Von Wahrsagern, Fröschen und Kröten

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Selena war sofort auf den Beinen.
"Wir müssen meinen Onkel informieren! Vielleicht können die Drachenreiter noch etwas unternehmen."
Angela schüttelte nur den Kopf.
"Zu früh. Setzt dich bitte wieder."
"Was heißt hier zu früh. Es soll einen Mord geben! Wir müssen doch....."
"Selena." Angelas Stimme klang nicht wütend oder unhöflich. Es war die Art wie eine Mutter mit einem übereifrigen Kind reden würde. "Bitte setzte dich!."
Selena hatte der natürlichen Autorität in der Stimme ihrer Lehrerin nichts entgegenzusetzen.
"So, nun noch einmal langsam. "sagte die ältere der beiden Frauen. "Es ehrt dich ja Mädchen, dass du Leben unter allen Umständen schützen willst aber es ist der falsche Zeitpunkt um irgend jemanden von dieser Entdeckung zu berichten."
Selena hatte bereits den Mund geöffnet um zu widersprechen doch Angela hob die Hand und fuhr mit ihrer Erklärung fort.
"Bevor du mir Grausamkeit unterstellst denk bitte noch einmal nach. Wir haben uns nicht mit dem Rätsel der Zukunft befasst. Sondern mit der Gegenwart. Was immer dort gerade auf Vroengard geschieht passiert jetzt! Die Drachenreiter sind mächtig aber was glaubst du könnte dein Onkel tun? Wir sind hier praktisch am anderen Ende von Alagaesia. Sicher, er könnte einige Reiter die sich im Moment in Alagaesia aufhalten damit beauftragen die Sache zu untersuchen aber retten könnten diese Reiter niemanden mehr! Außerdem, was sollen sie denn untersuchen? Was wissen wir denn? Das auf einer verlassenen Insel irgend wer irgend wen tötet. Vielleicht hätte dieser irgend wer mehr verdient Rache zu nehmen. Die Fußknochen haben uns diese Tat enthüllt, daher könne davon ausgehen das was immer dort im Norden geschieht der Beginn einer interessanten Entwicklung sein dürfte. Doch wir wissen noch nicht annähernd genug um angemessen zu reagieren."
Etwas resigniert sackte Selena auf ihrem Stuhl zusammen.
"Da hast du wohl recht. Doch es sehr schwierig hier ruhig zu sitzen wenn man weiß das irgendwo vielleicht unschuldige Leben ausgelöscht werden."
Angela betrachtete ihr gegenüber einen Moment und seufzte tief.
"Mädchen, ich weiß nicht ob du bereits so erwachsen bist um zu verstehen was ich dir jetzt sage aber ich will es versuchen. Auch wenn du jetzt vielleicht noch nicht vollständig begreifst merkt dir was ich sage, denn es ist vielleicht die wichtigste Lektion die ich dir über die Natur deines Lebens mit auf den Weg geben kann. Gestorben wird immer! Ich weiß, das klingt grausamen aber es ist eine Tatsache. Versuch die Welt um mich herum wie einen Fluss zu begreifen. Auf diesem Fluss sind Schiffe unterwegs. Diese Schiffe stehen für die einzelnen Lebewesen mit denen Du Kontakt hast. Sag mir Selena Katrinatochter: Ist es möglich, einen Fluss dazu zu bringen dass er plötzlich einen ganz anderen Weg nimmt, vielleicht bergauf fließt?"
Selena schüttelte den Kopf.
"Nein, das ist unmöglich. Wasser kann nicht den Berg hinauf fließen."
"Sehr gut, dass dass du gut erkannt. Ganz haben die Hirnflöhe deinen Verstand offensichtlich nicht verspeist. Erinnere mich daran dir noch etwas über Hirnflöhe beizubringen. Es ist ein sehr interessantes Thema. Aber zurück zu unserem Fluss. Wasser fließt in die Richtung die die Naturgesetze ihm vorgegeben. Das kannst du nicht ändern. Was du tun kannst ist Einfluss nehmen auf die Schiffe die den Fluss befahren. Du kannst ihn eine sichere Reise ermöglichen, ihnen helfen Untiefen zu vermeiden und gelegentlich ihnen ein wenig über den Verlauf des Flusses vor ihnen sagen, damit sie ein paar Klippen umschiffen können."
"Das tust du oder besser gesagt wir wenn wir jemanden die Zukunfts Vorhersagen, oder?"
"Sehr richtig."Bestätigte Angela. "Dies aber bei all den Dingen die du tun kannst niemals, dass du den Verlauf eines Flusses nicht beeinflussen kannst. Das soll heißen, dass bestimmte Dinge geschehen werden, ganz gleich was wir tun. Nimm Galbatorix zum Beispiel. Er war ein Tyrann. Früher oder später war es sicher, dass ihn jemand herausfordern würde. Lange Jahre habe ich mich aber zurückgehalten bevor ich aktiv seinen Untergang vorangetrieben habe. Wieso? Ganz einfach! Ich habe abgewartet bis Kräfte versammelt waren die wirklich eine Chance hatten diesen so genannten König zu besiegen. Hätte ich mein Wissen einfach blind ausgestreut wie man Futter vor die Hühner wirft, hätte ich damit nur unerfreuliche Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Bei allem was wir tun müssen wir unterscheiden ob wir versuchen den Kurs eines Schiffes zu beeinflussen oder die Richtung des Flusses. Das lässt sich hier im Moment noch nicht sagen. Vielleicht werden durch das was dort auf Vroengard geschieht Ereignisse in Gang gesetzt die unvermeidlich sind. Damit meine ich, dass es eine simple Tatsache ist das etwas das schief gehen kann früher oder später unweigerlich auch schief gehen wird. Es ist nicht unsere Aufgabe das Unmögliche zu versuchen und zu verhindern, dass solche Dinge geschehen sondern die Ereignisse so zu beeinflussen, dass nicht die Falschen, nämlich die Unschuldigen, für die allgemeine Dummheit der Völker den Preis bezahlen."
Selena dachte über das, was ihrer Lehrerin der gesagt hatte nach. Die Wahrheit hinter den Worten ließ sich nicht bestreiten.
"Ich verstehe was du meinst Angela aber es gefällt mir nicht besonders. Ist es da nicht völlig sinnlos zu versuchen irgend etwas aufzubauen? Wenn man deiner Logik folgt ist es doch unvermeidlich, dass was mühevolle errichtet wird irgendwann über einen zusammen stürzt. "
"Das ist die bittere Wahrheit dieser Welt Kind. Alles hat einen Anfang, einen Aufstieg, erreicht einen Höhepunkt, dem dann ein Abstieg folgt und schließlich endete es. So ist es mit allen Dingen. Aber deswegen ist es nicht sinnlos was wir tun. Nicht jeder Abstieg muss Elend und Chaos bedeuten. Für Dinge mag dieser Kreislauf gelten aber wir können einen Fluss auf die Wesen nehmen Sie sich in diesem Kreislauf befinden. Leid ersparen und Leben retten. Denke immer daran: Der Schlusspunkt eines Kreises ist immer der Beginn eines Neuen. Und darauf wie schmerzlich oder gefährlich ein Wandel wird, darauf können wir sehr wohl Einfluss nehmen."
Selena nickte verstehend.
"Aber woher weiß man wie, und wann man eingreift. Wie bestimmt man welche Hilfe gerade vonnöten ist? Zum Beispiel, wann ist es richtig jemanden Teile seiner Zukunft zu offenbaren wie du es bei meinem Onkel getan hast?"
Angela begann schreiend zu lachen und vollführte, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte eine hilflose Geste mit beiden Händen.
"Erfahrung Mädchen, einzig und allein durch Erfahrung. Glaubst Du ich habe in der Vergangenheit nie Fehler gemacht? Habe nie die falsche Vorgehensweise gewählt? Hast Du schon mal etwas von der Halle der Wahrsagerin gehört?"
Angelas Frage überraschte ihre Schülerin. Während sie darüber nachdachte erhob sich die Kräuterfrau, und lehnte sich während sie die Gräfin aus dem Palancartals beobachtete mit dem Rücken eines der voll gestopft mit Regale die in ihrem Laden standen.
Selena überlegte noch einen Augenblick und dachte an das, was sie über den großen Krieg gelernt hatte.
"Dort hat Galbatorix Gefangene gefoltert die er brechen wollte. Früher einmal soll das das Heiligtum einer Frau gewesen sein, die durch geheimnisvolle Gase aus der Erde die Zukunftsvorhersagen konnte."
"Lass dir von mir gesagt sein Mädchen, mit irgendwelchen Gasen hatte die Fähigkeit dieser Frau die Zukunft vorher zusagen nichts zu tun."
Selena Blicke ihrer Lehrerin mit großen Augen an.
"Du warst diese Wahrsagerin?"
Angela setzt ein übertriebenes Lächeln auf und vollführte einen Hofknicks.
"Zu deinen Diensten. Übrigens, das einzig Gute an dieser Idee war es, dass ich niemandem erzählt habe, dass meine Vorhersagen von meinen Drachen- Fußknochen kamen und nicht von irgend einem Gas. Diese kleine Lüge habe ich in die Welt gesetzt, weil schon damals die wichtigen politischen Entscheidungen dort getroffen wurden wo heute Ilirea liegt. Indem ich irgendetwas von Gasen erzählt habe konnte ich mich an diesen Knotenpunkt niederlassen. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass mir jemand meine Knochen stiehlt. Drachen-Fußknochen wachsen nicht an Bäumen weist du. Damals wollte ich mit meinen Fähigkeiten einfach möglichst vielen Leuten helfen. Ich gebe auch zu, dass sich teilweise aus Trotz gehandelt habe. Mein Lehrer, Tenga, der versucht das gleiche zu erklären was ich dir heute offenbart habe. Dass man am besten im Hintergrund bleibt. Im richtigen Moment die richtigen Fäden zieht um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Das war mir zu wenig. Ich hatte den Wunsch mehr zu tun. Erst schien das auch eine gute Sache zu sein. Könige, Priester und Führer aus ganz Alagaesia haben mich um Ratschläge gebeten. Das ich einen Fehler gemacht hatte wurde mir erst klar als eines Tages jemand zu mir kam und fragte sie Morgen das Wetter wird weiter mit seiner Familie ein Picknick machen will."
Selena konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
"Gut dass Du darüber lachen kannst." schmunzelte Angela doch eine sehr bittere Note lag in ihren Gesichtszügen. "Kennst du aber auch das Problem was mir damals deutlich geworden ist? Die Leute kamen mit jedem Dreck zu mir. Warum ein Risiko eingehen? Warum selbst nachdenken? Wir haben ja die Wahrsagerin! Bloß nicht riskieren einen Fehler zu machen. Ich sage die Mädchen hätte ich noch eine Woche gewartet, wären bei mir jemand auf gekreuzt und hätte mich gefragt den rechten Stiefel wirklich am rechten Fuß tragen soll! So etwas passiert, wenn du zu viel tust! Die Leute begeben sich, ohne es zu wollen, in eine Abhängigkeit von dir. Wenn du versuchst jeden, durch sein Leben zu tragen wirst du zusammenbrechen. Es ist besser eine Position einzunehmen Kummer die Leute auffangen kann wenn sie fallen. Ich hoffe du verstehst was ich meine."
"Ich denke schon. Aber ignorieren können wir nicht was da auf Vroengard geschieht oder?"
"Natürlich nicht Selena. Ich werde einige meiner Quellen anzapfen und dir beibringen wie du das tun kannst. Früher oder später werden wir deinem Onkel einen Schups in die richtige Richtung geben aber erst wenn wir sicher sind dass es zum richtigen Zeitpunkt geschieht."
Düstere Gedanken drängten sich in Selenas Geist. Eine Frage sprang er auf die Lippen doch sie war sich nicht sicher ob sie die Antwort wirklich hören wollte.
"Wie kann man ruhig bleiben und abwarten wenn man weiß, dass Menschen oder andere Wesen sterben diesem Grunde nicht verdient haben? Es ist doch furchtbar zu wissen, dass dort auf Vroengard jemand stirbt und nichts tun zu können."
Mit vor der Brust verschränkten Armen kehrte Angela an den Tisch zurück und lächelte.
"Das ist der schwerste Teil unserer Existenz Mädchen."
Selena hatte das Gefühl, dass ihre Lehrerin noch mehr sagen wollte, doch in diesem Augenblick geschah etwas. Die junge Frau konnte es nicht wirklich benennen. Es war nichts zu hören, nichts zu sehen und auf der Karte die immer noch ausgebreitet auf dem Tisch lag hatte sich nichts verändert. Selena war sich nur völlig sicher, dass die Rune, die auf der Karte an der Stelle lag von Vroengard eingezeichnet war und Tod prophezeite dort nichts mehr zu suchen hatte.
Vorsichtig schreckte sie ihre Finger nach dem kleinen Knochenstück aus. Kurz bevor sie es berührte suchte sie Blickkontakt mit Angela. Diese nickte nur.
Als Selena den Knochen berührte um ihn von der Insel fort zu schieben durchzuckte sie eine unbekannte Kraft. Bilder stürmten auf sie ein! Geräusche! Gerüche! Der Klang von berechnenden Holzbalken, Schreie, überall Schreie. Das Bild einer aufblitzen in Meisterklinge. Sie hörte die Brandung des Meeres und sah Wellen, die von blutrot gefärbtes Wasser an einen ihr unbekannten Strand spülten.
So plötzlich wie die Visionen über Selena hereingebrochen waren verschwanden die Bilder auch wieder aus ihren Geist. Sie überfluteten nicht mehr das Bewusstsein der jungen Frau sondern sich lediglich in ihrer Erinnerung eingebrannt.
"Es ist vorbei." sagte Angela schließlich in mitfühlendem Tonfall und verstaute das Knochenstück, welches Selena berührt hatte wieder in seinem Lederbeutel.
Junge Adlige aus dem Palancartals war immer noch atemlos und völlig gefangen von den Schrecken der über sie hereingebrochen war.
"Wie kann man das aushalten? Wie kann man nicht den Verstand verlieren wenn man weiß, dass solcher Schrecken sich ereignet und man abwarten muss und nichts tun kann?"
Eine einzige Träne die über Selenas Wange ran begleitete die geflüsterten Worte der jungen Frau. Angela lächelte mitfühlend.
"Indem du dein Geist beschäftigt hälst Mädchen. Stell dir eine Aufgabe, eine Frage die nichts mit dem Problem zu tun hat um die du dich kümmern musst. Das hält einen davon ab zu viel zu grübeln. Du könntest dich zum Beispiel Fragen ob nicht alle Kröten eigentlich Frösche sind und sich selbst etwas zu wichtig nehmen."

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt