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Nun war es endlich Freitag. Meine Sachen, die ich für diese wenigen Tage benötigte, waren in einer kleinen Sporttasche verstaut. Damien hatte sie eingepackt. Er war seit gestern Abend durchgehend hier, war ebenfalls die Person, die mich nach Hause brachte. In der Zeit, die ich mit im Koma liegen verbracht hatte, hatte er seinen Führerschein vollendet. Habe ich schon erwähnt, dass Damien richtig cool war?

An diesem Tag fühlte ich mich stark und dies bestätigte sich, als ich ohne Hilfe, was soviel hieß wie alleine, zum Pult ging und mich bei der neuen Krankenschwester – sie hieß Amanda – abmeldete. Meine restlichen Sachen blieben in meinem Zimmer, da ich Sonntagabend wieder hierher zurück musste.

„Carly“, rief mir Damien zu, als ich gerade irgendwelche Anweisungen von meiner Krankenschwester bekam, falls ein Notfall ausbrach.

Amanda stoppte mit ihrer Vorlesung, lächelte mich an. „Du wirst das schon schaffen“, meinte sie gelassen und drückte meine Hand. Es waren nur jämmerliche zweieinhalb Tage, in denen ich weiß Gott was machen konnte, aber jedenfalls nicht viel.

Damien stellte sich neben mich und nahm mit seiner freien Hand meine, in der anderen hielt er die Sporttasche. Amanda lächelte auch ihn lieb an und flüsterte ihm leise Worte zu. „Pass gut auf die kleine Carly auf“

Mein bester Freund erwiderte diese mit einem „Natürlich“.

Dann winkte ich Amy noch zu, ehe Damien und ich den Korridor entlang schlürften, Hand in Hand, und wirkten wie ein ganz normales verliebtes Pärchen.

Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ, als ich in sein Auto stieg, das in der untersten Garagenebene parkte. Später stellte sich heraus, dass er ein irrsinnig guter Fahrer war. Jede Kurve und jede Kreuzung überquerte er geschmeidig, jeder Kreisverkehr wurde zum Erlebnis. Vermutlich lag es auch daran, dass ich endlich dem langweiligen Spital entkommen war. Alles wurde zu einem Spielplatz, den ich nie wieder verlassen wollte.

Ich bat Damien, mich zum Supermarkt zu fahren, damit ich Alice ein Geschenk kaufen konnte. Da mir Mom am Vortag den Haustürschlüssel und mein Portmonee vorbei gebracht hatte stellte sich dies als ein Leichtes heraus.

Ich hackte mich bei meinem besten Freund unter und stolzierte mit ihm durch die Gänge des Supermarkts, bis wir an der Reihe des Alkohols ankamen und abrupt stehen blieben. Damiens Hand schnappte nach zwei Wodkaflaschen und einem Wein, danach grinste er mich verführerisch an und zog mich weiter zu den Süßigkeiten und Spezialitäten.

„Damien?“, kam es vom Ende des Ganges.

Gleichzeitig wandten wir unsere Köpfe vom supersüßen Klebezeugs zu einem Jungen, welcher sich als Damiens Bekannter herausstellte.

„Hey Tay“, sprach Damien und schlug mit dem Typen ein. Ich kicherte über den Reim seines Grußes. Der Fremde sah mich durchdringend an, von Kopf bis Fuß. Ich tat es ihm gleich. Nein, ich musterte nicht ihn, sondern mich selbst. Eine kurze Jeans mit sogenannten Hipster-Dreiecken an den Taschen, ein wunderschönes beigefarbenes Shirt mit Blumenmuster und Riemchenschuhe. Wäre ich nicht so verdammt dürr gewesen, hätte ich mich als hübsch bezeichnen können. Auch wenn ich ein klein wenig zugenommen hatte, war ich noch immer zu schlank.

„Deine Kleine?“, flüsterte Tay Damien zu.

„Nein, meine kleine Beste“, antwortete Damien und schlang einen Arm um meine Taille. Angeber. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust, da mich einen Schwall von Müdigkeit überfiel. Lange konnten mich meine Beine nicht mehr tragen.

„Damien“, flüsterte ich, hoffend er würde es alleine an der Aussprache seines Namens erkennen. Ja, dies tat er. Er war ein Engel.

„Also dann Tay, schön dich wieder gesehen zu haben. Meld’ dich mal wieder bei mir“

„Werd’ ich machen, schätze wir sehen uns. Und...“ Tay sah mich an. „Schön dich kennengelernt zu haben“

„Ganz meinerseits“, erwiderte ich lächelnd.

Zuhause packten wir die Zutaten in den Vorratsschrank und die Getränke in den Kühlschrank, danach setzten wir uns auf die Couch und schauten solange fern, bis ich auf Damiens Oberkörper einschlief.

Ich wachte auf seinem Schoß auf, als ich Stimmen vernahm. Diese stellten sich als jene meiner Eltern heraus, die zwar leise, aber doch darüber diskutieren, wie sie meiner Schwester morgen die selbstgebackene Torte überreichten und ob es eine Last für mich wäre, wenn mehr als zehn Leute zu Besuch kamen.

„Mom, das ist okay“, krächzte ich, woraufhin sie mir sofort ein Glas Wasser brachte.

Ich fühlte mich wie ein kleines, verwöhntes Kind, das nichts selbst machen konnte.

Sonntag Abend. Damien brachte mich wieder ins Spital zurück. Zuerst hatte ich mich geweigert, dagegen rebelliert und gekreischt, geweint und ihn mit einem Kissen geschlagen. Doch dann hatte er mich geschultert und in sein Auto gezerrt. Mom, Dad und Alice versprachen mir, mich morgen wieder zu besuchen. Sie bekamen nicht mit, wie sehr ich mich dagegen sträubte dort hin zu fahren.

Ich dachte an Rita, Bree und Jamie.

Möglicherweise würde ich nicht noch einmal so lange an das Bett gekettet sein – und die Zeit, die ich dort verbrachte, würde ich mit meinen neuen Freunden niederschlagen. Damien kam jede Nacht, Mom jeden Nachmittag und Dad jeden zweiten. Alice, Phiny, Oma. Sie alle kamen, um mir meinen Tag zu verschönern.  

„Entschuldige“, schluchzte ich in Damiens Richtung. Er hielt das Lenkrad gerade und sein Blick war auf die Straße fixiert. Ohne diesen abzuwenden ergriff er meine Finger.

„Kein Problem“

War das der Grund, wieso Rita und Doktor Fletch mich nicht hatten entlassen wollen? –Weil ich sonst nicht mehr hingehen wollte?

Es war schrecklich; das Gefühl zu haben, dass alles um einen herum perfekt ist, dass man gesund ist, dass alle glücklich sind, und dann wird man vom Gegenteil enttäuscht. Ich fühlte mich verdammt gesund, ich war nicht länger schwach, ich hatte gegessen, bis ich über Bauchschmerzen klagte, ich hatte mich frei gefühlt. Und jetzt saß ich auf dem Beifahrersitz am Weg zurück in die Hölle. Ja, ich stellte es mir dreimal so schlimm vor, wie es eigentlich war, da ich mich nun endlich daran erinnern konnte, wie es draußen so war. Und es war schön. Man konnte tun und lassen was man wollte und wurde nicht alle sechs Stunden an eine Leine gehängt.

Ich wurde aus meinen Gedanken geholt, als der Motor des Autos verstummte und ich mich auf dem Parkplatz wiederfand. Der Weg in mein Zimmer verlief genauso wie der hinaus, nur in die falsche Richtung;  Damien hielt meine Hand und die Sporttasche, wir sahen aus wie ein verliebtes Pärchen. Der zweite Unterschied, gleich nach der Richtung, war meine Haltung. Anstatt einem fröhlichen Gesichtsausdruck und zurückgestreckten Schultern, hing ich schlaff wie eine Marionette an Damiens Arm, ließ mich fast ziehen.

Ich war nicht so krank, um wieder unter dauerhafter Beobachtung stehen zu müssen. Ich war gesund, kräftig und verdiente ein Leben.

Und in diesem Moment realisierte ich, das irgendetwas nicht stimmte. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 17, 2014 ⏰

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