Morgen

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Eragon massierte müde seinen Nasenrücken. Was er soeben aus Tronjheim erfahren hatte war alles andere als positiv. Der Tod des von Burod gefangenen Magiers stellte einen bedeutenden Rückschlag für die Ermittlungen dar, die der Orden gegenwärtig vorantrieb. Es waren ohnehin kaum Fortschritte in dieser Sache zu erkennen. Sicher, man wusste dass es in den Reihen des Zwergenvolkes eine Art dunkle Sekte gab. Das war im Grunde nicht weiter verwunderlich. Praktisch jedes Volk war in seiner religiösen Geschichte auch auf Abwege geraten. Allerdings ging Eragon nicht aus dem Kopf, dass Angela es gewesen war die ihm den Namen Marantera genannt hatte. Seine alte Freundin gab ihr Wissen nicht ohne Grund weiter.
Im Augenblick, so musste sich der Anführer der Reiter eingestehen, gab es allerdings recht wenig was er unternehmen konnte. Burod war mit Sicherheit der kompetentese Reiter um in dieser Sache weiter zu ermitteln und der Zwerg hatte ihm mit großer Entschlossenheit versichert, seine Untersuchungen weiterzuführen. Er würde beim Küchenpersonal ansetzen. Irgendwie mussten die Haare ihren Weg in die Suppe des Häftlings gefunden haben.
"Haare in der Suppe"
Dieser Gedanke entlockte Eragon ein müdes Lächeln. Niemals hätte er hinter diesem harmlosen Ausspruch einer Mordmethode vermutet.
Die Nachrichten aus Tronjheim waren aber nicht das einzige, was an diesem Tag die Nerven von Saphiras Reiter auf die Probe gestellt hatte.
Begonnen hatte der Tag im Grunde recht viel versprechend. Narie hatte ihn kontaktiert und die mitgeteilt, dass sie sicher im Norden angekommen war und das erste Treffen mit ihrem neuen Schüler und seinen Drachen Irucan recht positiv verlaufen war.
Auch hatte Aryas Cousine mit dem Anführer des Ordens die Möglichkeit erwogen einen Kanal zu errichten damit die Menschen im Norden in Handelsbeziehungen mit dem Rest von Alagaesia treten konnten. Der Plan klang durchaus ansprechend und Eragon kam nicht umhin einen gewissen Stolz zu empfinden, dass seine Tochter die Urheberin war.
Er hatte Narie das Versprechen gegeben die Sache baldmöglichst mit dem Ältestenrat zu diskutieren.
Von da an war es allerdings abwärts gegangen. Es waren keine großen, weltbewegenden Probleme gewesen sie aufgetaucht waren. Es war schlicht und ergreifend einer dieser Tage geworden, an denen nichts so ablief wie man es am Morgen geplant hatte. Jede der Störungen allein war im Grunde eine Bagatelle aber wenn sie alle gemeinsam auftraten waren sie wie Sand in einem Getriebe.
Eragon kannte solche Tage noch aus seiner Kindheit in Carvahall. Gemeinsam mit Garrow und Roran hatten sie besprochen welches Tagewerk zu verrichten war und abgeschätzt wie lange sie ungefähr brauchen würden um die einzelnen Aufgaben zu erfüllen. Vielfältig waren die Dinge gewesen dies zu tun gab. Das Feld für die Aussaat vorbereiten indem man Steine und Unkraut entfernte. Einige Zäune waren zu reparieren und natürlich die Tiere zu versorgen.
Es gab Tage an denen lief die Arbeit flüssig wie man es sich vorgestellt hatte und wiederum welche an denen jeder Schritt zu misslingen schien. An solchen Tagen brauchte man doppelt so lange um das Feld vorzubereiten weil es mehr Steine als Erde zu geben schien. Der Versuch den Zaun zu reparieren verzögerte sich weil die normalerweise standsicheren Nagelkiste sich entschloss ihren Inhalt auf dem Boden zu verteilen und als man dann endlich zur eigentlichen Reparatur übergehen konnte traf man mit dem ersten Hammerschlag präzise den eigenen Daumen. Den krönenden Abschluss bildete dann das Füttern der Hühner. Aus irgend einem, unerfindlichen Grund betrachtete der Hahn das Füttern der Hennen offenbar als etwas anstößiges und versuchte seine Hoheit über den eigenen Harem dadurch zu verteidigen, dass er zwar nicht in die Hand aber in das Gesäß des Menschen biss, der ihn fütterte.
Ähnlich war der heutige Tag abgelaufen.
Zwei junge Urgals die zu Reitern berufen worden waren hatten eine Vorliebe für eine weibliche Gehörnter entwickelt die bereits zu den fortgeschrittenen Schülern gehörte. In dem Versuch sich der angebeteten als würdig zu erweisen war der Schwertkampfunterricht zu einer Schlacht von epischen Ausmaßen geworden bei der es einige gebrochene Knochen gegeben hatte. Im Anschluss waren die beiden verliebten Schüler zum Geschichtsunterricht gegangen und hatten ihre Duell auf verbaler Ebene fortsetzen wollen. Jede Gelegenheit hatten die beiden ergriffen einen Streit zu beginnen was dem Ablauf des Unterricht nicht gerade förderlich war.
Eragon hatte schließlich eingestehen müssen, dass er in diesem Kampf der unterlegene war und den Unterricht beenden müssen bevor das eigentliche Pensum erreicht war.
An seinen Tomatenpflanzen hatte der Anführer der Reiter Blattläuse festgestellt was zur Folge gehabt hatte, dass sein Rückzug in sein "Heiligtum" nicht den entspannenden Ablauf gehabt hatte den Eragon sich erhofft hatte.
Verdient gehabt hätte Saphiras Reiter diese Entspannung auf jeden Fall. Er hatte drei Stunden in einer Diskussion mit den Offizieren der Garde des Ordens verbracht. Einige wollten das Schnittmuster der Uniformen überdenken während andere nicht mit der Tradition brechen wollten. Eragon hatte versucht dezent darauf hinzuweisen dass es bei einer Uniformen für Soldaten weniger auf ein gelungenes äußeres Erscheinungsbild ankam sondern auf Funktionalität in Kampfsituationen. Es war bei dem Versuch geblieben.
In seinem Arbeitszimmer hatte Eragon der die Nachrichten aus Tronjheim erhalten.
Nun atmete der Anführer der Reiter tief durch und trat an sein Bücherregal. Solche Tage hatte es immer gegeben und würde es wohl auch immer geben. Sich darüber aufzuregen war eine Verschwendung von Zeit und Energie.
Eragon musste lächeln als sein Blick auf ein Buch fiel, dass stets einen Ehrenplatz auf seinem Regal ein nahm. Es handelte sich um jene Kopie von Domina abr Wyrda die er während des großen Krieges von Jeod geschenkt bekommen hatte. Eragon zog es hervor und strich fast liebevoll über den Einband. Anschließend blätterte er gedankenverloren die Seiten durch. Erinnerungen an den ehemaligen Händler und Freund Broms stiegen in ihm auf. Er vermisste den alten Gelehrten. Zwar war der Mann eines natürlichen Todes in hohem Alter gestorben aber dennoch! Die Bibliothek der Stadt Esterni nach ihm zu benennen war der Versuch gewesen alle Zeiten klarzumachen, dass auch Jeod seinen Teil dazu beigetragen hatte den Orden wieder erstarkten zu lassen.
Eragon schob das Buch ins Regal zurück und versuchte auch die Trauer die emfand hinter sich zu lassen. Um dieses Vorhaben voranzutreiben zog er ein Album hervor indem er auf Wunschbildern dem bisherigen Lebensweg seiner Tochter verewigt hatte.
Mit diesen sehr persönlichen Werk in der Hand ließ sich Eragon auf einem bequemen Sofa nieder welches gemeinsam mit einem kleinen Tisch und zwei Sesseln eine Sitzgruppe in seinem Arbeitszimmer bildete an dem auf vertrauter Ebene mit Besuchern und Bittstellern eine Unterredung geführt werden konnte.
Bereits die erste Abbildung ließ das Lächeln auf die Züge des Anführers der Reiter zurückkehren. Es zeigte Arya wie sie noch im Wochenbett lag und gerade Marlena im Arm hielt. Vor dem Fenster erkannte man Saphira, wie neugierig hereinspähte und Fíernen des offenbar als seine Pflicht ansah gut auf seine Reiterin aufzupassen.
Auf diesem Bild war ein perfekter Augenblick eingefangen der alles zeigte was Eragons Leben mit Wärme und Sinn erfüllte. Sanft strich Eragon über die Abbildung. Fast hatte er das Gefühl, dass etwas von Frieden und der Harmonie dieses Augenblicks von dem Bild her zu ihm aufstieg.
Das nächste Bild ließ Eragons Lächeln noch in die Breite wachsen. Es stellte Marlena der wie sie mit einem stolzen "Dada" auf den Lippen zu ihrem Vater aufblickte. Er erinnerte sich genau wann dieses Bild entstanden war. Es war ein Moment der sich und außer schlich in die Erinnerungen von Saphiras Reiter eingebrannt hatte. An jenem Tag damals hatte er sich gerade darauf vorbereitet gemeinsam mit Ismira und Cale, damals noch junge Schüler des Ordens, zur Stadt der Toten aufzubrechen. Genau vor seiner Abreise war es seinem kleinen Stern gelungen die ersten selbstständigen Schritte zu machen und auf diesem Bild präsentierte das kleine Mädchen ihre neue Fähigkeit für die Ewigkeit.
Eragon blätterte weiter und erlebte in Erinnerung noch einmal den Segen den Marlena erhalten hatte als sie die Elfen besuchten und schließlich musste der Anführer der Reiter sogar leise lachen als er einen weiteren bedeutungsvollen Moment erneut erlebte.
Das Bild, das ihn so aufbereitete zeigte Marlena im Alter von fünf Jahren. Ein lebenslustiges kleines Mädchen mit wilden, zerzausten Haaren dass ich mit zwei Drachenkücken im Belauern übte.
Marlena hatte es sich in den Kopf gesetzt den Schlüpfling zu beweisen, dass auch sie als Zweibeinerin in diesem Sport eine Meisterin sein konnte. Auf Händen und Füßen stand sie den beiden Jungdrachen gegenüber und hatte ihre Lippen zu etwas verzogen, was wohl ein Knurren sein sollte. Zur allgemeinen Überraschung war Marlena recht begabt in dieser Disziplin. Die Schlüpfling hatten sich fast jedes mal überraschen lassen und sich bei Saphira beschwert, dass es doch unmöglich wäre dieses Spiel mit einem Zweibeiner zu spielen. Wie sollte man denn bitte die Drohungen richtig interpretieren wenn kein Rauch aus der Nase stieg und kein Schwanz verdächtig zuckte?
Saphira hatte diesen Protest mit der ihr eigenen Autorität im Keim erstickt. Sie sah darin vielmehr eine hervorragende Möglichkeit für die Schlüpfling das Verhalten von Zweibeinern besser verstehen zu lernen. So wurde es bald zur Ehrensache für jeden Schlüpfling, den Versuch zu machen die junge Halbling im Belauern zu schlagen.
Gerade als Eragon weiter blätterte stieg in der würzige Geruch von Tannennadeln in die Nase und zärtlich legten sich zwar Arme um seine Schultern. Arya war hinter ihn getreten und betrachtete das derzeitige Wunschbild über die Schulter ihres Gefährten. Es zeigte sie und Marlena während sie gemeinsam den Rimgar absolvierten. Großer Gleichklang und Harmonie ging von dem Bild aus.
"Ein Fairith den es ohne dich wohl nicht gegeben hätte Eragon." flüsterte sie leise.
Eragon wusste worauf die Elfe anspielte. Aus diesem Bild war Marlena gerade 14 Sommer eilt und in dieser Phase war das Verhältnis zu ihrer Mutter nicht immer einfach gewesen. Auf hatte er zwischen den beiden vermitteln müssen und letztlich war es ihm immer gelungen Verständnis zwischen Mutter und Tochter zu sähen.
Eragon löste eine Hand von dem Album und strich über Aryas Unterarm der sich etwa auf Höhe seiner Brust befand. Sein Kopf lehnte er an ihre Schläfe.
"Es war kein einfacher Tag für dich oder?" erkundigte sich Arya nach einigen Augenblicken der Harmonie.
"Nein. Du hast auch schon von den Vorgängen in Tronjheim gehört."
Eragon spürte wie Arya nickte.
"Du hast es Saphira erzählt, sie hat es an Fiernen weitergegeben und er an mich."
"Hast du einen Vorschlag, wie wir weiter verfahren sollten?"
Arya schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie:
"Sprich mit Angela. Ich weiß, dass sie nur zögerlich Informationen preisgibt aber sie tut es wenn es neue Entwicklungen gibt und sie es für richtig erachtet."
Eragon dachte einen Augenblick nach und nickte dann.
"Du hast Recht. So können wir zumindest ergründen und sich die Lage verschärft hat und es wird uns vielleicht einen Anstoß in eine neue Richtung geben."
"Sprich morgen mit ihr."
Etwas in Aryas Stimme brachte Eragon dazu sich umzudrehen so dass das Gesicht der schönen Elfe direkt vor seinem schwebte. Der Ausdruck auf ihren Zügen verriet nichts allein der besondere Glanz im smaragdgrüne Ozean von Aryas Augen verriet Eragon, dass er sich nicht getäuscht hatte.
"Morgen?" erkundigte er sich leise.
"Morgen!" war das letzte Geflüstertewort bevor die Lippen der beiden Gefährten zu einem leidenschaftlichen Kuss miteinander verschmolzen.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt