Stille. Undurchdringliche Stille. Niemand bewegte sich und keiner wagte etwas zu sagen, während sie einfach nur zusahen wie es geschah, nicht im Stande es zu begreifen, geschweige denn etwas zu tun. Sie hatten gewusst, dass es geschehen würde, sie hatten gewusst, dass es in diesem Moment geschehen würde, sie hatten es gewusst... seit über 20 Jahren.
David war damals 28 gewesen. Er und seine Frau Sarah hatten gerade ihren zweiten Jahrestag gefeiert. Unter unendlichen hell leuchtenden Sternen, die damals den Nachthimmel bedeckten, hörte sie ihm aufmerksam zu, wie er von verschiedenen Sternbildern und -konstellationen faselte und sich ungeschickt in Erklärungen zu physikalische Zusammenhängen verzettelte. Ob es sie damals wirklich so sehr interessiert hatte wie sie vorgab wusste er nicht. Jedenfalls bemerkte er irgendwann wie sie ihn ansah. Stummes Glück funkelte in ihren klaren Augen, die er so sehr an ihr liebte. David war klar geworden, wie lang er geredet hatte und verstummte etwas peinlich berührt. Nach einigen stillen Sekunden Blickkontakt sagte er sanft die Worte. Sie rückte darauf hin noch näher an ihn heran und glitt mit ihren Lippen unerwarteter Weise statt zu seinem Mund zu seinem linken Ohr und flüsterte 'Ich möchte ein Baby, ein kleines -du-.'.
David spürte wie ihm nun stumm Tränen die Wangen runterrannen. Es war nie dazu gekommen. Sie waren am nächsten Morgen zusammen in ihrem Bett aufgewacht, hatten die Nachrichten gesehen und noch bevor das globale Gesetz einige Monate später verabschiedet worden war, eine schwere Entscheidung getroffen. David sah auf die beiden Menschen neben sich. Sam stand neben ihm, immernoch erstarrt von dem was sie sah. Auch ihr standen Tränen im Gesicht. An wen sie wohl dachte. Neben ihr wiederum saß Mike mit dem Rücken an den Rand des Fensters gelehnt. Er hatte sich bereits abgewandt und starrte mit zusammengebissenen Zähnen zur Decke.David meinte, angesichts der blutverschmierten Hand, die er zitternd auf seine Wunde gelegt hatte, zu wissen, dass er versuchte einen Schmerzensschrei zu unterdrückte. "Sam", rief er und stürzte vor Mike auf die Knie,"Schnell, er verblutet." Sie reagierte nicht. "Sam!" Sam erschrak und sah sich hektisch um, als hätte man sie während eines Albtraums unsanft geweckt. "Hol das Verbandszeug. Lagerraum 2, weißer Schrank, unterste Schublade, ganz vorne. Ich versuche solange die Wunde zuzuhalten." Sam begriff und eilte mit Angst in den Augen los. "Beeil dich, er verliert das Bewusstsein.", fügte er hinzu als Mikes Kopf drohend nach vorne wibbte. Verzweifelt presste David nun beide Hände auf das vor Blut triefende Loch in Mikes Anzug. "Hey Mike, bleib wach, bleib bei uns, hey!" Er gab ihm eine leichte Ohrfeige. Doch Mike schien es nicht wahrnehmen zu können. Sein milchiger Blick wirkte fast ausdruckslos, so als würde er nur friedlich dösen. Im nächsten Moment kam Sam angerannt und drückte ihm schluchtsend den Verband entgegen. "Mike? Mike bleib bei mir, ich bin's, deine Sam.", flehte sie nun und versuchte mit ihren Händen Mikes Gesicht ihr zuzuwenden. Doch er schien auch dies kaum mitzubekommen. David ergriff unterdessen den schweren Reißverschluss und öffnete kraftvoll den oberen Teil von Mikes Anzug. "Sam, schnell, hiev ihn nach vorn.", befahl er. Ohne ihr Ansprechen zu pausieren, stand sie auf und zog Mike an seinen Schultern nach vorne, während David seinen Anzug nach unten langsam abwickelte. Das darunter liegende Shirt zerrte er unwirsch nach oben vom Oberkörper, sodass die Wunde frei wurde. Der Schuss hatte ihn auf halber Höhe in die rechte Seite getroffen. "Die Kugel hat möglicherweise eine Rippe beschädigt und wenn wir Pech haben seine Niere durchstoßen.", er bemerkte wie Sam aufhörte Mike zuzureden und sich an den Bauch fasste, als wäre ihr übel, "Sie mal auf seinen Rücken, ist dort eine Austrittswunde?" Sam lehnte sich nach vorne."Scheint nicht so, nein." David bemerkte ihre Erleichterung. "Das ist nichts worüber wir uns freuen sollten.", mahnte er sie ernst,"Sie scheint tief in ihm zu stecken und wir haben eigentlich weder die Ausrüstung, noch die Kenntnisse um sie zu entfernen. Aber wenn sie drin bleibt riskieren wir eine Infektion." "Also, was tun wir?", fragte Sam verängstigt. "Ich schätze sie muss erstmal drin bleiben. Er hat schon viel zu viel Blut verloren. So ein ungeübter Eingriff könnte ihn jetzt das Leben kosten.", antwortete David und versuchte seine Unsicherheit zu verbergen. Eigentlich war Mike immer der Bessere auf diesem Gebiet gewesen. David hatte damals nämlich nie verstehen wollen, warum er 'so einen unnötigen Scheiß' als Raumfahrer wissen musste. Jetzt bereute er diese kurzsichtige Einstellung. Vorsichtig nahm er nun das Wundpolster und platziere es auf der Quelle des Blutstroms. Danach verband er es etwas ungeschickt - er verbrauchte viel zu viel Material. Als er fertig war wies ihn Sam unnötigerweise darauf hin, dass die Blutung kaum gemindert wurde. Er spürte den vorwurfsvollen Klang in ihrer Stimme. "Eigentlich müsste ich jetzt einen Druckverband drüber binden, aber wenn seine Rippe beschädigt ist, könnte zu viel Druck noch mehr Schaden anrichten." "Und was heißt das jetzt?", fragte sie mit schriller Hysterie in der Stimme. "Ich weiß es nicht okay!", erwiderte er hitzig, "Ich muss darüber nachdenken." "Er verblutet während du hier nachdenkst, es geht hier um..." "Ich weiß worum es hier geht. Von meiner Entscheidung hängt eines der letzten Leben unserer Geschichte ab. Also lass mich jetzt nachdenken!" Sam schien neu ansetzen zu wollen, blieb aber stumm. Sollte die Kugel seinen Knochen erwischt haben, wäre ein Druckverband ein Risiko. Andererseits hat er eindeutig zu viel Blut verloren. David atmete tief ein: "Ich mache den Druckverband. Die Blutung muss in jedem Fall gestoppt werden. Hilf mir."
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last year
Short StoryStille. Undurchdringliche Stille. Niemand bewegte sich und keiner wagte etwas zu sagen, während sie einfach nur zusahen wie es geschah, nicht im Stande es zu begreifen, geschweige denn etwas zu tun. Sie hatten gewusst, dass es geschehen würde, sie h...