Skyla
Ich hätte kotzen können.
Hier und jetzt, direkt vor meine Füße auf den Holzboden der Schulcafeteria - oder noch besser - direkt in diese ekelerregende braun-grau gefärbte Suppe vor mir auf dem Tablett, die gefährlich oft über den grellen, orangenen Tellerrand zu schwappen drohte. Dieser Tag war eine einzige Katastrophe und dass ich es schaffte mich derartig zu beherrschen, grenzte an ein biologisches Wunder. Ich hätte nämlich allen Grund gehabt einen Anfall hinzulegen, der sich für meine Nerven durchaus gelohnt hätte. Obwohl ich mich vom heutigen Montag an noch exakt drei Wochen bis zu den nächsten freien Tagen in der Schule quälen lassen musste, riss mein Geduldsfaden täglich einen Millimeter weiter ein, sodass ich befürchtete noch vor Ende der drei Wochen zu platzen.Ich entschied mich für den Moment jedoch dagegen, einen Aufstand in der Cafeteria zu provozieren, denn erstens hätte mir kein Anwesender die Haare gehalten und zweitens hatte ich Hunger und wollte es nicht riskieren auch diesen trostlosen Teller voller Suppe an das Universum abzugeben und meinem Magen vorzuenthalten.
Ich seufzte genervt und damit Nate, die neben mir lief, auch ja merkte wie angepisst ich gerade war, kniff ich zusätzlich noch die Augen zusammen und presste meine Kiefermuskeln so stark aufeinander, dass meine Zähne knirschten.
Autsch, jetzt hatte ich mir doch tatsächlich auf die Zunge gebissen. Genervt griff ich mir mit einer Hand an die Backe, um etwas Wärme in meinen Mundraum entstehen zu lassen.Diese dumme Ziege. Sie schien nicht mal zu bemerken, dass mein ganzer Ärger einzig und alleine ihr galt und nicht der Abmahnung, die ich vor ein paar Stunden unserem sicherlich schon über sechzig jährigen Hausmeister Mr. Sanchez kassierte, weil er mich aus Versehen dabei erwischte, wie ich mich zwischen den super quadratisch geschnitten und symmetrisch arrangierten Kugelahorn-Bäumen auf dem Schulgelände herumgeschlichen habe, weil ich meinen Schlüssel verloren hatte.
In Nates kleiner rosa Glitzerwelt drehten sich ihre Gedanken wahrscheinlich ausschließlich um perfekt manikürte Fingernägel und Boots, dessen mörderische Blockabsätze ich dazu benutzen könnte die ganze Schule inklusive Sporthalle klein zu hämmern.
Ach ja, und selbstverständlich dachte sie darüber nach, wie sie mir die nächsten Wochen weiterhin das Leben zur Hölle machen konnte. Mein liebes Cousinchen Natalie und ich führten unseren privaten Kleinkrieg nämlich schon seit ich denken kann. So etwas wie Waffenstillstand existierte nur ein einziges Mal, und zwar auf der Beerdigung meiner Eltern vor zwei Jahren. Und das auch nur, weil Familienliebling Natalie ihren Ruf als zutiefst trauernde Nichte nicht kaputt machen wollte und sich deshalb rührend um mich und Leo kümmerte, während die Polizei dabei war, herauszufinden wer so ein Interesse an dem Tod meiner Eltern gehabt haben könnte. Natürlich trauerte Natalie auch irgendwie auf ihre Weise, doch ihre und meine Mom hatten trotz des gemeinsamen Lofts kein besonders gutes Verhältnis, sodass Nate der Tod ihrer Tante und dem angeheirateten Onkel nur bedingt betrübte.
Das grelle weiß der Deckenlampen blendetet plötzlich meine Augen. Beinahe hätte ich vergessen warum ich mich heute überhaupt so aufregte und mein Puls garantiert noch keine Werte unter Hundert angenommen hatte. Aber Nate würde schon sehen was sie davon hatte. Dieses Miststück sollte bloß nicht denken, dass ich ihren Rachefeldzug -wie sie ihre Aktion selbst bezeichnete- auch nur im Geringsten tolerierte oder gar befürwortete. Im Gegenteil, Natalie Brown hatte es diesmal eindeutig zu weit getrieben.
„Wenn du mich nochmal bei einem Vortrag hängen lässt, stopfe ich dir mit deiner eigenen Lidschattenpalette das Maul. Nur damit wir uns nicht falsch verstehen.", zischte ich in ihre Richtung.
„Ach Skyla. Du musst noch viel lernen. Das Leben dreht sich eben nicht nur um Schule oder Unterricht." Sie zog angewidert eine Grimasse, während sie mich weiterhin mit ihrer nervtötend säuselnde Stimme quälte. „Es kommt nun mal nicht jeder Morgen ein Hottie wie Josh Murray auf mich zu und nimmt seine unglaubliche Chance wahr, mit mir in den Umkleideräumen zu verschwinden um in den Genuss dieser entzückenden Lippen" -sie leckte die mit der Zunge über den rosa geschminkten Mund- „und diesen Körpers zu kommen", meinte sie und machte eine Schau-wie-geil-ich-aussehe-Geste mit ihren Armen. Zufrieden breitete sich ein selbstgefälliges Grinsen aus ihrem Gesicht aus. Mir kam fast mein nicht vorhandener Mageninhalt hoch.
Natalie Brown hatte hier niemanden zu verarschen, ganz einfach. Nicht mich und auch niemand anderen. Nicht mal der hässliche und ökologisch garantiert nicht abbaubaren Chai-Latte-Becher in ihrer Hand verdiente auch nur einen abschätzigen Blick ihrerseits.
Mühsam versuchte ich nun mein Tablett auf einer Handfläche zu balancieren, was gar nicht so einfach war, da das Glas Wasser auf der rechten Seite meiner Suppe für ein ungünstiges Gleichgewicht sorgte und mein Ziel leider erst der Tisch ganz am Ende der riesigen Halle war. Zu allem Überfluss rutschte das schwarzes Lederarmband zum verrückt werden stark von meinem Handgelenk und forderte mich auf den letzten zwanzig Metern dermaßen heraus, sodass ich in einer Tablett-Manövrier-Meisterschaft locker den ersten Platz gemacht hätte.
Ich musste wahrscheinlich aussehen als würde ich jeden Moment pinkeln müssen und in Anbetracht der Tatsache, dass Spielzeugbarbie Nate neben mir, aufgetakelt und mit perfekt gestyltem blonden Haar wie immer, ihren Chai Latte in der linken Hand lässig stolzierend zu unserem Tisch transportierte, fühlte ich mich plötzlich ein klein wenig minderwertig. Was machte ich nur falsch in meinem Leben?
„Morgen ihr Süßen.", begrüßte Nate Leo und seinen Kumpel Jaden, als wir nach gefühlten Stunden endlich an unserem Stammtisch ankamen. Dabei verzog sie angesäuert den Mund, als würde sie den Anwesenden schon jetzt klar machen mit welchem Abschaum sie sich hier blicken lassen musste. Jaden war vermutlich der einzige, der uns noch nicht auf seine Todesliste gesetzt hatte und neben den ganzen anderen Jungs auf der Schule auch der einzige, der seine Abneigung gegen Nates Stimme mit mir teilte.
„Hey Nate.", grüßte mein Bruder höflich zurück. Er war in der wunderbaren Position offiziell als neutrale Person zwischen uns zu fungieren, doch wenn es hart auf hart kam, konnte ich auf ihn zählen. „Hey Prinzessin. Wie war der Unterricht?", fragte er mich, während ich es mir auf einem der Holzstühle neben ihm bequem machte. Ich starrte auf Warrens ehemaligen Platz und war mir sicher, dass er wohl noch das letzte Stück paniertes Etwas ergattert hätte und nicht mit einem Teller voller Drecksbrühe enden musste. Sofern er denn noch leben würde. Er hätte mir vermutlich ein verschmitzten Grinsen zugeworfen, sodass ich ebenfalls versucht hätte, nett zu gucken, bevor ich Leo seine Frage beantwortete. „Nichts Besonderes, wie immer." Angesichts meiner fortschreitenden schlechten Laune war ich nicht besonders in der Stimmung mich zu unterhalten, schon gar nicht über den vergangenen Morgen, weshalb ich mit einer erzwungenen Augen-zu-und-durch-Einstellung den ersten Löffel meiner Suppe kostete. Zum kotzen. Wie meine Stimmung.
Mein Innerstes wollte das Essen so schnell wie möglich hinter sich bringen, da ich die restliche Zeit der Pause dringend zur Vorbereitung des nächsten Vokabeltests brauchte. Leo schien das zu verstehen und ließ mich in Ruhe und widmete sich einem Gespräch mit Jaden über irgendeine Party des Golfclubs, in dem die beiden spielten.
Etwas machte mir allerdings einen Strich durch die Rechnung. Oder besser gesagt Jemand.
Auf einmal ging ein Raunen durch die Tischreihen. Sämtliche Gespräche wurden eingestellt, mögliches Besteck beiseite gelegt und dutzenden Köpfe drehten sich in Richtung der Flügeltür, die sich vor Sekunden geöffnet hatte. Herein trat ein Wunder der Natur, eine Kopie des Calvin Klein Unterwäsche Models von Seite Zwei eines Fashion Magazins, ein perfekt proportionierter Körper steckte in noch perfekteren ausgewählten Kleidungsstücken. Schwarze Sneaker, dazu schwarze, zerrissene Jeans, ein weißes T-Shirt und eine blaue, ebenfalls zerfetzte Jeansjacke bedeckten die muskulösen Schultern des Kickboxers.
Jonah White. Beliebt. Heiß. Selbstsicher.
Und steinreich.Das sagten zumindest neunzig Prozent der Mädchen auf der Schule wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, ihm auf ihre Schuhe sabbernd hinterher zu gaffen. Ich hingegen fand ihn total langweilig.
Er war einer von der ganz schlimmen Sorte. Einer, der jeden Monat mit einem neuen schicken Wagen auf den Parkplatz gefahren kam. Einer, der mit seinem lässigen Style nicht nur sämtliche Mädchen vor Herzklopfen, sondern auch die gesamte männliche Spezies vor Neid erblassen ließ. Und er war einer, der alle anderen Jungs in den Schatten stellte -und das einzig und allein an der Art wie er seine Haare gelte. Er war berechenbar, wie Warren immer sagte.
Und obwohl ich tief in meinem Innersten spürte, dass es mich rein gar nicht zu interessieren hatte, was ihn in die Cafeteria verschlug, war ich doch ein klein wenig neugierig, warum er mit solchen bestimmenden Schritten direkt auf unseren Tisch zukam.
DU LIEST GERADE
Black and White ||
Teen Fiction„Herein trat ein Wunder der Natur, eine Kopie des Calvin Klein Unterwäsche Models von Seite Zwei des Fashion Magazins, ein perfekt proportionierter Körper steckte in noch perfekteren ausgewählten Kleidungsstücken.Schwarze Sneaker, dazu schwarze, zer...