Kapitel 6

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"Leute, ihr könnt ruhig draußen warten, ich ziehe mich nur schnell um.", sagte ich, nachdem ich mich aufgesetzt hatte und eine Weile auf den Boden starrte. "Ich glaube du hast nicht verstanden..", Richie breitete seine dünnen Arme aus, als würde er die ganze Welt umarmen wollen, "deswegen sind wir doch hier drin! Nicht wahr, Leute?". Richie drehte seinen Kopf zu seinen beiden Freunden. Ben hatte eine leichte röte auf seinen großen Wangen und stand ganz steif da, so als wenn er sich nicht ganz wohl fühlen würde. Bill verdrehte nur die Augen, packte Richie am Arm und zog ihn hinter sich her: "K-K-Komm mit, du Sp-Spanner." Die Tür ging hinter den dreien zu. Ich starrte in meinen Spiegel, ich bemerkte, dass ein kleiner Smiley drauf geschmiert wurde. Er hatte ein breites Grinsen und war direkt auf meinem Gesicht. Verstört schossen mir die Bilder der Nacht durch den Kopf. "Scheiße.", knurrte ich und stand auf. Ich schob meine Gedanken beiseite, suchte mir schnell meine Klamotten heraus und machte mich auf zu den Jungs. Weg von diesem Zimmer, von diesem Haus, von diesen Dingen, die hier vor sich gingen.

Zusammen gingen wir dort hin, wo wir uns sicher fühlten. Wo kein Erwachsener jemals hinkommen würde, da die Hygiene hier nicht vorhanden war. Und genau deswegen spielten die Jungs hier, hier waren sie frei von Vorschriften und konnten fliehen von der bösen Welt des Erwachsenwerdens. Vielleicht hätte es mir auch gut getan, hätte ich hier früher gespielt, doch meine Mutter war strickt dagegen. Ich sollte lieber mit den Kindern ihrer Freunde spielen. Es hat auch alles Spaß gemacht, jedoch, wenn ich Bill, Ben, Richie und auch Stan, der vor ein paar Minuten zu uns stieß, so ansah, hätte ich sicherlich hier mehr Spaß gehabt. Ein Glück, dass Sommerferien sind und ich somit mit meinen jüngeren Freunden mehr Zeit verbringen kann. Die grünen Blätter der Bäume tanzten im leichten Wind und ließen immer mal ein paar Sonnenstrahlen durch. "Wir haben übrigens eine neue Teamkameradin.", merkte Richie an. Ich sah zu ihm. Er hielt einen Stock in der Hand und schaute konzentriert zu seinem kleinen Damm. "Wer denn?", fragte ich neugierig nach. "Beverly Marsh, sie ist wirklich sehr nett.", erklärte Ben und lächelte verträumt. "Hey, ich kenne sie. Ihre Mutter arbeitet mit meiner Mutter zusammen.", grinste ich. "Vielleicht kommt sie nachher ja vorbei.", bemerkte Richie und befestigte seinen Stock an einer passenden Stelle. "Das wäre super, ich habe sie schon so lange nicht mehr gesehen." "W-Wart ihr F-Freunde?" "Als wir kleiner waren... wenn ihre Mutter Spätschicht hatte, kam sie zu uns. Aber das ist schon lange her, da war ich elf.", meinte ich und lächelte. Die Jungs bauten weiter, sie machten gerade einen Wettbewerb, wer den besten Damm bauen kann. Ich hingegen saß auf einem Stein und war der Schiedsrichter. Bev... ja, ich erinnerte mich. Sie hatte ein Keyboard, mit höchstens fünfzehn Tasten. Wir spielten gerne, dass wir auf einem Konzert waren. Aber das war noch lange nicht alles: Wir waren Bergsteiger und erkundeten den riesigen Sandberg, der ein paar Häuser weiter auf einer Baustelle war, wir spielten Tierarzt und verscheuchten jedes Mal meinen Kater, wir hatten zusammen nie Langeweile. Mein Lächeln, welches die Erinnerungen hervorriefen, verschwand. Bev und ich hatten uns irgendwie aus den Augen verloren und wir gingen verschiedene Wege. Ab und zu sah ich sie nochmal. Ich hörte, dass sie es nicht leicht hatte. Sie wurde gemobbt und auch zuhause sollte es nicht so freundlich abgegangen sein. Oftmals sah ich sie, wie sie eine Zigarette rauchte. Manchmal auf dem Schulhof, versteckt hinter einer ecke oder auf der Toilette. Sie hatte einen Ruf in der Schule, dass sie es mit jedem machen würde, wenn er nur nett fragen würde. Ich habe es nie geglaubt, ich wollte es auch gar nicht. Jeder hat über sie geredet. Und was habe ich gemacht? Gar nichts. jetzt, wo ich alles realisierte, hätte ich ihr helfen sollen. Wir waren schließlich einmal beste Freunde. Doch was wäre dann passiert? Was wäre gewesen, wenn ich wirklich zu ihr gehalten hätte? Wäre ich auch zum Opfer von Greta Bowie geworden? Das Mädchen, welches Bev eine Schlampe nennt, sich aber selber nicht besser anzieht? Hätte ich dann ein geteiltes Schicksal gehabt? Vermutlich. Und im Unterbewusstsein wusste ich es auch. Ich wusste, wenn ich bei ihr wäre, ginge es mir nicht besser. Und niemand will das. Verdammt, was war ich nur für eine Freundin? Auch, wenn wir nicht mehr so gut im Kontakt standen, hätte ich zu ihr sollen, ich hätte ihr helfen sollen. Ich hätte... sie unterstützen können. Doch ich habe nichts getan. Nie.

Der Clown in meinem LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt