Depot

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Heute ist der Tag aller Tage. 

Der Prozess gegen Lio startet und es fühlt sich an, als würde damit die Zukunft aller auf dem Spiel stehen. Ich habe einige Gespräche zwischen seinem Anwalt und Cleo mitbekommen und weiß, dass dieser Prozess nicht einfach wird. Hochschwanger sitzt sie jeden Morgen an dem Tisch in der Gemeinschaftsküche und sucht in den Nachrichten nach etwas, dass ihr Hoffnung gibt. Heute sitzt sie dort nicht allein, sondern wir alle um sie herum. Ben und die anderen können nicht zum Prozess gehen, zu groß ist die Gefahr, dass irgendetwas passiert oder einer von ihnen aufgrund irgendwelcher Beweise verhaftet wird. Die Ungewissheit belastet alle.

"Ich muss um 16 Uhr nochmal los", flüstert Hunter Ben im Vorbeigehen zu. Ben nickt und widmet sich wieder dem Fernseher zu, auf dem gerade ein regionaler Nachrichtensender erklärt, wer Lio Ramirez ist. 

Ich habe nur Bruchstücke seines Flüsterns verstanden und frage mich, ob er die Dealer wieder beliefert. 

Sofort kommt mir Jason in den Kopf.

Ich weiß, dass ich hier sitzen bleiben und Cleos Hand halten sollte, aber ich würde zu gerne wissen, was genau Hunter vor hat. 

Ich werde unruhig und Ben bemerkt es sofort. 

"Ist alles in Ordnung bei dir?", fragt er. Ich nicke, dann schüttle ich den Kopf und er sieht mich fragend an. 

"Ich müsste gleich noch zu Melinda, sie hat mich gefragt, ob ich ihr bei etwas helfen kann, aber..." Ich beende meinen Satz nicht, denn Ben weiß genau, was ich sagen will. Das Melinda mich um Hilfe gebeten hat, ist eine Lüge. Eine Lüge, die mir ziemlich leicht über die Lippen kam und für die ich mich jetzt schon schäme. 

"Es ist ok, ich werde Cem sagen, dass er dich fahren soll", sagt Ben und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. 

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. 

"Cem? Nein, das muss doch nicht sein. Nicht heute, Ben. Es reicht schon, wenn ich gleich gehe. Ich beeile mich und schreibe dir sofort, wenn ich bei Melinda angekommen bin" 

Angestrengt denkt er über diese Möglichkeit nach, doch als er sich erneut in der Runde umblickt, stimmt er zu. 

"Ok, aber du schreibst mir sofort, ansonsten stehe ich vor der Tür" 

"Danke.", sage ich und stehe auf. Ich verabschiede mich von Cleo, die wieder vollstes Verständnis zeigt und küsse Ben zum Abschied.

Als ich die Treppen runtergehe, trifft mich das schlechte Gewissen. Ich hätte da bleiben sollen, stattdessen nutze ich die Situation aus, um mich raus zu schleichen, in der Hoffnung dass ich heute sehe, wie Jason einfach nur Pillen kauft und nicht noch tiefer in diesem Chaos steckt, als Kendra befürchtet. Auf der anderen Seite habe ich es satt. Ich war sechs Wochen lang quasi hier eingeschlossen, konnte nicht zur Schule, hatte fast keinen Kontakt zu meiner Familie, meinen Freunden. Und obwohl ich so tief in diesem Chaos steckte, wurde ich außen vor gelassen. 

Ich lebte zwischen zwei Welten, ohne wirklich zu einer zu gehören. Nicht nur Ben und sein Leben hatten sich verändert, sondern auch meines.

Hunter stieg in den Wagen und ich atmete durch, um mich wieder zu fangen. Ich nahm mir mein Fahrrad, dass eingestaubt am Hauseingang stand und folgte ihm mit einem sicheren Abstand. Er fuhr in ein Industriegebiet, in dem ich noch nie zuvor war. Ein perfekter, abgelegener Platz für was auch immer. 

Wir fuhren 20 Minuten und ich war froh, als er vor einer großen Halle zum Stehen kam. Ich legte mein Fahrrad beiseite und näherte mich langsam. 

Hunter stieg aus und holte eine Tasche aus dem Kofferraum. Er warf seine Zigarette auf den Boden und betrat die Halle. 

Ich beeilte mich, um nichts zu verpassen. Von außen war es unmöglich, zu sehen was sich drinnen abspielte. Ich musste also unauffällig in die Halle gelangen. 

Mein Herz pochte wie verrückt, mein Magen zog sich zusammen. Ich durfte gar nicht groß darüber nachdenken, was ich hier eigentlich tat. 

Als ich eine weitere Tür entdeckte, zog ich vorsichtig am Griff. Sie öffnete sich und ich schlich mich hinein.

Mit genügend Abstand und versteckt hinter einem kaputten Auto, versuche ich zu verstehen, was sich vor mir abspielt. Hunter steht vor zwei Typen, die wild gestikulieren. Doch das ist nicht das, was mich verwirrt, sondern der Typ, der ein paar Meter weiter weg auf einem Stuhl sitzt. Es sieht aus, als wäre er gefesselt und er lässt den Kopf hängen. 

Wer verdammt nochmal ist das? 

Das sieht nicht nach einem Drogenaustausch aus. 

Hunter erwidert etwas, doch ich verstehe kein Wort. Dann drehen sie sich um und ich muss mich zusammenreißen, keinen Laut von mir zu geben. Es sind Jason und Tyler. Jason, Tyler und Hunter stehen vor dem Typen, der sich nicht regt. 

Ich habe das Gefühl zu ersticken und kriege es einfach nicht zusammen. Was geschieht hier?

Als ich mich langsam rückwärts zur Tür schleiche, geschieht das, was natürlich geschehen muss. Ich trete auf eine alte Felge, verliere das Gleichgewicht und lande auf dem Boden. 

Es dauert nicht lange, bis ich höre, wie sich Schritte nähern und ich kneife meine Augen zusammen. Warum, weiß ich auch nicht. 

Als ich sie wieder öffne, stehen Hunter und Jason ungläubig vor mir. Sie senken gerade ihre Waffen. 

"Was zur Hölle machst du hier?!", schnaubt Hunter. 

Jason schaut hinter sich zu Tyler, dann wieder zu mir. Ich antworte ihm nicht, sondern stehe auf und klopfe mir den Dreck ab. Mein Arm blutet, ich muss auf etwas Spitzes gefallen sein, doch ich spüre keinen Schmerz. 

Ich fühle mich wie betäubt. 

"Antworte mir", schreit Hunter und stellt sich vor mich. 

Ich sehe Tyler, der bei dem Typen steht und ebenfalls eine Waffe in der Hand hält. 

Ich versuche Hunter zu fixieren, doch ich sehe alles verschwommen.

Ich muss mich zusammen reißen, nicht umzukippen. 

"Maria, was soll die scheiße?!", schreit Hunter wieder. Diesmal schaltet sich Jason ein. 

"Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Wir müssen sie rausbringen" Er greift meinen Arm und führt mich zur Tür, die anderen beiden folgen. 

Draußen führt er mich zu einer Bank und ich setze mich. Die frische Luft tut gut und ich komme langsam wieder zu mir. Tyler wippt von einem Fuß zum anderen, Jason zündet sich eine Zigarette an und Hunter telefoniert. Ich schaue zwischen den dreien hin und her. 

"Warum bist du hier?", flüstere ich in Tylers Richtung. Er zuckt zusammen und schaut mich schuldig an. Als er ansetzt, um mir zu antworten, mischt sich Hunter ein. Er sieht so wütend aus.

"Nein, du antwortest ihr nicht, weil es sie verdammt nochmal nichts angeht. Ich habe Ben angerufen und er wird gleich hier sein" 

Panik steigt in mir auf. Ich habe alles vermasselt und weiß immer noch nicht, was hier los ist.

"Jason...", sage ich doch Hunter zerrt mich in diesem Moment von der Bank.

Ein Auto kommt um die Ecke gerast. Ich weiß genau, dass es Ben ist.

Er bremst abrupt, steigt aus dem Auto. Er trägt eine Sonnenbrille, sodass ich seine Augen nicht sehen kann - und trotzdem spüre ich die brennende Wut in ihnen. 

Ben läuft zuerst zu Jason und Tyler, sagt etwas und beide nicken. Jason antwortet und Ben gibt ihm darauf die Hand. 

 Dann geht er langsam auf uns zu. Er bleibt einen Meter vor mir stehen, die Hände in den Hosentaschen.

 "Steig ins Auto", sagt er trocken. 

Ich schaue Hunter an, dann gehe ich mit gesenktem Kopf in Richtung Auto. 

Sie sprechen kurz miteinander, dann kommt Ben zum Auto und steigt ein. Ich warte auf eine Reaktion, doch es kommt nichts. 

Er fährt einfach los, ohne mich eines Blickes zu würdigen. 

Als ich es nicht mehr aushalte, schreie ich: "Wie konntest du nur?! Wer ist dieser Typ und wieso sind Jason und Tyler bewaffnet in dieser Halle?"

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt