Es ist noch warm draußen, obwohl es schon bald auf Mitternacht zugeht. Aber in Süditalien ist das keine Seltenheit. Barfuß trete ich auf die geflieste Terrasse und balanciere das Tablett mit den drei Gläsern und den Snacks in Richtung Tisch, wo die beiden Jungs auf mich warten. „Danke, Cat“, nimmt Marco das Tablett entgegen und stellt es ab. Ich lasse mich auf den Stuhl neben ihn fallen. „Cheers, Jungs!“ Ich will gerade trinken, da klingelt mein Handy. Schnell hebe ich ab. „Hey Cat!“ „Dad! Wie geht's euch?“ „Siehst du, sie kann noch Englisch“, höre ich gedämpft eine entnervte Pepper. „Hi Pepper! Jammert er noch immer?“ Sie schnaubt. „Er schmollt wie ein kleines Kind.“ „In zwei Jahren bin ich wieder für längere Zeit bei euch. Aber nett zu hören, dass ich vermisst werde, Dad.“ „Vielleicht von Pepper, aber sicher nicht von mir.“ „Na klar, Dad. Also, was gibt's?“ „Ist Peter gerade da?“ „Ja, Marco auch.“ „Schalt mal bitte auf Lautsprecher.“ Etwas verwirrt tue ich wie geheißen. „Hallo Peter, Hey Schwiegersohn!“ Genervt schüttele ich den Kopf. Marco küsst mich auf die Wange und beugt sich nach vorne, um besser hören zu können. „Peter, wann kommst du zurück nach New York, oder bleibst du auch noch zwei Jahre der Heimat fern wie mein eigenes Fleisch und Blut?“ Ich verdrehte die Augen. „Anfang Juni bin ich wieder da“, antwortet Peter, der seit einer Woche bei uns Urlaub macht. Marco und ich bewohnen das Ferienhaus, das sein Onkel normalerweise an Touristen vermietet. Wir zahlen eine kleine Miete und arbeiten zusätzlich in seinem Gastronomiebetrieb mit.
„Na immerhin etwas. Hört mal, wir haben was zu verkünden.“ Ich höre ihn tief Luft holen. „Caitlin, du wirst große Schwester.“ Überrascht sehe ich auf. „Wirklich? Herzlichen Glückwunsch! Wann ist es soweit?“ „Dezember“, antwortet Pepper. „Wir hoffen, ihr zwei kommt uns dann besuchen.“ „Auf jeden Fall!“, versichere ich ihr. Marco nickt zustimmend.
„Peter?“ Der Angesprochene blickt auf. „Was hältst du davon, Patenonkel zu werden?“
„Du hättest ihn vorwarnen können“, schimpfe ich kichernd zwei Stunden später, als die Jungs vor dem Fernseher sitzen. „Ich dachte schon, er wird ohnmächtig.“ „Er hat das wirklich nicht erwartet, hm?“ „Du hast ihm auch keine Zeit gelassen, sich auf so etwas einzustellen. Aber wahrscheinlich hätte er das trotzdem nie im Leben erwartet.“ Tony seufzt. „Normalerweise sollte ich ja froh sein, dass mein Ego nicht auf euch zwei abgefärbt hat, aber ein bisschen was hättet ihr schon abkriegen können.“ „Dazu sind wir noch nicht lange genug in deiner Obhut“, erwidere ich grinsend. „Du hast noch gut vierzig Jahre Zeit, uns negativ zu beeinflussen.“ „Nur mehr vierzig Jahre? Cat, sobald wirst du noch nichts erben.“ „Bald bin ich nicht mehr Alleinerbin“, erinnere ich ihn. „Wie sieht es eigentlich mit Namen aus?“ „Pepper hat da so einen Onkel Morgan, und den Namen fanden wir nicht so schlecht.“ „Morgan Stark“, murmle ich. „Hört sich gut an.“ „Das beste dran ist ja, dass es ein Name für beide Geschlechter ist. Wir können schon Karten für Freunde und Verwandte vordrucken lassen.“ „Ich weiß nicht, bei dir und Karten habe ich immer ein schlechtes Gefühl“, stichle ich. „Ich habe ja noch vierzig Jahre Zeit, zum Superdad zu werden.“ Für einen Moment herrscht Stille. „Was macht die abgedrehte Gedankenkontrolle?“, fragt er schließlich. „Wenn ich ehrlich bin, das habe ich ziemlich verdrängt.“ Im Gegensatz zu meinen telekinetischen Fähigkeiten, die schon so sehr ein Teil von mir sind, dass ich sie pro Tag mindestens ein paar Mal nutze, lasse ich meine Gabe zur Telepathie regelrecht verkümmern. Ich hasse den Gedanken, dass ich einfach in die Köpfe mancher Menschen hineinschauen, ihre Gedanken durchwühlen und ihre dunkelsten Geheimnisse ans Tageslicht zerren könnte. „Normalerweise bin ich ein Fan davon, alle gegebenen Mittel zu nutzen, aber ich bin Stolz darauf, dass du dich so edelmütig benimmt, auch wenn ich dir das sicher nicht vererbt habe. Apropos erben, was ist eigentlich mit deiner Mutter?“ „Wir haben sie für Juli eingeladen. Ich denke, eine andere Umgebung wird ihr gut tun.“
Ein angenehmes Schweigen herrscht zwischen uns. Ich vermisse ihn und Pepper natürlich, immerhin liegen mehr als 7000 Kilometer Entfernung zwischen uns. „Das heißt, ich sehe dich spätestens im Dezember wieder“, beendet er die Stille nach einer Weile. „Allerspätestens. Gebt uns rechtzeitig Bescheid, dann kommen wir, sobald wir können.“ „Steve, Clint und Nat lassen übrigens Grüße ausrichten. Unser Altersdurchschnitt ist ziemlich gestiegen, seit Peter und du in Italien seid.“ „Peter bekommt ihr ja bald zurück“, vertröste ich ihn. „Und ich freue mich schon auf das Wiedersehen im Dezember.“ „Okay. Mach's gut, Cat.“ „Gute Nacht, Dad.“
Nachdenklich starre ich in die trockenen Sträucher neben der Terrasse. Mein Leben ist weit weg davon, normal zu sein. Aber wer will schon normal sein?
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Superhero's Child
Novela JuvenilDas Leben einer Achtzehnjährigen ist schwer, wenn die Mutter drogensüchtig ist und man den eigenen Vater nur aus den Medien kennt. Irgendwann reißt Caitlin der Geduldsfaden und sie beschließt kurzer Hand, zu ihrem Vater zu ziehen. Doch das ist nicht...