Verständnis

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Murtagh war von den Fähigkeiten seiner Schülerin positiv überrascht. Ajescha mochte nie bei einem Meister des Schwertes in die Lehre gegangen sein aber sie hat offensichtlich ihr Bestes getan um nicht hilflos zu sein wenn es auf einen Zweikampf hinaus lief. Dorns Reiter war sich sicher, dass sie in ihrer Abgeschiedenheit ihre eigene Möglichkeit zu trainieren entwickelt hatte. Sie hatte sich eine ganz eigene Art angewöhnt das Schwert zu führen und das war ihr Vorteil gegenüber einem Gegner, der Reaktionen gemäß der althergebrachten Techniken erwartete.
Murtaghs erster Impuls war es gewesen seine Schülerin zu korrigieren und sie an einen bekannten Stil heranzuführen. Schließlich hatte er sich jedoch eines Besseren besonnen. Die althergebrachten Techniken waren schließlich auch irgendwann einmal von jemandem entwickelt worden. Es war sicherlich unklug Ajeschas Methode die Klinge zu führen abzulehnen nur weil sie in kein hergebrachtes Muster einzuordnen war. Daher verhielt sich der erfahrene Drachenreiter zunächst passiv um einen Eindruck von den Fähigkeiten seiner Schülerin zu bekommen. Es stellte sich heraus, dass Ajeschas Art zu kämpfen durchaus ihre Vorteile hatte. Gemeinsam gingen sie daran die Schwächen zu korrigieren und die Stärken noch zu verfeinern. Selbst Murtagh konnte sich die eine oder andere Methode einen Schlag zu parieren von seiner Schülerin ab schauen.
Festnahme sich vor Ajescha später zu Fragen wie sie diese Fähigkeiten entwickelt hatte. Sicherlich musste natürliches Talent eine gewisse Rolle gespielt haben.
Im Augenblick jedoch war an ein Gespräch nicht zu denken. Zu tief waren beide Kontrahenten in ihrem Zweikampf versunken.
Gerade besuchte Murtagh nach einem neuen Weg in die Offensive zu gehen als sich der Himmel über ihm plötzlich verändert. Ein Sagenhaftesspektakel aus Farben und Licht erhellte den Himmel auf dem sich bereits das tiefe Blau der heranziehenden Nacht abzeichnete. Fassungslos vor Staunen und Bewunderung betrachtete der ältere von Selenas Söhnen das majestätische Schauspiel. Er war erst gezwungen sich davon los zu reißen als er kalten Stahl an seiner Kehle spürte.
"Man sollte sich nie ablenken lassen nicht wahr Meister?"
Murtagh bedachte Ajeschas Kommentar mit einem offenherzigen Lachen in das die andere Reiterin einstimmte als sie ihre Klinge senkte. Sie hatte es verstanden die Irritation ihres Gegenübers auszunutzen. Beide blickten sie nun zum Himmel.
"Die Lichter des Nordens."
"Du kennst dieses Phänomen?" erkundigte sich Murtagh auf Ajeschas Äußerung hin.
"Ja allerdings. Es ist eines der schönsten Naturschauspiele hier im Norden."
In stiller Übereinkunft entschieden die beiden Drachenreiter, dass weitere Erklärungen warten konnten und versanken in der Bewunderung des einzigartigen Schauspiels. Murtagh ließ seinen Blick durch den Himmel wandern und erkannte das auch Dorn und Lenjara sich auf ihre Weise an den Lichtern erfreuten. In sanften Kurven flogen die beiden Drachen durch den Himmel.
Murtagh konnte nicht widerstehen und streckte seinen Geist nach dem seine Seelenbruders aus. Er wurde nicht enttäuscht. Durch die Augen seines roten Gefährten konnte er die Lichter des Nordens aus einer einzigartigen Perspektive sehen. Plötzlich spürte aber die irgend etwas Dorns Aufmerksamkeit und Belustigung seines Drachens erregte.
Als er erkannte was seinen langwierigen Begleiter so faszinierte musste auch Murtagh leise lachen.
"Was ist denn los?"
Jede andere Schülerin des Ordens hätte ihren Lehrer wohl mit "Meister" angesprochen aber Murtagh und Ajescha waren übereingekommen, dass dies nur bei offiziellen Anlässen zu geschehen hätte. Es war dem dunkelhaarigen Drachenreiter peinlich von einer ihm an Jahren überlegenen Person so respektvoll angesprochen zu werden.
Eigenschaften war damit einverstanden und würde den offiziellen Titel nur vor anderen Ordensmitgliedern oder Fremden benutzen. Gelegentlich tat sie es auch wenn sie einen Scherz machte. Zu Murtaghs Freude kam dies öfter vor als er es befürchtet hatte. Die unglücklichen Umstände unter denen sie alle sich kennen gelernt hatten waren wohl schuld daran gewesen, dass man von Ajescha nur einen zutiefst traurige und von ihrer Schuld erdrückte Person kennen gelernt hatte. Murtagh genoss den neuen Facetten ihres Charakters die mehr und mehr an die Oberfläche drängten.
Schmunzeln drehte er seine Schülerin an den Schultern so, dass auch sie zu einer nahe gelegenen Anhöhe blickte. Vor dem Hintergrund des erleuchteten Himmels zeichneten sich deutlich die Silhouetten von Keanai und Marlena ab. Auch ohne gesteigerte Sehkraft zu besitzen war es ziemlich eindeutig dass die beiden jüngeren Reiter in einem innigen Kuss versunken waren.
Als Murtaghs Blick zu Ajescha wanderte stellte er fest, dass die Augen der anderen Reiterin feucht glänzten. Lenjaras Reiterin bemerkte den Blick ihres Lehrers, wandte sich ihm zu und lächelte.
"Ich freue mich für die beiden. Marlena ist ein liebes Mädchen und ich habe schon bemerkt, dass mein Sohn eine gewisse Schwäche für sie entwickelt hat. Ich bin erleichtert, dass es offenbar auf Gegenseitigkeit beruht."
"Das hat wohl auch mein Bruder schon bemerkt als wir noch in der Ostmark waren." verriet Murtagh der anderen Reiterin. "Er hat mich nämlich gebeten etwas auf seine Tochter aufzupassen. Aus der Tonlage mit der er diesen Wunsch vorgebracht hat bin ich mir ziemlich sicher, dass seine Gedanken in diese Richtung gingen."
Schatten von Zweifel verscheuchen die Gelöstheit und Freude von Ajeschas Gesicht.
"Glaubt ihr das Arget Un Eragon etwas gegen die Liebe der beiden haben könnte?" Ehrliche Sorge schwang in der Stimme von Keanais Mutter mit. "Ich meine, sie ist immerhin die Tochter des Obersten des Ordens und ihre Mutter entstammt dem Hochadel der Elfen."
"Drachenreiter ist der einzige Titel gegen Mitglieder des Ordens führen. Das hat mein Bruder so beschlossen." erklärte Murtagh beruhigend. Wie tief Ajeschas Sorge war zeigte auch, dass sie sofort zu einem förmlicheren Tonfall zurückgefunden hatte. Ihre fröhliche und gelöste Seite war wie ein scheues Reh, das aus dem Wald hinaus späte und hastig den Kopf zurückzuziehen bei jedem falschen Geräusch.
"Ich wollte dich nicht beunruhigen Ajescha." Entschuldigte sich Dorns Reiter. "Wenn mein Bruder wirklich etwas gegen Keanais Gefühle einzuwenden gehabt hätte, dann hätte er wesentlich deutlichere Worte gefunden. Das einzige wo es unter Umständen zu Schwierigkeiten kommen könnte ist, dass Marlena praktisch wie eine Elfe erzogen worden ist. Die Bewohner Du Weldenvardens haben ihre eigenen Traditionen was den Umgang miteinander betrifft und auch wenn es um Lebenspartnerschaften geht."
"Ich weiß. Elfen heiraten soweit ich weiß nicht sondern wählen sich nur Gefährten mit denen sie ihr Leben teilen solange Liebe sie verbindet."
Murtagh nickte.
"Woher weißt du das?"
"Meine Ausbildung mag nie beendet worden sein aber sie wurde begonnen." erklärte die Reiterin bereitwillig. "In der ersten Zeit hatten Novizen des Ordens vornehmlich ihre Schlüpflinge zu betreuen und für deren Wohlergehen zu sorgen. Darüber hinaus vermittelt man ihnen noch wissen wie sie sich gegenüber den anderen Rassen zu verhalten haben. Jeder junge Drachenreiter stand schließlich auf dem Prüfstand wenn es um die anderen Völker geht. Es war also ein ihr alles Thema um zu beginnen und mein erster Lehrmeister Oromis war recht gründlich was das betrifft."
"Dann muss ich also nicht damit rechnen das Keanai nun direkt anfängt eine Hochzeit zu planen oder?"
Lachend schüttelte Ajescha den Kopf.
"Nein! Aber das wäre wohl auch nicht nötig gewesen wenn ich keine Kenntnis um das Volk der Elfen hätte. Unsere Siedlung wurde vornehmlich von Kindern gegründet. Ich war selbst noch ein Kind als wir uns in unserem Tal niederließen. An die meisten Gebräuche der Menschen hatte man uns noch gar nicht herangeführt und deswegen haben wir unsere eigenen entwickelt. Wenn sich zwei Liebende füreinander entscheiden dann gehen sie ihren Lebensweg so lange gemeinsam wie sie es für richtig halten. Man erwartet im Grunde nur dass sich die Partnertreue sind. Mehrere Geliebte zu haben gilt als Vertrauensbruch. Außerdem ist es ungeschriebenes Gesetz, dass sich niemand in die Beziehung von zwei anderen hinein drängt. Es gedauert unschädlich um einen Partner zu werben der sich gegenwärtig in einer Bindung befindet."
Murtagh nickte erleichtert. Das entsprach im Grunde der Art und Weise der Elfen und so beschloss Dorns Reiter seinen Pflichten als besorgter Onkel in aller Stille nachzukommen.
"Es ist nur schade, dass wir Marlena nicht Keanais Vater vorstellen können."
Murtagh Blicke zu Ajescha hinüber und erkannte den Schatten von Trauer auf ihrem Gesicht.
"Was ist geschehen?" erkundigte sich Murtagh vorsichtig.
"Ein Unfall. Im letzten Sommer." erwiderte die Reiterin knapp. "Um unsere Lebensmittelvorräte aufzubessern ist er mit anderen Jägern aus unserem Tal auf das als hinausgegangen um zu fischen. Du musst wissen, im Norden ist so kalt, dass selbst Teile des Meeres zu frieren. Um Fische zu fangen geht man auf das Eis hinaus und schlägt ein Loch hinein. Während des kurzen Sommers ist das allerdings Recht gefährlich. Man kann die Dicke des Eises nicht immer richtig einschätzen. Keanais Vater ist damals eingebrochen und der Schock über das kalte Wasser hat sein Herz dazu gebracht stehenzubleiben. Auch wenn ich dabei gewesen wäre es hätte nichts gegeben was ich hätte tun können. Besonders mein Sohn hat das schwer getroffen. Keanai hat sich damals sogar von mir verschlossen. Natürlich habe ich versucht mit ihm zu reden und ihn zu trösten aber man konnte in seinen Augen sehen, dass sich sein tiefstes inneres nicht wirklich erreicht habe. Damals habe ich deine Entscheidung getroffen in Irucan Ei sehen zu lassen. Ich habe nie wirklich Drachenreiter Prüfungen durchgeführt und nur wenige Mitglieder unserer Gemeinschaft wussten von dem Ei. Unser Tal ist relativ klein und ich habe mir Sorgen gemacht, dass zwei Drachen nicht ausreichend Beute machen können. Außerdem fühlte ich mich der Aufgabe einen anderen Reiter auszubilden nicht gewachsen. Der Mörder auch die Sorge, dass mein Schüler irgendwann beschließen könnte in den Kampf gegen Galbatorix zu ziehen. Er wäre vermutlich gescheitert und mit Sicherheit hätten die Verräter aus ihm herausgeholt wo unser Tal liegt. Aber ich wollte meinem Sohn zeigen wie sehr ich ihm vertraue. Nun, den Rest kann man sich vorstellen."
"In der Tat." Murtagh schmunzelte. "So ein lebhaftes Küken lässt sich nicht so einfach aussperren. Ich nehme mal an Irucan hat Keanai aus der Reserve gelockt."
"In der Tat. Das hat er." Ajescha überlegte einen Moment. "Es ist schwierig sich dem Leben wieder zu öffnen wenn man einen solchen Verlust erlitten hat."
Erneut wanderte Murtaghs Blick von den Lichtern des Nordens zu der anderen Drachenreiterin. Diese blickte ihn an und der dunkelhaarige Reiter erkannte, dass in ihrer Aussage mehr lag als eine bloße Feststellung. Unsicher was er antworten sollte kam Ajescha ihm zuvor:
"Es sind viele kleine Dinge die man vorher mit seinem Partner geteilt hat und die nun so ganz anders sind. Es ist als wäre ein Stück Sicherheit verloren gegangen die man bisher gehabt hat. Man hinterfragt alles."
"Auch was man selbst empfindet oder welche Gefühle man für andere Wesen hat oder entwickelt."
"Ja, das meine ich auch."
Murtagh erkannte viel auf dem Gesicht der anderen Drachenreiterin. Er war sich sicher, dass sie diesen diskreten Weg gewählt hatte ein Thema an zuschneiden dass ihn genau wie sie bewegte. Auch eine unausgesprochene Frage stand Ajescha ins Gesicht geschrieben wenn man auch nicht genau ablesen konnte was sie wissen wollte. Murtagh bemühte sich um eine wahrheitsgemäße Antwort.
"Man ist sich einfach unschlüssig was man empfindet. Man fragt sich ob man nicht vielleicht nur eine Lüge versucht aufzufüllen. Ich finde in einer solchen Situation muss man vorsichtig sein. Auf keine Art und Weise kann man einen Menschen tiefer verletzen als wenn es um sein tiefstes Innerstes geht. Gerade wenn man eine Bindung zu seinem gegenüber spürt sollte man sich denke ich die Zeit geben Wunden heilen zu lassen und abzuwarten bis man Sicherheit zurückgewonnen hat. Ich denke das schuldet man sowohl den lebenden als auch denen die von uns gegangen sind."
Es erleichterte und freute Murtagh als sich ein befreites Lächeln auf Ajeschas Gesicht zeigte.
"Das sehe ich ganz genauso."
Murtagh erwiderte das Lächeln.
"Wenn uns unsere Drachen einst geschenkt haben dann Zeit."
"Ein wertvolles Geschenk, das wir annehmen sollten."
Ajeschas Gesicht war nun ein Spiegelbild dessen was auch Murtagh fühlte. Gegenseitiges Verständnis und Hoffnung für die Zukunft.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt