0,25

42 4 1
                                    


______________________

Ich kämpfte mit dem Verlangen die Fliege von meinem Hemd zu reißen und sie in dem kleinem Springbrunnen neben mir zu ertränken. Da ich aber Harry zuliebe hier war und er auf diese Geste bestanden hatte, ließ ich das schwarze Samtungeheuer an meinem weißen Hemd haften.

Ich bin kein Freund von Hochzeiten, Verlobungen oder Taufen. Diese Vornehmlichkeiten liegen mir nicht.

Hochzeiten mag ich besonders nicht. Nicht, weil ich dem glücklichem Brautpaar das Eheglück nicht gönnen würde, sondern wegen der spitzen Bemerkungen über mein Singledasein. Kaum hatte ich auch nur an diese nervtötenden Gespräche gedacht, tauchte hinter mir ein altes Tantchen auf, dass mich listig musterte.

«Harry ruft nach Ihnen, Nate. Er will das Büfett nicht ohne Ihren Rat anrichten», erklärte sie und packte mich am Ärmel.
Ich glaubte in ihr eine Großtante von Harry zu erkennen, aber da sein Stammbaum eine ganze Wand in dem Kaminsaals seines Vaters einnahm, konnte ich mich auch sehr wohl irren. Ich fragte mich, ob sie die Wand jetzt erweitern würden, da Helen's Stammbaum mindestens genauso reich an (entfernten) Verwandten war.

Die alte Dame zog mich erbarmungslos durch die Grüppchen von den Gästen und ich wurde andauernd von Leuten begrüßt, die ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte. Scheinbar erlangte ich als Harry's bester Freund automatisch einen gewissen Grad an Berühmtheit unter den Anwesenden.

Als wir an dem großen Tisch, an dem das Brautpaar und die besonderen Gäste, sozusagen die VIP's, Platz nehmen sollten, war kein Harry in Sicht. Mich erwartete nur ein weiteres Grüppchen von alten Damen, die mich bereits aus der Ferne gesehen hatten und mir nun fröhlich zuwinkten.

«Wo genau ist Harry?», fragte ich unsicher und kratzte mich verlegen an der Wange.

Ich fühlte mich, als junger Mensch, nicht wirklich wohl inmitten von lauter alter Damen.

«Der Bräutigam will noch irgendwas mit dem Caterer klären. Es gab wohl nicht genug Salatblätter auf den Häppchen», klärte mich eine alte Frau mit einer dieser typischen Wolkenfrisuren, die mich durch den pinken Schimmer an Zuckerwatte erinnerte, auf.

«Ja, ja, der Bräutigam», kicherte eine andere, ziemlich füllige, Großmutter.

Plötzlich kamen mir die glänzenden Spitzen meiner Schuhe äußerst interessant vor.

«Was ist denn mit Ihnen, Nate?», fragte mich die listige Oma, «Wollen sie nicht auch bald vor den Traualtar gehen? Die Zeit läuft ja bereits»

«Wieso kümmert sich Harry eigentlich jetzt schon um das Büfett? Es fand doch noch nicht mal die Trauung statt.», spekulierte ich.

«Haben sie denn eine Freundin, Nate?», mischte sich nun eine große hagere Dame ein, die mich neugierig anschaute.

«Verzeihen sie mir meine Ausdrucksweise, aber mit 19 hab ich noch genug Zeit, um mir ne heiße Braut zu angeln.»

«Also mit 19, da war ich ja schon verheiratet!», rief eine andere Großmutter.

«Das war ja auch im vorletzten Jahrhundert», murmelte ich und versuchte mich zu beherrschen.

Zum Glück tauchte plötzlich Harry auf und zerrte mich in die Kapelle.
Wieso werde ich heute wie so ein Plüschtier durch die Gegend gezogen?, fragte ich mich und versuchte mit Harry Schritt zu halten.

«Helen kriegt gleich die Krise, wenn wir nicht augenblicklich mit der Trauung beginnen!», zischte er und holte aus seiner Sakkotasche ein weißes Tüchlein raus mit dem er sich die Stirn abtupfte.
Der Typ war 26! Ein reicher Schnösel vielleicht, aber kein alter Sack!

«Harry? Ist dieses Tuch grade dein Ernst?»
«Nate! Halt's Maul und schwing deinen Arsch in die Kapelle!»

Ich lachte auf und betrat das große steinerne Gebäude.
Es war arschkalt und jeder meiner Schritte echote durch das gesamte Gebäude.
Die besten Plätze, also die in der hintersten Reihe, waren bereits besetzt und so landete ich zwischen der Zuckerwatteoma und einem übergewichtigen Glatzkopf direkt vor dem Geschehen, das wiederum heißt in der vordersten Reihe.
Ich lauschte den Gesprächen der Gäste und stellte fest, dass ich nie im Leben in Harry's Umgebung passen werde.
Es gab Georges, Elizabeths und lauter anderer reichklingender Namen, die man mit Herzogen und Königen assoziieren kann.

Bei Nate kommt den meisten nur der blauäugige Schönling aus Gossip Girl in den Kopf.

Harry war zwar mein bester Freund, aber diese Veranstaltung war für mich bloß ermüdend.
Irgendein Typ im Frack klimperte auf der Orgel rum, die übrigens die halbe Wand in Beschlag nahm.
Dann begann die festliche Zeremonie. Die Braut schritt langsam voran und wurde von fünf Brautjungfern begleitet.

Und genau da wurde ich stutzig.

Harry hatte mir erzählt, dass Helen's Brautjungfer Nummer 5 sich das Bein gebrochen hatte und Helen sich deshalb nur mit vier Mädchen beglücken musste. Das Mädchen, das als fünfte die Letzte in der Reihe war, hatte ein geblümtes Kleid an und schritt barfuß über den ausgerollten roten Teppich, auf den Helen bestanden hatte. In den Händen hielt sie einen Stoffbeutel aus dem sie Gänseblümchen schöpfte und diese dann hinter sich warf.
Harry war wohl zu sehr von Helen's Schönheit geblendet, denn er schenkte dem Mädchen absolut keine Beachtung. Helen war zu sehr auf die Regelmäßigkeit ihrer Trippelschritte konzentriert, also bemerkte auch sie den ungebetenen Gast nicht. Ich hörte einige Gäste tuscheln, aber letztendlich schienen alle ihre Anwesenheit auszublenden und alles auf das Weingläschen von vorhin zu schieben.
Ich aber konnte meine Augen nicht von ihr lassen.
Sie kam mir so beruhigend vor. Sie war nicht so aufgemotzt wie Helen und hatte auch keine Perlen, die die Größe eines Baseballs besaßen, an ihren Ohrläppchen hängen. Ihr Kleid war kurz und hatte ein Muster aus kleinen Blümchen. Die Haare trug sie offen und sie verdeckten auch ihr Gesicht, aber sie faszinierte mich trotzdem.
Irgendein kleiner Mann hielt eine rührende Rede vor den Gästen und es kam einige Schluchzer aus dem Publikum, wie ich es nannte.
Ich starrte die ganze Zeit das Blumenmädchen an und konnte meinen Blick erst von ihr lösen, als ich plötzlich Menschen «Küssen! Küssen!» rufen hörte.
Harry's Kameraden aus der Collegezeit hatten sich erhoben und verliehen ihren Worten mit lautem Klatschen Nachdruck.
Meine Sitznachbarn straften die Clique mit wütenden Blicken.
Alle schienen zu wissen, dass man die Kapelle jetzt zu verlassen hatte und schoben sich nach Draußen. Ich ließ mich von der Menge, die auf den Ausgang zuströmte, mitziehen.
Das Blumenmädchen verschwand aus meinem Blickfeld und ich wurde ungewollt unruhig.
Erst als ich bereits Draußen war und mich etwas von der Kapelle entfernt hatte, entdeckte ich sie am anderen Ende des Grundstückes.
Ich sah sie noch in dem großen Park hinter der Kapelle verschwinden, als ich von Harry abgefangen wurde.
«Wenn du kleines Luder deinen Arsch nicht sofort hinter die Festtafel schwingst, werde ich dich direkt hier umbringen!», fauchte er.
«Harry, das ist ein Ort Gottes hier!»
«Super! Dann kann sich dein Geist sofort zu ihm gesellen»

Kein Wort über das Mädchen, lieber Nate.
_________________________________________

The Flower GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt