Der Retter sah hinunter in die Augen des Jungen, der vor ihm auf dem Tisch lag und ihn anstarrte. Er wusste nicht, ob der Junge ihn tatsächlich ansah. Vermutlich starrte er in die Leere, in Nichts, da der Schmerz ihn stärker blendete, als die Petroleumlampen an der Decke des Raumes. Der Retter hätte den Jungen gerne gefragt, was dieser sah, aber er war sich bewusst, dass er genauso gut beten konnte und dieselbe Stille erwarten konnte.
Die Stille, die er schon immer gekannt hatte.
Er wurde sich bewusst wie naiv und lächerlich das klang und fokussierte sich wieder auf seine Arbeit. Die rostigen Ketten, die den Jungen auf den Metalltisch fesselten, waren der einzige Klang, der den Raum füllte und die Totenstille unterband. Der Retter schloss die Augen, doch das Pochen, das hinter seiner Schläfe beständig puckerte, blieb. Die Schreie, die zehn Minuten zuvor den Raum gefüllt hatten, klangen noch immer in seinen Ohren nach. Das Puckern schmerzte mehr.
Jetzt war alles still und ihm gefiel das gar nicht. Es erinnerte ihn an die Stille, die er Tag für Tag erlebte seit er klein war. Seine Mutter hatte ihn damals schon verlassen. Er griff mit der Hand hinter sich nach dem kleinen Tischchen, das mit Rollen versehen war um es durch den Raum zu bewegen. Er griff ins Leere und beim Umdrehen riss sein Ellenbogen die silberne Schüssel auf dem Tisch mit und sie landete scheppernd auf dem Boden. Er bückte sich um die schmutzigen Utensilien, die herausgefallen waren, aufzuheben und schnitt sich dabei in den Finger. Er zuckte nicht einmal zusammen. Seine Gedanken waren wieder vom Weg abgekommen und seine Konzentration ließ nach.
Hure.
Er hatte lange nicht an sie gedacht. Sie war Schuld an Allem. Sie hatte ihn verlassen und er wurde in die Klinik gesteckt. Er fluchte erneut bevor seine Gedanken von einem Keuchen unterbrochen wurde, dem ein röchelndes Husten folgte. Der Retter fuhr herum und sah wie der Junge sich aufm dem Metalltisch aufbäumte und Geräusche wie ein Schwein machte.
STILL!
Die Kopfschmerzen waren so schlimm wie nie. Der Junge verschwamm vor seinen Augen und jetzt wusste er, dass dieser sterben würde. Die Ursache konnte Blutverlust sein. Genauso gut war ein Organversagen möglich, doch der Retter vermutete einen mentalen Zusammenbruch. Er war selbst oft genug dort gewesen und erkannte die Symptome wieder. Schmerzen konnten einen verändern und je stärker und regelmäßiger sie einen treffen, desto tödlicher sind sie.
Als der Retter diesmal nach dem Rolltisch griff, landete seine Hand nicht daneben. Das Fleischermesser verfehlte sein Ziel nicht. Der Junge starrte erneut in das grelle Licht der Petroleumlampen, aber diesmal sahen sie nichts mehr.
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Theo
Misteri / ThrillerTheo lebt ein seiner Meinung nach tristes und bedeutungsloses Leben. Das ändert sich jedoch als es im Wald vermehrt zu Morden kommt und Theo mitgerissen wird.