Eine Träne, so golden wie das wallende, lange Haar, rann ihre Wange hinab und tropfte auf den hölzernen Boden des Palastes.
„Hör auf", flüsterte er nur wenige Schritte entfernt. Seine Stimme war brüchig; das Blau in seinen Augen schimmerte wässrig. Er wollte seine wunderschöne Frau nicht weinen sehen.
Eine zweite Träne kullerte die Wange hinab und hinterließ eine Spur auf dem weißen Gewand. Eine dritte. Eine vierte. Schließlich brach ein Schwall an Tränen aus ihren warmen, braunen Augen, und sie verbarg beschämt ihr Gesicht hinter den zaghaften Händen, deren Innenflächen keine Sekunde später feucht waren.
„Hör schon auf", widerholte er noch einmal, doch er wusste, dass sie nicht aufhören würde. Die Worte, die er sagte, machten die Situation nicht besser, auch, wenn er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass seine Worte reichen könnten, um ihre Tränen zu stoppen.
Eine Weile lang blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Frau schweigend weinen zu sehen. Ihr Schluchzen war herzzerreißend und so verzweifelt, dass auch ihm seine Trauer zu einer schweren Last wurde. Doch auch, wenn er und sie allein in dem großen, leeren Saal standen, so würde er nicht weinen können.
Dann schließlich löste sie die Hände von ihrem Gesicht und die warmen, braunen Augen fixierten ihn. Er konnte nicht beschreiben, wie unglaublich wehleidig ihre Blicke zu spüren waren; er machte einen Schritt auf sie zu und war daran, seine Hand nach ihrer Wange auszustrecken, um die nassen Augen zu trocken, doch noch ehe er sie auch nur berühren konnte, drehte sie sich weg und ließ ihr Haar wie einen Vorhang vor ihr Gesicht fallen.
„Du kannst nichts dafür", murmelte er und seufzte tief. Er wusste nicht, was er noch tun sollte. Der Fluch wollte nicht wieder vergehen; ein Fluch, der die beiden verband, aber trotzdem auseinanderhielt. Ein Fluch, der aus Liebe entstand, diese Liebe dann aber doch verbannte.
„Es ist meine Schuld", flüsterte er, „bitte, hör doch auf, dich schlecht zu fühlen. Es war meine Schuld. Nicht deine. Du kannst nichts dafür". Er vernahm ein Schniefen ihrerseits: „Ich enttäusche dich". Sie sprach so leise, dass er kaum die Worte hörte, die ihren Mund verließen, und dennoch verstand er sie so deutlich. Sie sagte diese Worte jeden Abend, wenn sie alleine waren. Und immer waren sie so voller Trauer und Verzweiflung.
Auch, wenn seine Frau ihn nicht anblickte, so spürte er ihre Blicke, die ihn sagen wollten, er solle sie einfach vergessen. Doch er konnte sie nicht vergessen. Nicht mehr nach all dem, was geschehen war. Er wollte sie unmöglich noch einmal verlieren.
Er machte einen Schritt auf sie zu.
Sie zuckte zusammen, als er eine ihrer Haarsträhnen zwischen seine Finger gleiten ließ und sanft durch sie fuhr. Noch während seiner Bewegung spürte er, wie seine Fingerkuppen mit einer goldenen Schicht überzogen wurden.
„Bitte", flehte sie und strich sich die Haare zurück.
Die untergehende Sonne tauchte sie in ein rötliches Licht, was ihre goldenen Haare und ihre weiche Haut noch mehr zum Glänzen und Schimmern brachte. Er selbst sah neben ihr nicht einmal hübsch aus. Sein rotes Haar und der lange Bart wirkten fade, die Haut schien wie abgenutzt und die Augen leer.
„Es ist mir egal, was passiert", flüsterte er und strich ihr abermals durchs Haar. Wieder verwandelten sich seine Fingerspitzen in goldene Kuppen, doch er wollte sich nicht von einem Fluch davon abhalten lassen, seine Frau wenigstens in den Arm zu nehmen.
Vorsichtig legte er seine Arme um ihre Taille. Seine Arme begannen golden zu schimmern, jedoch nicht, sich in Gold zu verwandeln. Es war nur eine dünne Schicht, die sich über seine Haut legte, und auch, wenn er dies für immer behalten würde, war es ihm das Wert.
„Bitte", flehte sie erneut und wieder löste sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel, „i-ich will dich nicht verletzen".
„Du verletzt mich nicht", versicherte er und blickte ihr so tief in die Augen wie noch nie. Es hieß, ihre Blicke würden genügen, um etwas zu Gold zu machen. Er hingegen sah in diesen wunderschönen Augen nur seine wunderschöne Frau, die sich, wie er, nichts sehnlicher wünschte, als einmal in seinen Armen zu liegen.
Eine Zeit lang standen sie so da. Seine Haut glänzte immer stärker, und er fühlte seine inneren Organe schwer werden, doch nichts in den neun Welten hätten ihn daran hindern können, sie in den Armen zu halten, auch, wenn das hieß, dass er krank werden könnte.
„Ich liebe dich", hauchte er ihr entgegen und gerade, als die Sonne hinter den Türmen des Palastes verschwand, und die dunkle Nacht das Himmelszelt regierte, ließ er für einen kurzen Moment seine Lippen auf ihre fallen.
Es war das erste Mal seit Jahrhunderten, dass er sie küsste – und er schwor sich, dass es niemals bei diesem einen Mal bleiben würde.
Bitte, habt kein falsches Bild von Thor. Die Geschichte handelt NICHT von dem Thor aus dem MCU. Es ist der mythologisch-korrekte Gott (siehe Cover) und auch die mythologisch-korrekte Sif. Nichts gegen die Avengers, aber... die richtige Mythologie ist ein bisschen anders.
Nun, das war der OneShot - positives / negatives / neutrales Feedback erwünscht! (Und nein, ich möchte KEIN Kommentar von Marvel-Fans haben, die sich beschweren. I don't mean the Marvel-Thor!!!)
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Golden Touch
Short StoryHinter den Toren Bilskinirs, Thors Palast, lebt der Gott des Gewitters gemeinsam mit seiner Frau Sif. Und auch, wenn die nordischen Götter die Ehe ernst nehmen (nicht so, wie gewisse Griechen), können die beiden ihre Ehe nicht genießen. Denn Sif is...