Kapitel Neunundzwanzig

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»Hm...«, machte Satumar und überlegte einen Moment, bevor er antwortete: »Vielleicht liegt es daran, dass du nicht weißt, wie es deinen Eltern geht, was du beim Schloss vorfinden wirst. Oder einfach nur daran, weil du deine Eltern vermisst hast.«

Zustimmend nickte ich. Gerade bei den ersten beiden Punkten hatte er Recht. Ich hatte Angst davor, was mich dort erwarten würde.

Sanft nahm Satumar meine Hand in seine und drückte sie kurz, während er mich beruhigend anlächelte. Es fiel mir etwas schwer dieses zu erwidern, doch schaffte ich es einen Moment später. Ich spürte, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen, spürte, wie sich die kleinen Fältchen an meinen Augen bildeten, als ich die Augen zusammen kniff, war aber gleichzeitig nicht dabei. Es fühlte sich so an, als würde ich zwei Personen sehen und nicht so, als sei ich eine dieser beiden Personen. Ich stand vollkommen neben mir, spürte nichts mehr, fühlte mich, als würde ich in der Luft schweben, frei von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Mein Körper war stehen geblieben, was auch Satumar dazu gebracht hatte stehen zu bleiben. Wie durch Watte hörte ich seine Stimme.

Ramura? Was ist los? Du bist so blass? Geht es dir nicht gut?

Er klang besorgt. Mit schief gelegtem Kopf beobachtete ich, wie er meinen Körper sanft schüttelte, doch als ich nicht reagierte gab er seufzend auf. Frustriert fuhr er sich durch seine Haare.

Was ist los?, fragte er erneut und ich versuchte zu antworten, doch das einzige, was rauskam, war ein lautloser Schrei. Was war nur los? Wieso fühlte ich mich wie ein Beobachter?

Plötzlich sackte mein Körper zusammen und Satumar fing mich gerade noch so auf, bevor ich unsanft auf den Boden fiel. Gewaltsam wurde ich in meinen Körper zurück gezogen und alles wurde schwarz um mich herum.

Langsam öffnete ich meine Augen. Schmerzhaft drückte ein Stein in meine Seite und unter Stöhnen versuchte ich mich aufzurichten, um den Stein weg zu legen, doch ich wurde sanft wieder auf den Boden gedrückt. Über mich gebeugt stand Satumar und sah mich, mit Erleichterung im Gesicht, an.

»Du bist wieder wach«, rief er aus und strich mir sanft über meine Wange.

Langsam nickte ich, was Kopfschmerzen verursachte. Stöhnend hielt ich mir mit einer Hand den Kopf, während ich mir erneut versuchte aufzurichten. Diesmal hielt mich Satumar nicht davon ab, sondern half mir.

»Was war denn vorhin los?«, wollte Satumar wissen, doch ich hatte keine Antwort darauf.

»Ich weiß es nicht«, flüsterte ich deshalb wahrheitsgemäß. »Es fühlte sich erst so an, als würde ich neben mir selbst stehen. Ich konnte sehen, wie ich stehen geblieben war und du mich dann besorgt angesehen hattest. Dann fiel ich in Ohnmacht und den Rest kennst du«, erklärte ich.

Nachdenklich nickte Satumar. Sein Blick huschte über mein Gesicht, schien etwas zu suchen.

»Wie fühlst du dich?«, fragte er dann auch und nahm mich nun vollständig in Augenschein.

»Müde und kraftlos«, murmelte ich leise.

»Wollen wir dann eine kurze Pause machen und du ruhst dich aus?«, schlug er vor und ich nickte bestätigend.

»Was ist mit dir?«, fragte ich dann.

»Ich werde auf dich aufpassen«, meinte er nur und stand auf, nicht ohne mir noch einen letzten Blick zugeworfen zu haben.

»Bist du nicht auch müde?«, wollte ich wissen, doch er schüttelte den Kopf.

»Geht schon«, murmelte er, aber ich hatte die Müdigkeit rausgehört.

Einen Moment sah ich ihn noch fragend an, doch er hatte sich schon abgewandt und sah in den Wald hinein. Sein Blick wanderte über die Bäume, die um uns herum standen, fing jedes noch so kleine Rascheln ein, obwohl er auch müde war. Dankbar legte ich mich erneut auf den unebenen Untergrund, suchte eine bequeme Position und schloss die Augen. Leise hörte ich Satumars Schritte auf dem Waldboden, als er anfing um mich herum zu wandern. Der gleichmäßige Klang seiner Schritte lullte mich ein und schon bald schlief ich tief und fest.

Ein lauter Schrei zerriss die Stille. Erschrocken drehte ich mich um, doch alles um mich herum war dunkel, bis plötzlich ein Blitz die Schwärze vertrieb, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ich stand auf einer Brüstung, unter mir standen Soldaten in Reih und Glied. Der Verursacher des Schreies kam gerade auf dem Boden auf, als es wieder dunkel wurde. Helle Punkte tanzten vor meinen Augen. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich etwas unter mir zu erkennen, doch es war zu weit weg und zu dunkel.

Donner ertönte und gleichzeitig setzte der Regen ein. Große Tropfen prasselten auf mich nieder, ließen meine Sicht noch mehr verschwimmen. Erneut durchzuckte ein heller Blitz die Nacht und erhellte kurz den Hof. Die Bogenschützen hatten sich aufgestellt und zielten in die Nacht hinein, doch bevor sie ihre erste Salve los schießen konnten, prallten gegnerische Soldaten auf unsere Reihen. Der Klang von Stahl auf Stahl erklang in der erneuten Dunkelheit. Leises Sirren verriet mir, dass die Bogenschützen ihre Pfeile haben fliegen lassen und kurz darauf ertönten schmerzvolle Schreie. Doch ich hatte keinen Mitleid mit den Soldaten. Sie waren in unser Land eingedrungen.

Meine Hände ballten sich zu Fäusten und in mir kam der Drang auf, dort hin zu laufen und den Soldaten beizustehen oder sogar selbst zu kämpfen. Aber mir war klar, dass ich spätestens unten von den Kommandanten abgefangen werden würde und dann zu meinem Vater gebracht werden würde. Wenn es nach ihm ginge, stünde ich nicht einmal hier, sondern würde sicher im Thronsaal sitzen und Däumchen drehen, während unsere Krieger für uns starben.

Immer lauter wurden die Schreie. Es schien, als lieferten sie sich einen Wettstreit mit dem Klirren der aufeinandernprallenden Klingen. Lauter Donner übertönte kurz die Schreie und ließ mich zusammenzucken. Langsam öffnete ich meine schmerzenden Hände und strich sanft über die Brüstung. Kalt fühlte sich der raue Stein unter meinen nassen Fingern an. Eine Gänsehaut hatte sich an meinen Armen gebildet und ließ mich kurz frösteln, meine nassen Haare hingen an mir herunter, fielen mir teilweise sogar ins Gesicht, doch ich strich sie nicht zur Seite.

»Prinzessin Ramura?«, riss mich eine Stimme aus den Gedanken.

Langsam drehte ich mich zu dem Sprecher um. Ein Schatten löste sich aus der Dunkelheit und kam auf mich zu.

»Dein Vater bat mich dir zu sagen, dass du rein gehen sollst«, murmelte der Mann leise.

Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich wollte hier bleiben.

»Ich bleibe hier«, antwortete ich dann auch.

Ich wandte mich ab und sah wieder auf das Schlachtfeld unter mir, auch wenn ich nichts erkennen konnte.

Plötzlich fühlte ich etwas spitzes, kaltes an meinem Rücken.

»Drehe niemals jemandem den Rücken zu, den du nicht kennst«, schalt mich der Mann hinter mir.

Die Klinge bohrte sich unangenehmen zwischen meine Schulterblätter, doch ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und lief mir mein Gesicht hinab. Immer stärker drückte der Stahl an meinem Rücken.

»Willst du gar nichts sagen?«, schnurrte der Mann.

»Was willst du denn hören?« fauchte ich. »Soll ich nach Hilfe schreien, obwohl ich weiß, dass mich niemand hören kann?«

»Eigentlich hatte ich mit einem Flehen nach Gnade gerechnet«, meinte er.

»Das kannst du vergessen«, knurrte ich wütend. Soll er mich doch hier und jetzt umbringen. Dann sterbe ich wenigstens mit Würde.

Als könnte der Mann meine Gedanken lesen, erhöhte sich der Druck auf meinen Rücken.

Der rote MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt