin deinen Augen so schwach bin, warum hast du mich dann erwählt?«
»Halte dir deine Freunde nah, doch deine Feinde deutlich näher.Sagt dir diese Weisheit etwas, Herzchen?« Das teuflische Grinsen ihresMannes lässt ihr das Blut in den Adern gefrieren.
»Du hast mich benutzt«, sagt sie so fest sie kann, um sich wenigstens einen Teil ihrer Würde zu bewahren.
»Richtig, Darling. Es ging nie um dich. Du, das, was du bist, warbloß ein Mittel zum Zweck. Von Anfang an.«
»Und die Kinder?«
Ihr Gegenüber zuckt die Achseln. »Ein notwendiges Übel. Stelldir vor, meine Gene und Fähigkeiten mit denen der Lichtspringervereint. Die Gründung einer neuen Rasse. Eine, die sich erheben undherrschen wird. Gemeinsam mit den Schatten.«
»Du redest, als wären sie Marionetten, die du nach Belieben hinund her bewegen kannst.«
Er runzelt die Stirn. Sind sie das nicht?«
»Es sind unsere Kinder!«
»Und? Sie sind alt genug und verfügen über ausreichend Verstand,um sich für die richtige Seite zu entscheiden. Zumindest mein Sohnwird das tun. Was deine Tochter betrifft: Die Lichtbrut kannst dugern behalten.«
»Nein, das kannst du nicht tun. Wir sind eine Familie, ich werde dasnicht zulassen.« Vergeblich bemüht sie sich, die Tränen zurückzuhalten.
»Ach? Und was gedenkst du zu unternehmen? Wie willst du michaufhalten?« Er mustert sie abschätzig. »Du kannst gar nichts tun,Weib. Du und dein Licht ... sinnlos und unnötig. Die Dunkelheitbietet so viel und kaum einer schenkt ihr die nötige Beachtung. Sieist zu Größerem bestimmt, als bloß die Hälfte des Tages zu regieren.Das wirst selbst du feststellen.« Mit diesen Worten kehrt er ihr denRücken zu und geht.
Warte«, ruft die Frau ihm nach. »Alistair, so warte doch!«Doch der Mann zuckt nicht einmal, als sie seinen Namen ausspricht, sondern folgt den Rufen der Schatten.Er ist zu Höherem bestimmt. Das wird er allen beweisen. Nichtskann ihn aufhalten. Er und die Schatten sind eins.
"Mondscherben&Funkenmeer" ist die Fortsetzung von "Lichterglanz&Dunkelschatten" und erscheint am 12.08.2019 im Drachenmond Verlag. Im Moment besteht noch die Möglichkeit sich ein persönlich signiertes Exemplar zu sichern. Alle Infos dazu im Verlagsshop: www.drachenmond.de/titel/mondscherben-funkenmeer/
YOU ARE READING
[Leseprobe] Mondscherben & Funkenmeer - Magiesprung Chronik 2
FantasyFlucht & Verrat - Erins Leben hat innerhalb kürzester Zeit eine 180-Grad-Wendung hingelegt. Mitten im Kampf zwischen uralten Magien und grauenhaften Dunkelschatten soll ihr Schicksal besiegelt werden, während sie sich ihr altes Mauerblümchenleben zu...