2. Februar 2013
Wie üblich ging ich alleine zurück zur Bastian. Eher torkelte ich und versuchte nicht, hinzufallen. Schwankend und kichernd lief ich die Straße entlang und landete fast auf den Boden.
Wieder bemerkte ich ihn. Meinen Verfolger. Er war hinter mir, doch sobald ich mich umdrehte, war er nicht da. Ich wusste, jemand verfolgte mich. Unmöglich konnte ich mir dies wochenlang einbilden, doch noch nie hatte ich jemanden gesehen, geschweige denn einen Schatten. Mein Blick schweifte um die Umgebung, doch ich erblickte ihn nicht. Erniedrigend seufzte ich.
Ashton kam mir in den Sinn, doch verfolgte er mir hinterher? Gänsehaut bildete sich auf meiner Haut bei dem Gedanken. Plötzlich hörte ich jemanden. Er war betrunken, und wie er es war. Und er hatte mich gesehen. Ja, ich war auch betrunken, jedoch nicht so stark, glaubte ich zumindest.
„He, Kleines“, schrie er, packte dabei meinen Arm. Seine Fahne wehte zu mir. „Bock auf was Hartes?“ Oh, bitte nicht.
Auf einmal packte der Fremde mein Handgelenk und presste mich an sich. Seine andere Hand näherte sich dabei gefährlich nahe meiner Körpermitte. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich fühlte mich plötzlich nüchtern. Mit all meiner Kraft versuchte ich mich von ihm zu wehren, jedoch presste der Fremde mich nur gegen eine Wand und hatte seine Hand unter mein Kleid gelegt.
„Oh ja“, murmelte er in mein Ohr. Angewidert schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf. Tränen rannen meinen Wangen hinunter. Der Fremde zog mich in eine Gasse und schmiss mich dort auf den Boden. Schnell versuchte ich zu entkommen, doch er zog mich wieder zurück. „Ich mag keine Spiele.“ Der schwere Körper des Mannes legte sich auf meinen. Meinen Slip zog er ohne Mühe hinunter. Ich spürte, wie er seine Hose versuchte zu öffnen.
Bitte nicht. Ich will nicht vergewaltigt werden. Ich will es nicht. Bitte lass es.
Doch soweit kam es nicht. Ruckartig war das Gewicht auf mir verschwunden. Erschrocken sprang ich auf und zog mir wieder meinen Slip an. Ashton hatte den Fremden am Kragen genommen und hochgehoben.
„Fass sie nie wieder an“, knurrte er und schubste den Fremden hinweg. Danach drehte er sich zu mir. Noch immer geschockt starrte ich Ashton an und schüttelte den Kopf.
„Wie- Woher-“, setzte ich an, fand jedoch nie Worte. Ashton schaute mich nur an und zuckte mit den Achseln.
„Ich war in der Gegend“, erklärte er und drehte sich um. Sofort nahm ich sein Handgelenk und schüttelte den Kopf.
„Verfolgst du mich?“, wollte ich wissen.
„Wieso sollte ich?“, lachte der Lockenkopf. Dann aber legte er einen Arm um meine Schultern und sah mich besorgt an. „Alles okay?“
„Bin noch etwas mitgenommen, von dem Typen“, gestand ich und schüttelte den Kopf. Sanft hob mich Ashton hoch. „Ashton, lass mich runter!“
„Gut. Aber du kommst mit zu mir“, befahl er und ließ mich wieder auf den Boden.
„Wieso sollte ich?“, wiederholte ich seine Worte und sah ihn erwartungsvoll an.
„Weil ich es sage“, gab er mir als Antwort. Doch das genügte mir nicht. Ein richtigen Grund wollte ich wissen und nicht so eine dahin geschmissen Ich-Bestimme-Alles-Antwort.
„Nicht überzeugend“, sagte ich und drehte mich um. Ich setzte zum Gehen ein, doch er hielt mich auf. Genervt blickte ich ihn an und musste den Kopf schütteln. „Grund gefunden?“ Ich setzte ein falsches Lächeln auf und ließ ein paar Mal die Wimpern hoch und runter fahren.
„Ja, eh, nein, eh“, murmelte Ashton und musste sich am Hinterkopf kratzen.
„Es wartet noch jemand auf mich“, gab ich Nachdruck und verschränkte meine Arme.
„Weil du mir zu betrunken bist und ich Angst habe, dass dich jemand vergewaltigt“, sagte er dann und ging voran.
„Du bist anstrengend“, stöhnte ich.
„Da kenn ich noch jemand“, brummte der Lockenkopf und nahm meine Hand in seine. Wieder spürte ich dieses plötzliche Knistern. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Verwirrt sah Ashton mich an. Kurz dachte ich daran, dass es alles nur Einbildung war und dass ich mir etwas vorspielte, doch dann ließ er auf einmal meine Hand los und versteckte seine Hände in seine Hosentaschen.
Schweigend lief ich hinter ihm her und versuchte mir aus all dem einen Reim zu machen. Ashton sagte auch kein Wort. Seit langem fühlte ich mich nicht mehr verfolgt. Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
Wieso sollte es auch Ashton sein? Er lebt hier seit langem. Wieso denn erst jetzt?
„Wieso bist du immer bei den Rauchern?“, platzte es aus mir hinaus. Kurz sah Ashton mich an, doch er sagte nichts dazu. Weiter sagte keiner von uns ein Wort, bis wir ein Mehrfamilienhaus erreichten.
„Es ist etwas unaufgeräumt. Ich hatte noch keine Zeit“, warnte er mich.
„Naja, wenn man die ganze Zeit auf Partys ist“, rollte ich die Augen.
„Sagt die richtige.“
„He, mein Zimmer sieht vernünftig aus“, widersprach ich.
„Bist du überhaupt dort drinnen?“, fragend sah er mich an, ehe wir die Treppen hochgingen.
„Ja, zum Schlafen“, flüsterte ich und sah ihn nicht an. Ich mochte es nicht über mein Zuhause zu reden. Auch zu meinen Freunden sagte ich dazu nie sonderlich viel.
„Zum Schlafen. Naja, bist ja nie Zuhause“, murmelte er und öffnete seine Wohnungstür. Verblüfft sah ich ihn an, doch ich traute mich nicht, etwas zu sagen.
„Deine Wohnung liegt auf der anderen Seite“, stellte ich fest.
„Was?“
„Du verfolgst mich“, stellte ich fest und sah Ashton an.
„Schlaf jetzt“, schüttelte er den Kopf und führte mich in ein Schlafzimmer.
„Aber-“
„Keine Widerworte“, befahl er und trat aus dem Zimmer.
„Ashton, wieso tust du das?“, schrie ich.
„Lass uns später darüber sprechen. Es ist drei Uhr morgens und ich will pennen“, fauchte er und sah mich wütend an.
„Na gut“, knurrte ich und legte mich auf das Bett, bevor ich einschlief.
*/*
16. April 1900
Sie war auf dem Markt und kaufte Lebensmittel für sie beide ein. Er saß bei ihnen zu Hause und dachte darüber nach, wie er seine Frau beschützen könnte. Sobald er tot war, waren seine Frau und sein Kind schutzlos. Und sein Kind musste in Sicherheit sein. Viele würden es jagen und umbringen wollen. Doch sein Kind durfte nicht sterben. Er wollte es nicht.
Plötzlich klopfte es und er öffnete die Tür. Er dachte es sei sie, die mal wieder ihren Schlüssel vergessen hatte. Doch es war sein Bruder, Jeffrey.
„Wie hast du uns gefunden?“, stellte er ihn sofort zur Rede. Höflichkeit kannte er nicht, wenn es um Jeffrey oder seinen Vater ging.
„Das ist irrelevant. Wieso lässt du das Kind nicht nach der Geburt sterben?“, stellte Jeffrey eine Gegenfrage.
„Es ist mein Kind. Ich glaube nicht daran, dass er der Tyrann sein soll“, fauchte er und schüttelte den Kopf.
„Aber so wird es sein“, widersprach ihn Jeffrey. „Wenn deine Hure nicht mit jemand anderen geschlafen hat, dann wird es der Tyrann sein.“
„Nenn Taylin nie wieder Hure!“, fauchte er und gab seinem Bruder einen Schlag gegen die Wange. „Es ist mein Kind!“
„Du weißt nicht, mit wem sie im Moment verkehren könnte“, knurrte Jeffrey.
„Und du bist hier nicht willkommen. Taylin ist mir treu!“, mit diesen Worten warf er seinen Bruder aus der Wohnung und tigerte dann im Wohnzimmer herum. Mit aller Mühe versucht er sich wieder zu beruhigen. Für sie, Taylin.