»Educating the mind without educating the heart is no educating at all.«
- Aristoteles
An sich ist es nichts verwerfliches, in einer Bibliothek zu sitzen und Bücher zu lesen, denn dafür sind sie ja schließlich da. Aber dieser Junge Mann zog dann doch meine Aufmerksamkeit auf sich, denn er kam in den letzten Wochen so gut wie jeden Tag hierher und jedes Mal war es das gleiche Spiel, ich konnte praktisch die Uhr danach stellen: Er stand eine Weile vor einem Regal, schien angestrengt zu überlegen und trat dann und wann näher ran, um wohl besser sehen zu können. Dann nahm er sich eines der Bücher und setzte sich an einen der vielen Tische, bevor er anfing, zu lesen.
Bücher waren schon immer meine Leidenschaft, denn nichts hatte so viel Macht, wie das geschriebene Wort und nichts konnte größere, fantasievollere Welten erschaffen, als die fantastischen Geschichten, talentierter Autoren. Aber bei dem Mann mit dem dunklen, silbernen Haar war etwas anders. Er las nicht drauf los und versank in einer Geschichte. Nein. Auch das war immer gleich: Eine Zeit lang las er immer wieder auf der ersten Seite und blätterte nur ganz selten mal eine Seite weiter, bevor er das Buch wieder zu schlug, seufzte und es wieder wegstellte.
Chronologisch sortiert, stellte ich die Buchreihe über Meeresbiologie wieder ins Regal. Es war kurz vor Schluss und ich freute mich darauf, nach Hause zu gehen und mich mit einem warmen Kakao auf die Couch zu setzen. Natürlich mit einem guten Buch und ein paar Keksen. Allerdings ertönte das kleine Glöckchen über der Tür, das ich dort angebracht hatte, um mitzubekommen wenn jemand die Bibliothek betrat, da ich oft zwischen den Regalen verschwunden war, um die Bücher zu sortieren.
Da war er wieder.
Er stand unschlüssig vor der Tür und sah sich kurz um, bevor er tief durchatmete und zielstrebig auf das Regal mit den Büchern über innere Medizin zuging. War er ein Student? Oder interessierten ihn die menschlichen Organe einfach so sehr? Ich wusste es nicht und sollte wohl auch nicht großartig darüber nachdenken, denn eigentlich ging mich das ja gar nichts an. Aber dieser junge Mann hatte etwas an sich, was es mir schwer machte, ihn nicht anzusehen. Nicht etwas. Ich wusste nämlich ganz genau, was es war.
Fast schon engelsgleiche Gesichtszüge und eine Ausstrahlung, die es beinahe unmöglich machte, ihn nicht zu bemerken. Nur leider zierte eine gequält Mimik sein Gesicht und ich fragte mich, was es war, das ihn so schauen ließ. Er sah sich um und sein Blick blieb an mir hängen. Sofort machte er große Augen und drehte sich um, um den Raum wieder zu verlassen, aber diesmal wollte ich ihn nicht einfach so gehen lassen. Also räusperte ich mich und sagte laut: „Warte!“, was ihn in seiner Bewegung sofort inne halten ließ.
Großartig darüber nachgedacht, was ich nun sagen sollte, hatte ich aber nicht, weshalb wir beide erstmal einige Momente dastanden und die Stille sich um uns herum ausbreitete. Ich war Ruhe gewohnt, immerhin war es eine Bibliothek und es herrschte nie das Geräusch, angeregter Gespräche, aber in diesem Moment war mir die Ruhe zum ersten Mal wirklich unangenehm. „Brauchst du Hilfe?“, fragte ich dann aber schließlich, um überhaupt irgendwas zu sagen und nachdem mir einfiel, dass genau das mein Job war: Bücher einsortieren und den Menschen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
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Conceal ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ᵒˢ ✓
Fanfiction❝Learning is the only thing the mind never exhausts, never fears and never regrets.❞ Wir verstecken uns gern vor der Wahrheit, weil uns die Dinge peinlich sind, die wir nicht können. Und irgendwann werden wir so gut darin, dass es uns selbst gar nic...